Politische Kunst aus den USA: Once Upon a Time in America
Die Geschichte ist umkämpft, Kunst und Künstler*innen mischen mit. Das zeigt die Ausstellung „Lost in America“ im Neuen Berliner Kunstverein.
Hier geht es um etwas. Das wird gleich beim Betreten der Ausstellung klar. Ein großer Mann mit wallendem Bart, in einer Hand ein Gewehr, in der anderen ein Buch, scheint förmlich aus dem großen Wandbild herauszuspringen. Hinter ihm toben Kämpfe. Die Schlachtszenen verweisen auf den US-Bürgerkrieg. Der Mann im Vordergrund ist John Brown, ein Antisklavereiaktivist. Er griff zu den Waffen, um die Sklaverei abzuschaffen. Der Konflikt zerriss das Land, führte zum Krieg zwischen Nord- und Südstaaten.
Den Sieg der industrialisierten Nordstaaten kann man zwar auch als Episode des Siegeszugs des Kapitalismus werten. Die Nordstaaten waren dank ihrer besseren Logistik, zu der auch schon genormte Kleidergrößen für die Uniformen gehörten, sowie der höheren industriellen Produktivität erfolgreich. Viele Soldaten motivierte aber auch der Wille, die Sklaverei zu beenden.
Der Schriftzug „Black Lives Matter“ könnte also durchaus unter dieser Reproduktion eines Wandgemäldes des Schlachten- und Landschaftsmalers John Steuart Curry stehen. People of Color sind in Currys Historienbild selbst allerdings nur Staffage, auf Kniehöhe der Südstaatensoldaten.
Das Bild ist dennoch keine schlechte Wahl. Denn es zeigt eine geteilte Gesellschaft, Formationen, die sich feindlich gegenüberstehen, damals schon, in den 1860er Jahren, wie auch jetzt im Wahljahr zum Ende der ersten Amtsperiode Donald Trumps.
Tücken der Repräsentation
Das Wandbild mit dem weißen Antisklavereiaktivisten Brown ist auch ein schönes Beispiel für die Tücken von Repräsentationskunst. Es ziert die Rotunde im Capitol von Topeka, der Hauptstadt des Bundesstaates Kansas. Dort angebracht wurde es allerdings erst nach dem Tod des Malers. Einige Zeitgenossen hatten sich daran gestört, dass Curry Brown sich zu sehr als Fanatiker inszeniert hatte – tatsächlich könnte man ihn vom Habitus her locker in eine Reihe mit heutigen salafistischen Eiferern stellen. Andere fanden, dass die Wetterunbilden im Hintergrund das schöne Kansas in zu negativem Licht zeigten.
„Lost in America“, Neuer Berliner Kunstverin, Chausseestrasse 128/129, 10115 Berlin, Di–So 12–18 Uhr / Do 12–20 Uhr, bis 17. 1. 2021
Geschichte ist umkämpft, das wird wieder einmal klar, und Kunst und Künstler mischen in dem Kampf munter mit.
Ein feiner Anschlag auf die Repräsentationskunst befindet sich wenige Schritte weiter. 1979 positionierte der Konzeptkünstler Michael Asher eine Statue von Staatsgründer George Washington, die am Eingang des Kunstinstituts von Chicago stand, kurzerhand in einem Raum mit Kunstwerken des 18. Jahrhunderts. Die Statue, deren Original 1788 in Marmor gehauen worden war, wurde damit in den ästhetischen Kontext ihrer Zeit gebracht. Sie wirkte in der neuen Umgebung viel weniger staatstragend. Der Akt des Umzugs ist an einer Säule im Ausstellungsraum des NBK in Bild und Text dokumentiert.
Auch jüngere Konzeptkünstler sind in der Ausstellung präsent. Cameron Rowland, 1988 geboren, ließ zwei Suchscheinwerfer von Polizeiautos als Sinnbilder für Polizeigewalt in den white cube bringen. Im Begleittext zitiert er aus zwei alten und einem noch aktuellen Gesetzestext. Die alten Texte erklärten Personen, die Sklaven töteten, für straffrei. Der noch gültige Text aus South Carolina gibt jedem Bürger das Recht, verdächtige Menschen nicht nur zu arrestieren, sondern sogar zu töten. Auf Hautfarbe oder sozialen Hintergrund wird zwar kein expliziter Bezug genommen. Der alte Geist, dass ein Mord nicht immer ein Mord ist, weht aber durch diesen Paragrafen.
Rechtfertigung Todesurteil Ethel Rosenberg
Die Ausstellung vereint einige Ikonen der Konzept- und Performancekunst wie Dan Graham, Adrian Piper oder Martha Rosler mit hierzulande weniger bekannten Künstler*innen. Graham ist mit einer Studie präsent, die auf den Zusammenhang von Wohngegend, Wohlstand und Macht verweist. Von Piper ist ein Video aus ihrer Serie „Mythic Being“ zu sehen; sie agierte darin unter anderem mit Proll- und Macho-Attributen. Rosler arbeitete den Fall der Rosenbergs aus Genderperspektive auf. Ethel und Julius Rosenberg wurden 1953 als sogenannte Atomspione hingerichtet. Rosler zitiert in ihrer Arbeit Präsident Eisenhower, der in einem Brief an seinen Sohn John das Todesurteil vor allem damit rechtfertigte, dass die Ehefrau der stärkere Part der Rosenbergs gewesen sei und dass, würde man sie nicht hinrichten, der sowjetische Geheimdienst Anreize hätte, mehr Frauen zu rekrutieren.
Kurator John Miller hat in seine Auswahl auch den in Sachen Identitätskonstruktion hochinteressanten Jimmie Durham aufgenommen. In Zeiten von Bürgerrechtsbewegung und politisch erstarktem Bewusstsein der indigenen Bevölkerung der USA bekannte sich Durham demonstrativ zu seiner Abstammung als Cherokee. Seine Arbeiten thematisieren oft auch die zweite große Ursünde der US-amerikanischen Gesellschaft: die Ausrottung und Erniedrigung der Ureinwohner.
Von offiziellen Vertretern der Cherokee wird Durham aber nicht als einer der Ihren anerkannt. Sie bezeichneten Durham sogar als „Trickster“, der sich fälschlicherweise eine indigene Identität zuschreibe. Ihre Argumentation: Zugehörigkeit könne man nicht selbst beanspruchen, sondern sie werde erst durch die hergestellt, die einen als zugehörig akzeptieren. In Zeiten flottierender Egos eine interessante Position. Eine konservative auch, aber eben auch der Versuch, eine Resonanz herzustellen zwischen Individuen und Gruppen.
Schade eigentlich, dass das Schreiben der indigenen Vertreter aus dem Jahre 2017 nicht in der Ausstellung präsent ist, denn es wirft einen noch mal anderen Blick auf Verlorensein in Amerika. Insgesamt eine unaufgeregte, komplexe und tief gehende Ausstellung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!