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Polit-Kunst aus der Südsee in HamburgSpiel mit Exotik-Klischees

Ein Video der neuseeländischen Künstlerin Lisa Reihana im Hamburger Museum am Rothenbaum führt bis heute bestehende kolonialistische Klischees vor.

Spiel mit dem europäischen Bilderkanon: Lisa Reihanas Videoarbeit „In Pursuit of Venus [infected]“ Foto: Lisa Reihana

Hamburg taz | Erst sagen sie, sie wollen Pflanzen schauen, und dann tun sie ganz was anderes, nehmen uns unser Land.“ Recht haben die Malinesen in Maryse Condés historischem Roman „Wie Spreu im Wind“, der – auch – von der Verschlagenheit französischer Kolonialherren erzählt, die den Bewohnern Land und Vertrauen stehlen.

Ganz so deutlich sagt es die Maori-stämmige neuseeländische Künstlerin Lisa Reihana nicht, deren Video „Im Schatten der Venus“ derzeit im „Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt“ (Markk) prangt. Die Arbeit, vorgestellt 2017 auf Venedigs Biennale, war bis zur Einstellung des Besucherbetriebs am Markk erstmals in Deutschland zu sehen. Impressionen der Ausstellung gibt es momentan nur auf der Website des Markk.

Lisa Reihana pflegt die leisen Töne, beobachtet Folgen des Kolonialismus in scheinbar pittoresken Bildern. Die kommen zunächst so „exotisch“ daher, dass es einen schaudert: Ist diese Art der Präsentation nicht längst tabu?

Aber genau dieses Spiel mit dem Stereotyp reizt Reihana, um das Fortbestehen von Blick-Hierarchien und Klischees vorzuführen. Denn obwohl uns die Akteure, die die Begegnung britischer Forscher mit der Südsee-Bevölkerung nachspielen, mal ansehen, mal nicht: In der Rolle des romantisierenden Voyeurs bleiben wir immer.

Da tanzen etwa Hawaii-Mädchen aufreizend in Baströckchen und schauen so herausfordernd aus dem Bild, dass man denkt: Ja, so schaute (und schaut?) der Europäer auf solche Frauen, reduziert sie auf Objekte der Begierde. Doch der Film läuft weiter, und eine Gruppe einheimischer Männer gerät in den Fokus. Sie beobachten die Frauen, erheben sich dann zu ihrem eigenen Tanz.

Die Ausstellung

„Im Schatten von Venus. Lisa Reihana & Kunst aus dem Pazifik“: bis 28. Juni 2020 im Hamburger Museum am Rothenbaum. Achtung: Aufgrund der Corona-Krise ist das Markk bis auf Weiteres für den Publikumsverkehr geschlossen. Impressionen der Ausstellung gibt es hier.

Er ist die Antwort, sie klatschen sich Arme und Schenkel, zelebrieren Männlichkeit. Aber diese Männer werden nicht läufig, nur weil ihre Frauen Hüften schwingen: Ihre Bewegungen folgen der Choreografie eines rituellen Tanzes. In diesem Moment begreift man: Europäer verstehen wenig von dieser Kultur, in die sie im 18. Jahrhundert erst mit Forschern, dann mit Soldaten eindrangen, um Pflanzen, Früchte, Kunstwerke billigst zu kaufen oder zu stehlen.

Inspiriert ist Reihanas Video von drei Südsee-Expeditionen des Briten James Cook, der 1769 nach Tahiti fuhr, um den seltenen Venus-Transit zu beobachten. Dabei zieht die Venus genau zwischen Erde und Sonne hindurch, woraus sich deren Entfernung errechnen lässt.

Auf Reihanas Video tritt der Cook-Akteur erst demütig, dann selbstbewusster den Einwohnern gegenüber, tauscht mit einem Häuptling Kleidung aus, nimmt an Zeremonien teil. Er stellt seinen Arbeitstisch samt Fernrohr mitten in die Natur, diskutiert mit Einheimischen über den Lauf der Gestirne.

Aber mit der Zeit werden die Briten fordernder, peitschen Maori aus; und als Cook einen von ihnen des Diebstahls bezichtigt, wird er hinterrücks ermordet. Die nächste Szene zeigt Cooks Einzelteile, von Kollegen betrauert, in einer Kiste. Diese Anekdote entspricht übrigens der Realität: James Cook wurde 1779 auf den Hawaii-Inseln ermordet und zerstückelt. Ein angeblich aus seinen Knochen gefertigter Pfeil liegt heute im australischen Museum in Sydney.

Szene für Szene bauen sich Missverständnisse auf

Verstehen kann man Reihanas Video aber auch ohne Kenntnis dieser Details. Denn dass sich da, Szene für Szene, Missverständnisse und Gewalt aufbauen, dass die Briten immer öfter mit Gewehren herumfuchteln – das erschließt sich auch so. Und es ist spannend: Man wird förmlich hineingerissen in diesen aus Einzelszenen gebauten Film, in den man jederzeit einsteigen kann.

Kluger Kunstgriff dabei: Die Kulisse – nach Art einer Trickfilm-Folie hineinmontiert – zeigt Motive jener Tapeten, die um 1800 die Salons europäischer Eliten zierten und idealisierte Südsee-Landschaften zeigten. Ob Reihanas Schauspieler dabei in oder vor der imaginären Landschaft spielen? Beim Versuch, es zu ergründen, verheddert man sich zwischen Realität, Romantisierung und Illusion wie jene europäischen Eliten, die den Kolonialismus verherrlichten, es vielleicht bis heute tun.

Als Betrachter des Videos tut man es ihnen in einem bizarren Reenactment gleich: Man läuft und schaut und läuft, die Szenen fliegen fast zu schnell vorbei, und am Ende fragt man sich, ob man sah oder träumte. Hat dieselbe Szene beim vorigen Durchgang nicht anders ausgesehen, wurde da nicht ein Brite ausgepeitscht statt des Maori? Und suggeriert, andererseits, die Endlosschleife nicht das Weiterbestehen der paternalistischen Beziehung zwischen Europa und den Ex-Kolonien, auch in ethnografischen Museen?

In der Tat: Schamhaft im Dunkel versteckt lagern Exponate des Markk aus mehreren Hamburger Südsee-Expeditionen, initiiert ab 1904 durch Georg Thilenius, den ersten Direktor des damaligen „Museums für Völkerkunde“, und finanziert von Hamburger Kaufleuten.

Und auch wenn Emelihter Kihleng, die aus Palau stammende Forschungs-Stipendiatin des MARKk, diese Exponate zusammentrug, macht das nicht die Fehlstelle wett, die die Kolonisatoren hinterließen. „Es ist schade, dass ich so weit reisen musste, um Gegenstände meiner eigenen Kultur vorzufinden“, sagt Kihleng diplomatisch.

Solange das so ist, solange die Restitutionsdebatte ethnografischer Museen nicht in Rückgabe oder faire Vereinbarungen mündet, ist der Kolonialismus nicht ganz vorbei.

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