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Politische Willkür bei AsylverfahrenRegierung handelt destruktiv

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Jedes Bundesland entscheidet anders über Asylbewerber. Das ist der Beweis für Willkür. Die raubt Geflüchteten das Gefühl von Handlungsmacht.

Verwehrt der Staat den Familiennachzug, zieht es den Geflüchteten den Boden unter den Füßen weg Foto: dpa

E ine Szene in einem Verwaltungsgericht in Brandenburg. Geladen ist der Pakistaner Amin G., Belutsche. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, diese Richterin ist seine letzte Chance. G., drei Jahre in Deutschland, gut Deutsch sprechend, erwerbstätig, erhält an diesem Tag von ihr seine Anerkennung als politischer Flüchtling. Sein Anfangsbuchstabe im Nachnamen hatte zur Folge gehabt, dass genau diese Richterin, bekannt als „Altlinke“, für ihn zuständig war. Hätte sein Nachname mit einem W begonnen, hätte ihr Kollege, als „harter Hund“ bekannt, die Klage G.s gegen seine Ablehnung wohl abgeschmettert.

Ein Asylverfahren zu durchleben, das heißt, von Zufälligkeiten, von Willkür, von Umständen abhängig zu sein, über die man keine Kontrolle hat. Anwälte sprechen daher vom „zweiten Trauma“ eines Asylverfahrens, das viel zu tun hat mit den Verhältnissen in Deutschland und nichts mit denen im Herkunftsland.

Wie willkürlich Entscheidungen in Asylverfahren sein können, beweist eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke. Sie belegt, dass die sogenannten Schutzquoten je nach Bundesland stark variieren können. Von Flüchtlingen aus dem Irak wurden in Berlin beispielsweise in der ersten Hälfte dieses Jahres nur 50,3 Prozent als schutzwürdig anerkannt. In Bremen hingegen waren es 96,4 Prozent. Die Spannbreite der positiven Asylbescheide liegt bei Antragstellern aus Afghanistan zwischen 30,9 Prozent in Brandenburg, 36,2 Prozent in Bayern und 65 Prozent in Bremen. Bei Antragstellern aus dem Iran reichte das Spektrum der Anerkennung von 37,6 Prozent in Bayern bis zu 85 Prozent in Bremen.

Gerade für Geflüchtete aus den strittigen Herkunftsländern wie Irak oder Afghanistan herrscht eine unterschiedliche Praxis. WissenschaftlerInnen der Universität Konstanz untersuchten die Anerkennungsquoten zwischen den Jahren 2010 und 2015 und stießen auch auf erhebliche Unterschiede. In dieser Studie lagen das Saarland und Bremen bei den Anerkennungen vorn, Berlin und Sachsen dagegen eher hinten.

Willkür raubt Geflüchteten die Kraft

Die Gründe dafür sind komplex. So stellten die Konstanzer Forscher fest, dass Bundesländer mit einer höheren Arbeitslosenquote eher weniger Anerkennungen aussprachen. Bundesländer in guter wirtschaftlicher Situation wie Bayern gewähren aber nicht unbedingt mehr Anerkennungen. Wo ein fremdenfeindliches Klima mit rechtsextremen Gewalttaten herrscht, ist die Schutzquote eher niedrig. Und: Auch verschuldete Länder können dennoch recht flüchtlingsfreundlich sein.

Oft kommen die Entscheider des Bamf aus den Länderverwaltungen und richten sich nach dem regionalen politischen Klima. „Entscheider orientieren sich unter anderem auch daran, ob Verwaltungsrichter in der Region eher pro oder kontra Flüchtlinge urteilen“, sagt Bernd Mesovic, Referent bei Pro Asyl. In den Regionen herrschten unterschiedliche „Normalverteilungen der Vorurteilshaltung“.

Manchmal entscheidet vor Gericht nur der Anfangsbuchstabe des Namens über das weitere Schicksal des Antragstellers

Geflüchtete können nicht bestimmen, wo ihr Antrag verhandelt wird. Ihnen raubt das Gefühl, der Willkür ausgesetzt zu sein, viel Kraft. Das betrifft nicht nur die Anerkennungsquoten, die Verwaltungsgerichtsurteile, sondern auch Gesetzesänderungen, die eine persönliche Perspektive bedrohen. Die Tatsache zum Beispiel, dass syrischen Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz womöglich weiterhin der Nachzug von Ehefrau und Kindern verwehrt bleibt, ist ein Kraftfresser ohnegleichen. Denn mit diesem Nachzug, der Familienperspektive, hatten die Syrer fest gerechnet.

taz.am wochenende

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„Empowerment“, das Gefühl, die Handlungsmacht über das eigene Schicksal zu haben, ist essenziell für die persönliche Stabilität. Dass die künftige Bundesregierung Maßnahmen plant, die Tausenden von Flüchtlingen den Boden unter den Füßen wegziehen, ist nicht nur politische Willkür. Es ist hochgradig destruktiv.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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14 Kommentare

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  • Das Asylverfahren ist ineffektiv und verlogen und gehört deswegen abgeschafft. 10 Afghanen beantragen Asyl. Da 5 rauszuprüfen, die nicht genug verfolgt werden, ist doch hirnrissig. Die Situation in Afghanistan ist für alle Afghanenn unerträglich, weil die Afghanen ein funktionierendes Staatswesen nicht auf die Reihe bekommen und die westliche Einmischung den Endsieg der Taliban - und damit den Frieden verhindert.

     

    Es interessiert doch in d keinen, ob die afghanischen Asylbewerber in Afganistan wirklich politisch verfolgt werden. Völlig egal. Wie soll ein deutscher Verwaltungsrichter Verhältnisse in Afghanistan bewerten? Es gibt offenbar keine verbindlichen rechtlichen Maßstäbe.

    Konsequenz Einzelfallentscheidungen nach Gusto und Stimmung der einzelnen Richter. Es wäre Sache des Gesetzgebers und nicht der Richter, die Regeln für die Migration festzulegen.

     

    Das Asylrecht gehört abgeschafft und muss durch ein Einwanderungsgesetz ersetzt werden.

    • @A. Müllermilch:

      Na gut, schaffen wir das Asylrecht ab und geben uns ein Einwanderungsgesetz. Wisse Sie was dann passiert? Kein Afghane wird hier mehr aufgenommen, denn so gut wie Keiner erfüllt die Vorraussetzungen für eine Einwanderung (Das gilt für JEDEN "Armuts-/Wirtschaftsflüchtling" weltweit.) Treten wir auch aus der GFK aus? (Dann kommt Keiner mehr rein, der nicht über ein hübsches Sümmchen auf der hohen Kante verfügt und einen Investitions-/Geschäftsplan vorweisen kann.) Zu Talibanendsieg und Frieden, klar lassen wir die Taliban wieder ans Ruder, dann kann endlich wieder wegen Musikhören exekutiert werden und im Kabuler Stadion finden dann wieder die "allseits belienten" Massenhinrichtungen nach dem Freitagsgebet statt. Voll Frieden und so...

      • @Mephisto:

        Ich weiß gar nicht, wieso immer alle über die "Schaffung eines Einwanderungsgesetzes" reden. Die mediale Berichterstattung hinkt hier peinlich hinter den politischen Realitäten hinterher.

         

        Das 2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz ("Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet") IST ein Einwanderungsgesetz.

         

        Es ist nicht zuletzt ein EINWANDERUNGSGESETZ, weil von jedem Status aus Verbesserungen des Status möglich sind.

         

        Das Aufenthaltsgesetz hat aber nichts mit der ENTSCHEIDUNGSPRAXIS in den BAMF-Außenstellen im Bundesgebiet zu tun.

         

        Das das Asylverfahren (das vom GG und der Genfer Flüchtlingskonvention unterlegt ist) und das Aufenthaltsgesetz zusammen (aus einer linken, liberalen, solidarischen, post-kolonialen Perspektive) KEINE AUSREICHEND GUTEN Einwanderungsoptionen eröffnet, steht auf einem anderen Blatt.

  • Klingt wirklich etwas dubios die Handhabe mit den Anerkennungen.

     

    Allerdings in beiden Richtungen.

    Wieso Bremen ein so eine hohe Quote im Vergleich zu der niedrigen von Bayern hat ist völlig unlogisch.

     

    Da wäre ein Gremium aus verschiedenen Sachbearbeitern gerechter.

  • 8G
    83492 (Profil gelöscht)

    Für mich wird der Begriff "Willkür" im Kommentar etwas unpassend verwendet.

     

    "Geflüchtete können nicht bestimmen, wo ihr Antrag verhandelt wird. Ihnen raubt das Gefühl, der Willkür ausgesetzt zu sein, viel Kraft."

     

    Dieser 'Willkür' sind auch deutsche Staatsbürger ausgeliefert, sobald sie es mit der Justiz zu bekommen.

    Es gibt dafür ein Gesetz mit einem Satz "Der allgemeine Gerichtsstand einer Person wird durch den Wohnsitz bestimmt." [1]

    Wo ist da "Willkür"?

     

    "Die Gründe dafür sind komplex. So stellten die Konstanzer Forscher fest, dass Bundesländer mit einer höheren Arbeitslosenquote eher weniger Anerkennungen aussprachen. Bundesländer in guter wirtschaftlicher Situation wie Bayern gewähren aber nicht unbedingt mehr Anerkennungen. Wo ein fremdenfeindliches Klima mit rechtsextremen Gewalttaten herrscht, ist die Schutzquote eher niedrig."

     

    Also nichts genaues weiß man nicht, außer dass in Bayern ein "fremdenfeindliches Klima mit rechtsextremen Gewalttaten" herrscht?

     

    [1] https://www.gesetze-im-internet.de/zpo/__13.html (Hier können die Juristen bitte noch nachtragen, ob es neben dem "allgemeinen Gerichtsstand" noch spezielle gibt.)

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Das trifft jeden bei Gericht, nicht nur die Flüchtlinge.

    War schon immer so, wird immer so bleiben. Der Ausgang ist i m m e r. ungewiss.

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Im Zivilrecht sind Gerichtsentswcheidungen - in gewissem Rahmen prognostizierbar. Ein erfahrener RA weiß, was bei einer bestimmten Konstellation als Entscheidung des Richters -unabhängig von dessen Person- zu erwarten ist. Mann kann sich darauf einstellen. Das nennt sich Rechtsstaat.

       

      Im Asylverfahren ist das anders. Bestimmte Verhaltensweisen haben Chancen auf Anerkennung: Der frühere Taliban-Kämpfer, der sich von Terror und Gewalt losgesagt und deswegen verfolgt wird, der zum chrislichen Glauben konvertiert ist.

       

      Sowas swpricht sich natürlich rum. Von den Asylbewerbern kommen dann Standard Märchen als Antrag, die mit Standard Antworten der Prüfer abgefertigt werden.

       

      Warum sollte der konvertierte Inraner aufgenommen werden, der glaubensstarke Moslem, der sich nach westlichen Freiheiten sehnt, nicht?

       

      Das ganze Verfahren beruht auf Lug und Betrug - von beiden Seiten - und gehört abgeschafft.

      • @A. Müllermilch:

        Na, das ist bei Familienrechtsangelegenheiten auch so - vergleichsweise willkürlich.

         

        Auch da ist der Ausgang des Verfahrens abhängig von vielen Personen, deren Geschichten und ggf. Lügen und vom Ort samt Gericht, Jugendamt, Gutachtern etc.

         

        Auch die Traumata der Beteiligten sind nicht unerheblich, teils sogar fatal.

         

        Ich frage mich nur, wie das in einem demokratischen Rechtsstaat geändert werden könnte? Eine Gleichschaltung ist bei komplexen Angelegenheiten einfach auch nicht möglich.

         

        Nicht einmal Ärzte schaffen es, kranke Menschen gleich bzw. individuell bestens zu behandeln.

         

        Und bei den Schulen sieht es nicht anders aus.

         

        Diversität auf demokratisch-rechtlicher Grundlage?

  • Ablehnungen und (!) Anerkennungen sind nicht willkürlich, sondern Folge eines ausgereizten Asylsystems.

     

    Die Gerichte sitzen am Ende des Weges ausgebufften Rechtsvertretern und schweigenden Asylbewerbern gegenüber und müssen entscheiden, weil die begründeten Entscheidungen der Behörden zuvor von den Antragstellern nicht akzeptiert werden.

  • Deutschland und auch die EU sind einfach nicht in der Lage, ein faires, geordnetes, aber wo geboten auch hartes Verfahren zur Anerkennung oder Ablehnung von Fluechtligen oder Asylbewerbern durchzufuehren. Das wird sich in absehbarer Zeit auch nicht aendern.

     

    Was bleibt da anderes uebrig, als auf eine haessliche Loesung wie die Quotenregelung zurueckzugreifen? Traurig, aber wahr.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @PS:

      Da leiten Sie aus Unfähigkeit zum normgemäßen Handeln eine Norm ab!?

      Wie wäre es, wenn Ihr Arzt "nach Quote" dignostiziert, weil er bei Einzeldiagnosen eh genauso oft falsch liegt?

      • @85198 (Profil gelöscht):

        Also 100 % aufnehmen, niemand abschieben und immer weiter so.

        Und dann solls allen gutgehen?

        Träumen kann man ja, aber beim aufwachen ..., schaut´s anders aus, dann gehts keinem mehr gut.

        • @Christian Bauer:

          Das Beispiel von der ärztlichen Behandlung ist schon richtig, denn das betrifft uns alle. Patient_innen können zwar nicht in ein anderes Land abgeschoben werden, wohl aber in Siechtum, Armut, Demoralisation usw.

           

          Und Quoten gibt es ganz eindeutig in Reha-Kliniken: Die Kliniken müssen eine als "voll erwerbsfähig-Quote" in Höhe von ca. 90% bei den Entlassungen einhalten, ansonsten wird ihnen der Vertrag mit den Rentenversicherungen gekündigt und damit das Geld. Die Folge davon ist, dass die Entlassungsdiagnosen von der Quote und nicht vom Patienten und seinem Zustand abhängen.

          • @Hanne:

            Letzteres ist ziemlich paranoider Quatscht. richtig: Ziel einer Reha ist Arbeitsfähigkeit und nicht die weitere Alimentierung von Krankheit. Aber Quoten gibt es da wirklich nicht ... eher schon unzufriedene Arbeitsfähige