Politikwissenschaftlerin über CDU: „Da sind noch Diskussionen offen“
Die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach zur Frage, wie sich die konservativere Aufstellung der CDU auf deren Wählerpotenzial auswirkt.
wochentaz: Frau Reuschenbach, was erwarten Sie vom CDU-Bundesparteitag in der kommenden Woche?
Julia Reuschenbach: Ich erwarte eine recht inhaltsreiche Debatte, die für die CDU nicht selbstverständlich ist. Es sind für das neue Grundsatzprogramm noch einige Diskussionen offen: der Umgang mit der Schuldenbremse etwa, die Leitkultur, die Beziehung zum Islam. Bei den Vorstandswahlen wird es interessant, ob deren Ergebnisse die konservativere Positionierung im Programm etwas schwächen oder ob deren Vertreter, etwa Friedrich Merz oder Carsten Linnemann, ein besonders starkes Votum bekommen.
Welche Bedeutung hat das Grundsatzprogramm, das die CDU konservativer aufstellt, für die anstehenden Wahlen?
36, ist Politikwissenschaftlerin an der FU Berlin.
Man muss unterscheiden, welchen Zweck ein Grundsatzprogramm erfüllt. Es geht zunächst um Selbstverortung. Nach der Bundestagswahl haben viele Wählerinnen und Wähler gesagt, sie wüssten gar nicht mehr, wofür die CDU steht. Insofern hat das Grundsatzprogramm die Funktion zu klären: Was wollen wir? Und auch: Wie konservativ wollen wir in bestimmten Politikfeldern sein? Eine andere Frage ist, was das für konkrete Wahlentscheidungen bedeutet.
Und was bedeutet es?
Vorweg: Das, was im Grundsatzprogramm steht, wird nicht eins zu eins in den Wahlprogrammen stehen. Und weil nach der Wahl Koalitionen gebildet werden müssen, wird von Parteien immer erwartet, dass sie kompromissbereit sind. Grundsätzlich aber gibt es in der Gesellschaft durchaus eine gewisse Sympathie für eine etwas konservativere Position, zum Beispiel in der Migrationspolitik. Wichtig ist aber, dass diese Positionen mit konkreten und umsetzbaren Lösungen unterlegt werden.
Hilft eine konservativere Aufstellung also bei den Landtagswahlen im Osten, in Thüringen, Sachsen und Brandenburg?
Generell steht die CDU in Ostdeutschland besonders unter Druck durch die Stärke der AfD, die dort auch eine zunehmend gefestigte Stammwählerschaft hat. Aber auch andere Wählerinnen und Wähler werden nicht allein wegen des neuen Grundsatzprogramms schnell zur CDU wechseln. Doch von dem CDU-Parteitag könnte ein Signal ausgehen, dass den ostdeutschen Landesverbänden helfen kann, mehr Glaubwürdigkeit zu erlangen, dass die CDU auch für wertkonservative Wählerinnen und Wähler eine Heimat sein möchte.
In Deutschland werden die Wahlen bislang in der Mitte gewonnen, unter Angela Merkel war die CDU auch deshalb erfolgreich, weil sie die Frauen und die Menschen in den Großstädten erreicht hat. Könnte der neue Kurs der CDU auch nach hinten losgehen?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Angela Merkel hatte unter Frauen eine enorme Zugkraft; aus Umfragen wissen wir, dass Frauen Friedrich Merz eher nicht unterstützen. Da wird die CDU Antworten geben müssen in Richtung des Bundestagswahlkampfs 2025, besonders wenn Merz Kanzlerkandidat werden sollte. Er weiß das auch. Was mich überrascht, ist, dass trotz dieses Wissens die Frauen in der CDU weiterhin kaum sichtbar sind. Christina Stumpp, die stellvertretende Generalsekretärin, wirkt in die Partei, ist aber öffentlich kaum wahrnehmbar. Serap Güler, die immerhin stellvertretende Leiterin der Grundsatzprogrammkommission war, könnte man viel mehr nach vorne stellen. Auch aus dem Präsidium ist eigentlich nur Karin Prien als stellvertretende Bundesvorsitzende wahrnehmbar.
Könnte die CDU im konservativen Spektrum gewinnen, aber an der anderen Seite sogar mehr verlieren?
Angela Merkel hat im Lager moderner Konservativer, zum Beispiel auch an der Schnittstelle Schwarz-Grün, Wählerinnen und Wähler mobilisieren können. Das wird mit Merz sicherlich schwieriger werden. Mit Blick auf das Grundsatzprogramm stehen neben den Frauen auch andere Wählergruppen im Fokus: junge Menschen etwa und auch die migrantische Community. Wie will man sie erreichen? Wichtig ist aber auch: Man gewinnt Wahlen nicht nur in der Mitte, sondern auch unter den alten Menschen. Knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten waren schon 2021 über 60 Jahre alt. Strategisch kann eine Partei legitimerweise darüber nachdenken, wie sie diese Gruppe mobilisiert. Und die ist in der Breite für konservative Positionen durchaus aufgeschlossen.
Und was ist mit den Jungen?
Befragungen zeigen, dass ein sicherer Arbeitsplatz und eine sichere Alterssicherung für die jungen Leute die wichtigsten Themen sind. Es geht also nicht nur um vermeintliche Junge-Leute-Themen wie Bildung oder Digitalisierung. Da macht die CDU Vorschläge, die sich wenig an genau diese Zielgruppe richten. Auch hier könnte man junge Gesichter in der Partei stärker nach vorne stellen – es gibt sie ja.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja