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Polen und der Zweite WeltkriegGoldrausch in Walbrzych

In einem Tunnelsystem, 70 Meter tief, soll ein verschollener Nazi-Zug stehen, beladen mit Gold. Ist an der Legende etwas dran?

Befindet sich in diesem Tunnelsystem irgendwo noch der Nazi-Zug? Foto: dpa

Warschau taz | Der „Goldzug der Nazis“ fasziniert in Polen alle. In 70 Meter Tiefe soll der gepanzerte Zug stehen, in einem eingestürzten Tunnel, der zum „Komplex Riese“ gehört. Albert Speer, Hitlers Rüstungsminister, baute in den Berg bei Waldenburg (heute Walbrzych) eine gigantische Waffen- und Munitionsfabrik hinein. Unterirdisch, sodass die Alliierten die Fabrik nicht bombardieren konnten. Zehntausende von Zwangsarbeitern – Juden wie christliche Polen – fanden hier nach meist nur drei Monaten einen furchtbaren Tod.

Dass irgendwo in diesem gigantischen Tunnelsystem ein bis heute unentdeckter Nazi-Goldzug stehen könnte, gehört zu den Legenden, die alle Touristen hören, die den „Komplex Riese“ besichtigen. Wer durch kilometerlange Tunnel gelaufen ist, riesige, taghell erleuchtete Hallen durchquert hat und mit einem Ruderboot die unterirdischen Seen bei dämmrigem Funzellicht überquert hat, glaubt diese Legende gerne. Denn nur der kleinste Teil der Tunnelanlage ist zugänglich. Die Nazis sprengten die Anlage beim Vorrücken der Roten Armee.

Dass gegen Ende des Kriegs tatsächlich ein mit Kostbarkeiten beladener Zug Breslau (heute Wroclaw) verlassen hat, scheint sicher zu sein. Doch wohin sollte der Zug fahren? Jedenfalls kam jener „Goldzug“ aus Breslau nirgendwo an. „Es ist nicht auszuschließen“, so Touristenführer Maciej Meissner auf Schloss Fürstenstein, „dass Nazis den Zug geplündert und sich aus dem Staub gemacht haben.“ Denkbar sei auch, dass „der Zug in das Labyrinth des Tunnelsystems von „Komplex Riese“ geleitet wurde und dort die Zeit bis nach dem Krieg überdauern sollte.“

Seit ein paar Tagen sind rund um die Schienenkilometer 61 und 65 auf der Strecke von Wroclaw nach Walbrzych Hunderte Hobbyschatzsucher unterwegs. Selbst die eindringliche Warnung vor einer möglichen Verminung des „Goldzugs“ hält sie nicht davon ab, in Waldfurchen nach dem angeblichen Tunneleingang zu graben.

99prozentige Sicherheit

Womöglich wäre es gar nicht zur Goldgräberstimmung in diesem Ausmaß gekommen, hätte Polens Vizekulturminister Piotr Zuchowski nicht öffentlich die Existenz des Panzerzuges bestätigt. Er sei sich „zu 99 Prozent sicher“, dass es den Zug gebe, erklärte er, nachdem er angeblich Georadaraufnahmen gesehen hatte. Experten bezweifeln, dass derartige Aufnahmen mehr als nur Unregelmäßigkeiten im Boden aufzeigen können. Zweifel bestehen auch daran, ob so ein simples Gerät die Erde bis zu einer Tiefe von 70 Metern durchdringen kann.

Schon öfter hatten Schatzsucher einen sagenhaften Fund vorausgesagt, ohne dass je etwas aufgetaucht war. Diesmal aber sollen die Entdecker ein Pole und ein Deutscher sein. Angeblich habe der Vater oder Großvater dem Deutschen auf dem Sterbebett das Geheimnis des Zuges und dessen Fundort anvertraut. Überprüfen lässt sich die Geschichte nicht, da die Entdecker des angebliches Zuges nach wie vor anonym sind.

Obwohl Lokalhistoriker und Archäologen schon gegen die Nachricht vom angeblichen Sensationsfund Sturm liefen, will nun das Kulturministerium ganz offiziell nach dem „Nazi-Zug“ graben lassen. Die Freude über die möglichen Reichtümer wird allerdings bereits getrübt durch Ansprüche, die von Russland und dem Jüdischen Weltkongress in New York angemeldet wurden. Falls im Zug Gegenstände aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion gefunden werden sollten, sei Russland der rechtmäßige Eigentümer, hieß es aus Moskau.

Kurz darauf erklärte auch Robert Singer in New York, dass „Wertgegenstände, die möglicherweise auf dem Gebiet Polen gefunden werden, aus dem Raub jüdischen Eigentums stammen können. Diese sollten zu ihren rechtmäßigen Eigentümern oder ihren Erben zurückkehren“, so Singer in einer Erklärung, die auch dem Wojewoden von Niederschlesien zugegangen ist. „Ich hege die große Hoffnung, dass die polnischen Politiker die richtigen Schritte in dieser Angelegenheit unternehmen werden“, so Singer.

Während Anwohner Sorge haben, dass bei Amateur- oder Profigrabungen tatsächlich irgendwelche Minen oder Blindgänger aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs hochgehen könnten, witzeln Polens Spaßvögel bereits im Internet: „Es handelt sich um den verspäteten Express von 2005. Die Passagiere, die damals nach Hause gehen mussten, können sich die Fahrkarte erstatten lassen – natürlich bei Vorlage der Fahrkarte.“

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2 Kommentare

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  • Entweder hat sich da jemandmit den Einheiten grob vertan, oder es ist ein wüstes Märchen.

     

    70 m Eindringtiefe für ein Georadar sind ziemlich unwahrscheinlich, weil die nötige Pulsleistung kaum darstellbar ist.

    Bisher gelten 15-20 m Eindringtiefe schon als ziemlich gut.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Wałbrzych und Wrocław, nicht Walbrzych und Wroclaw. Der Umgang der TAZ mit Sonderzeichen anderer Sprachen ist generell miserabel. Aber wenn man schon darauf meint hinweisen zu müssen, dass diese Orte heute anders heißen (man sage einem Spanier oder Italiener dann bitte auch, dass er München, Trier oder Aachen schreiben solle statt Múnich/Monaco, Tréveris/Treviri oder Aquisgrán/Aquisgrana), dann bitte in der korrekten Schreibweise.