Politische Bedeutung von Archiven: Den Kugeln ausgeliefert
Bei einer Diskussion in Hamburg sprachen sudanesische Künstler:innen und Archivar:innen. Sie versuchen das Kulturerbe des Landes zu bewahren.
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Gewöhnlich betrachten wir Archive als Einrichtungen, die Vergangenes verwalten, sehen verstaubte Ordner vor dem inneren Auge. Wie gegenwärtig und hochpolitisch Archive indessen sein können, zeigt sich derzeit im Sudan. Dort ist die Bewahrung der jüngsten Vergangenheit ein Gegenentwurf zu den Verheerungen des Bürgerkriegs.
Insbesondere die Kreativen des Landes, Künstler:innen, Architekt:innen, Filmemacher:innen halten die Aufbruchstimmung der Demokratiebewegung fest und schreiben so an der Geschichte des Landes mit.
Dreißig Jahre lang herrschte Präsident Omar al-Baschir im Sudan. Als im Frühjahr 2019 das sudanesische Militär den Diktator stürzt und umsetzt, was zuvor Hunderttausende protestierende Sudaner:innen gefordert hatten, fällt ein Funke Hoffnung auf das Land. Vier Jahre später, im April 2023, ist der demokratische Funke erloschen, bekämpfen sich die sudanesische Armee (SAF) und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) und zwingen mehr als acht Millionen Menschen zur Flucht.
Mohamed Munaf hat sich vorgenommen, die Zeugnisse der Proteste von 2019 für kommende Generationen zu bewahren, berichtet er am Samstag, per Video zugeschaltet, bei einer Diskussionsrunde zur Lage im Sudan im Rahmen des Kurzfilmfestivals Hamburg.
Als Manager des vom Goethe-Institut Sudan initiierten Archivierungsprojekts „Sikka“ und Teil eines zehnköpfigen Kollektivs trägt er private Fotos der Straßenproteste in der Hauptstadt Khartum zusammen, führt Interviews mit Beteiligten oder veröffentlicht Protestgedichte im Online-Archiv von Sikka.
Viel Überzeugungsarbeit nötig
Sich politisch zu äußern sei schon zu Zeiten al-Baschirs eine Herausforderung gewesen, heute sei es riskanter denn je, sagt Munaf. So habe das Sikka-Team erst nach langer Überzeugungsarbeit sudanesische Künstler:innen dafür gewinnen können, von ihren Erfahrungen während der Proteste zu berichten.
Umso tragischer ist es, dass im Chaos des Bürgerkriegs die Hälfte des gesammelten Materials verloren ging. Aufgeben will Munaf aber nicht: „Wenn wir diese Arbeit nicht tun, könnten wir unsere Geschichte verlieren.“
Mit „Fragile Spuren: Archive im Konflikt“ widmet die 40. Ausgabe des Kurzfilmfestivals Hamburg den künstlerischen Dokumentationen der sudanesischen Revolution eine eigene Ausstellung. Dort zu sehen ist auch die Videoarbeit „Suddenly TV“ der US-Filmemacherin Roopa Gogineni, in der sie zwei junge Männer durch das Protestgeschehen 2019 begleitet. Mit einer Pappkartonkamera inszenieren sie sich als Filmteam, vermitteln den Demonstrierenden so ein Gefühl öffentlicher Aufmerksamkeit, die ihnen international versagt bleibt.
An der Diskussionsrunde nimmt auch die Architektin Zainab Gaafar teil. Sie treibt die Frage um, wie sich das kulturelle Erbe Sudans außerhalb musealer Einrichtungen erhalten lässt. Alltagspraktiken, Kleidung oder Musik erzählten im Zweifel mehr über die Zeit vor dem Krieg als schriftliche Dokumente.
Ungeschützte Sammlungen
Nur: Wie lässt sich so ein immaterielles Archiv realisieren? Im Sudan ist diese Frage auch deshalb virulent, weil auf Institutionen nicht mehr zu zählen ist. Wo mittlerweile die Hälfte der Bewohner:innen Khartums geflohen ist, bleiben bedeutende kulturhistorische Sammlungen, wie sie etwa das Nationalmuseum beherbergt, ungeschützt zurück.
Die Hauptstadt des Sudans ist heute eine andere. Die mittlerweile in Hamburg lebende Fotografin und Filmemacherin Eythar Gubara sah die Stadt zuletzt zwei Wochen vor Ausbruch des Krieges. Sie sei froh, dass sie die Schönheit ihrer Geburtsstadt in Erinnerung bewahre, sagt sie. So trage jede:r ein Archiv persönlicher Geschichten mit sich. Und vielleicht lasse sich einmal aus der Vielfalt der einzelnen Stimmen ein Bild des Sudans vor dem Krieg zusammensetzen. Diese Geschichtsschreibung der Vielen sei mehr als alles andere Aufgabe von Archiven und Archivar:innen.
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