Politik mit Migrationshintergrund: Ein exklusives Angebot fürs Abgeordnetenhaus
Enad Altaweel floh vor neun Jahren nach Berlin, nun bewirbt er sich als Kandidat fürs Landesparlament. Dafür kriegt er Hass ab, aber auch Ermutigung.

Altaweel rechnet sich Chancen aus. „Es gibt allerdings mehr Bewerber*innen als Plätze,“, sagt er und erzählt, dass er bereits 2017, ein Jahr nach seiner Ankunft in Berlin, bei den Grünen eingetreten sei. Er übernahm einen Posten im Kreisvorstand, seit vier Jahren ist er im Landesvorstand.
Vor gut einem Jahr habe er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und damit auch das aktive Wahlrecht. Sollte seine Partei ihn aufstellen und sollte er 2026 tatsächlich gewählt werden, dann wäre er „der erste“, sagt er: Denn er könnte die erste in ein deutsches Parlament gewählte Person sein aus der Gruppe der Menschen, die um 2015 herum nach Deutschland geflohen sind.
Empfohlener externer Inhalt
Das Video, mit dem Altaweel seine Kandidatur verkündet, ist seit rund einer Woche online. Altaweel ist 29 Jahre alt und arbeitet in Berlin als Informatiker. In seinem Bewerbungsvideo erzählt er von seinem ehrenamtlichen politischen Engagement für Menschenrechte und für ein Wahlrecht für alle. „Ich kandidiere, weil ich überzeugt bin: Berlin kann zeigen, wie es geht, eine weltoffene, klima- und sozialgerechte Metropole zu sein, mit Lösungen für alle und Partizipation ab dem ersten Tag“, sagt er darin.
Als Informatiker liegt ihm auch die Digitalisierung in Berlin am Herzen, sagt er. Und dass er sich dafür einsetzen will, dass Berlin seine Landesaufnahmeprogramme für Flüchtlinge weiterführt. Eben weil er in einer brutalen Diktatur und im Krieg in Syrien aufgewachsen sei, wolle er mit aller Kraft für die Demokratie kämpfen, gegen die AfD und ihre Steigbügelhalter, und gegen Hass, Rechtsextremismus und Ungerechtigkeit, sagt er.
Mit Hass hat Altaweel nun früher zu tun, als er es sich vielleicht ausgemalt hat. Wenige Tage nachdem er das Video veröffentlicht hatte, teilten es rechte Influencer, unter andrem im Netzwerk X. Ihren Repost versahen sie mit Hasskommentaren. Es sei „essenziell, alles dafür zu tun“, damit „diese indoktrinierten Jungerwachsenen nicht in die Nähe von politischer Gestaltungsmacht kommen“, schreibt etwa ein nur wenige Jahre älterer Mitarbeiter des rechten Portals Nius. Das meine er „komplett ernst“, fügt er drohend an.
Schon die Kandidatur triggert
Ein anderer Account mit großer Reichweite stört sich offensichtlich besonders an Altaweels Positionierung gegen die AfD und fordert kaum verklausuliert, ihn abzuschieben. Die Reposts sind inzwischen tausendfach geteilt und gelikt. Darunter tummeln sich Kommentare in ähnliche Richtungen, die ihm das Recht absprechen, sich politisch einzubringen, und sich daran stören, dass er sich für Geflüchtete einsetzen will. Auch mit Abschiebung drohen einige. Manche wenige halten auch dagegen und kritisieren die herabsetzenden Reposts.
Altaweel sagt, dass er auf Gegenwind vorbereitet war. „Dass es die Rechten so sehr triggert, dass ich nur meinen Kandidatur anbiete, das habt mich aber schon überrascht“, sagt er. „Ich bin ja bisher weder aufgestellt noch gewählt, und sie greifen mich nicht mal wegen meiner Inhalte an.“ Für ihn zeigen die vielen Kommentare, dass die Bedingungen für ihn, sich politisch einzubringen, noch nicht gleichberechtigt sind. „Parteikolleg*innen, die auch ihre Kandidatur mit einem Video bei Instagram bekannt gegeben haben, haben nicht diese Reaktionen bekommen“, sagt Altaweel der taz.
Und er erzählt, dass sich ein mulmiges Gefühl aus dem Online-Umfeld in seinen Alltag übertrage. „Ich merke, dass mein Gesicht bekannt geworden ist“, sagt er. Letztens habe ihn in der U-Bahn eine Passantin feindselig angestarrt und er habe sich gefragt, ob sie ihn wohl aus seinem inzwischen zehntausendfach angeklickten Video wiedererkannt habe. „Online kann ich das ganz gut wegschieben und mich schützen“, sagt er, mit Hilfe seiner Partei würden sie auch vieles nun bei Hate Aid melden. „Aber diese Situation in der U-Bahn hat mir schon Sorgen gemacht.“
Altaweel hat dabei auch einen ehemaligen Parteikollegen im Hinterkopf. Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, war von den Grünen 2021 als Bundestagskandidat für einen Wahlkreis in Nordrhein-Westfalen aufgestellt worden. Auch er war 2015 aus Syrien geflohen. Im März 2021 allerdings zog Alaows seine Kandidatur zurück, nach massiven Drohungen gegen ihn, aber auch gegen seine Familie.
Für neu nach Berlin kommende Menschen
„So schlimm ist es bei mir zum Glück noch nicht“, sagt Altaweel. „Ich bin überzeugt, dass es wichtig ist, dass ich mich einbringe“, er sehe einen großen Bedarf und könne mit seiner Perspektive entscheidend dazu beitragen, die Situation von neu nach Berlin kommenden Menschen zu verbessern. Es brauche etwa Sprachkurse von Anfang an und für alle, ein klares Einstehen gegen Alltagsrassismus und schnellere Anerkennungen von im Ausland erworbenen Qualifikationen.
„Ich bin deutscher Staatsbürger. Wenn die Rechten weiter Aufwind bekommen, wird es nicht nur für mich schlimm, sondern noch mehr für die, die ungeschützter sind. Und für alle, die selbst gar nicht wählen dürfen“, sagt Altaweel.
Mut machen ihm all die positiven Reaktionen, die sich auf seinem eigenen Account unter dem Video finden. „Eine inspirierende Geschichte und ein Mega-Angebot“, schreibt etwa eine Kommentatorin. „So jemand wie dich würde ich mir auch für Hamburg wünschen“, schreibt eine andere. „In meinem Lieblingsrestaurant letztens hat mich der Besitzer auf das Video angesprochen und mir Erfolg gewünscht. Das hat mich sehr gefreut“, sagt Altaweel. „Diese Offenheit und Unterstützung ist es doch, was Deutschland ausmacht.“
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