Politisches Theater in Bremen: Mit Brecht im Leerstand
In einem leer stehenden Bremer Haus inszeniert Antigone Akgün einen zornigen Theaterabend. Verhandelt werden aktuelle Wohnraumdebatten.
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Leerstand ist ein grausames Wort. Oder doch wenigstens eine fiese Verwaltungsvokabel, mit der sich auch über allergrößte Schweinereien nüchtern, sachlich und informiert sprechen lässt, während politische Gegner:innen mit jedem „aber“ noch hysterischer klingen. „Leerstand“ nennt man eben einen Zustand und kein Geschäftsmodell. Und damit rückt auch dieser Befund hier ganz schön weit weg: Die einen leben auf der Straße, die anderen lassen Wohnraum brachliegen und verbuchen steuerlich rentable Verluste, während sie weiter auf noch höhere Mieten und Preise spekulieren.
Theaterregisseurin Antigone Akgün ist den Spuren linker Wohnraumdebatten über Besetzung, Zwischennutzung und Verelendung ganz bis zu Brecht gefolgt: zu seinem Stückfragment „Der Brotladen“, das für gewöhnlich als Vorarbeit für „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ eingeschätzt und abgetan wird. Akgün hat den Text ernster genommen. Mit Brecht’schen Theorietexten hat sie ihn zu einer Performance verdichtet und sie am Wochenende in Bremen nun als „Leer/Stand – Der Brotladen oder: Wem gehört der Stadtraum?“ auf die Bühne gebracht.
Wobei das mit der Bühne so eine Sache ist: Tatsächlich ließ Akgün ihr vor dem Stadttheater wartendes Publikum erst mal einsammeln und etwas weiter runter ins Steintorviertel führen: in ein unscheinbares leer stehendes Haus zwischen all den Traditionsgeschäften, Partytourist:innen und den Altbauwohnungen gutsituierter Linksalternativer. Und da sitzt man schließlich mit Brecht im Leerstand, während draußen Fußgänger:innen, Straßenbahnen und die feministische Walpurgisdemo am Schaufenster vorbeiziehen.
Das Stück selbst versteht Akgün als „Fragment im Fragment“, als ein Theaterexperiment mit eingestreuter Theorie und Brecht’schem V-Effekt, wie man ihn so buchstabengetreu nur selten zu Gesicht bekommt.
Vor einem grob aufgemalten Brotregal räsonieren Christian Freund und Patrick Balaraj Yogarajan über Rollen, Personal und ihre Regisseurin. Sie wiederholen Szenen, lassen andere aus – und probieren sich in verschiedenen Versionen der Hauptrolle Witwe Qeck. Das alles ist sehr meta – sagt wohl mehr über Theater über die Gesellschaft –, ist dabei aber ausgesprochen unterhaltsam bis hin zur gerappten Antwort auf die Frage, wie sich das „Theater der Subalternen“ mit der „Musik der Subalternen“ verträgt.
Im Schwitzkasten der Banken
Inhaltlich bleibt derweil die besagt Frau Qeck auf teurem Feuerholz sitzen, weil ihr Chef vom Hauseigentümer unter Druck gesetzt wird, den wiederum die Banken im Schwitzkasten haben. Kurz gesagt: Es geht ums institutionalisierte Nach-unten-Treten in einem noch sehr klassischen und modellhaften Kapitalismus und eher nebenbei um die Plot- und Diskursfäden, die sich von hier aus zu Kleingewerbe, Zeitungsjungen, Immobilienfirmen und der Heilsarmee entspinnen.
Wie gesagt: Meistens ist das lustig und bisweilen auch tatsächlich aufrüttelnd, was vor allem an Christian Freunds bis punktgenau am Rand des Erträglichen dosierten Pathos liegt.
Dass es beim Lehrstück über Lehrstücke aber nicht bleiben soll, war das ausdrücklich erklärte Ziel der Veranstaltung. Darum wird man nach dem Stück aufgefordert, das Haus vom Keller bis in den dritten Stock in Ruhe abzulaufen. Zwischen atmosphärischen Lichtinstallationen, krudem Interieur und in der Badewanne gespielten Szenen stehen hier vor allem Lavinia Moroffs Interviewvideos im Mittelpunkt: Gespräche mit Menschen aus der Stadtgesellschaft, die sich mit den im Stück angerissenen Themen in der Praxis auseinandersetzen.
Arg viel Theorie
Doch so interessant die Gespräche im Einzelnen auch sein mögen: Sie schütten dann letztlich doch auch arg viel Theorie auf einen diskursmäßig bereits übersättigten Theaterabend. Und das in mitunter auch ärgerlicher Unschärfe. So kann man sich bei allem berechtigten Zorn über Bremer Wohnungspolitik schon fragen, ob die hiesigen Wohnungsnöte tatsächlich so viel mit den Leerständen zu tun haben. In den Videos ist meist von Geschäftsräumen die Rede, von Zwischennutzung durch Künstler:innen und Start-ups.
Tatsächlich haben Studien dem Bremer Senat auch gerade erst bescheinigt, seine eher dröge klingenden Instrumente wie Wohnraumschutzgesetz, Kappungsgrenze, Mietpreisbremse, Sozialquote und so weiter unterm Strich doch weitgehend sinnvoll einzusetzen. Und Spekulation mit leer stehendem Wohnraum: sei in Bremen nahezu nicht gegeben.
Ob Theater solche Fragen im Detail verhandeln muss, wenn es über den Kapitalismus urteilen will: wahrscheinlich nicht. Es steckt ja auch mehr als genug Zündstoff in Grundeigentum und Armut. Darüber muss man streiten und tut es ja auch ständig – auch auf Theaterbühnen. Den Brotladen aber hat die transparente Recherche wohl eher angreifbarer gemacht als überzeugender.
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