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Platzeck über die ­Wiedervereinigung„Wir wollen mehr Begegnung“

Wie soll man etwas feiern, das viele Deutsche nicht für feierwürdig halten? Der frühere SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck über das Jubiläum der ­Wiedervereinigung.

Ein Jubiläum zum Feiern, aber auch zum Nachdenken: Mauerfall in Berlin im November 1989 Foto: imago images
Anja Maier
Interview von Anja Maier

taz: Herr Platzeck, Sie sind Vorsitzender des Gremiums, das im Auftrag der Bundesregierung die Feierlichkeiten zu 30 Jahren Mauerfall und Wiedervereinigung plant. Erst im August legen Sie die konkreten Pläne vor. Auf den letzten Drücker, oder?

Matthias Platzeck: Sinnvoll wäre es zweifelsohne gewesen, wenn die Bundesregierung die Kommission schon vor einem Jahr eingesetzt hätte. Aber nun ist es, wie es ist. Außerdem organisieren wir ja nicht nur die Feierlichkeiten. Wir sollen und wollen vor allem alles, was in diesem Jahr an Erkenntnissen gewonnen wird, auswerten, verdichten und der Bundesregierung zur Verfügung stellen, um daraus Regierungshandeln abzuleiten.

Ist es das, was die Leute wollen: schöne Reden und ganz viel Lob?

Nein. Ein roter Teppich, zwei Buchsbäumchen, dazwischen ein Rednerpult und ein Helmut-Kohl-Bild – darauf warten die Leute sicher nicht. Wir wollen deutlich mehr Begegnung, Debatte und Gespräch. Denn im dreißigsten Jahr nach der Wende müssen wir im Westen Deutschlands eine zunehmende Genervtheit gegenüber dem Osten konstatieren, gepaart mit Desinteresse. Die Rede ist: Wir haben so viel gezahlt, und die reagieren immer noch so komisch.

Und im Osten?

In Ostdeutschland spüren wir auch wieder eine zunehmende Distanz zu den Westdeutschen. Das hat auch Ursachen, über die wir noch reden sollten. Aber wenn so ein Jubiläum etwas leisten kann, dann vielleicht, dass wir anfangen, unsere eigenen Vorurteile etwas in Zweifel zu ziehen, uns wieder mehr füreinander zu interessieren. Und eines noch, ich sage das ausdrücklich im Konjunktiv: Vielleicht kriegen wir etwas hin, was der Bundespräsident vor einiger Zeit gesagt hat. Wir haben im Osten Deutschlands einen Umbruch erlebt, den in seiner Schärfe und Tiefe keine Generation im Westen seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Und die Geschichte dieses Umbruchs ist überhaupt noch nicht in die deutsche Geschichtsschreibung eingeflossen. Es weiß kaum jemand davon, was nach 1989 im Osten passiert ist.

Die Ostdeutschen wissen durchaus davon.

Wir haben im Osten einen Umbruch erlebt, den in seiner Schärfe und Tiefe keine Generation im Westen seit 1945 erlebt hat

Er hat da über die Westdeutschen gesprochen. Diese Geschichte muss also noch erzählt werden. Wenn man davon mehr weiß, fragt man sich vielleicht nicht ständig, wieso die Reaktionsmuster im Osten so sind, wie sie sind.

Was meinen Sie konkret?

Zum Beispiel, dass es im Osten in den 1990ern eine komplette Deindustrialisierung gegeben hat. Und dass es da nicht um zehntausend Arbeitsplätze ging, sondern um hunderttausende in kurzer Zeit. Dass es damals nicht um zunehmende, sondern um explodierende Arbeitslosigkeit auf 30, 40 Prozent ging.

In einem Zeit-Interview haben Sie gesagt: „1989/90 war kein Umbruch, das war ein Zusammenbruch.“

Das bezog sich auf die Jahre 1991 bis 94.

Also, wenn selbst Sie die Ereignisse so betrachten: Warum sollte man die feiern?

Anja Maier
Im Interview: Matthias Platzeck

Der Mensch

Geboren 1953 in Potsdam, studiert er nach dem Grundwehrdienst in der NVA Kybernetik. In den 80er Jahren arbeitet er als Umwelt­hygieniker in Potsdam, 1988 wird er Mitbegründer einer lokalen Umweltgruppe. Platzeck ist verheiratet, er hat drei erwachsene Töchter und lebt in der Uckermark.

Der Politiker

Platzeck gründet 1989 die Grüne Liga, im Herbst 1989/90 wird er deren Sprecher am Zentralen Runden Tisch. Er wird Mitglied der DDR-Volkskammer sowie der Übergangs­regierung und stimmt 1990 gegen die Wiedervereinigung. Nach einigen Jahren bei Bündnis 90 tritt er 1995 der SPD bei. Von 1998 bis 2002 ist er Oberbürgermeister von Potsdam, von 2002 bis 2013 Ministerpräsident von Brandenburg. Von November 2005 bis April 2006 ist er Vorsitzender der Bundes-SPD, er tritt wegen gesundheitlicher Probleme zurück.

Der Lobbyist

Seit 2014 ist Platzeck Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Der Verein wird vom Kanzleramt kritisch gesehen, seit Platzeck 2014 geäußert hatte, Russland und die Ukraine sollten die Annexion der Krim völkerrechtlich „legalisieren“. Seit Mai 2019 ist Platzeck Vorsitzender der 22-köpfigen Kommission „30 Jahre friedliche Revolution und deutsche Einheit“. (am)

Wir sollten durch die geschilderten Entwicklungen nach 1990 mit all ihren Betriebsstilllegungen, Entlassungen, einschneidenden Veränderungen des gesamten sozialen Lebens nie vergessen, es hat 1989/90 eine friedliche Revolution in der DDR gegeben und die hatte gravierende Ursachen. Eine Diktatur wurde gewaltfrei beendet durch mutige Bürger. Die Menschen wollten Selbstbestimmung und Freiheit, und vor allem sahen sie für sich und ihre Kinder mehrheitlich in ihrem Land DDR keine Zukunft und Perspektive mehr. Dass viele Betriebe marode und viele Städte am Zerfallen waren, sollten wir uns heute nicht schönreden.

Die Gräben zwischen Ost und West sind aber so tief wie lange nicht.

Ja. Ich kenne ja diese Sprüche, man sollte die Sachsen nach Polen abgeben oder die Mauer wieder aufbauen. Aber gerade deshalb wollen wir den Versuch machen, dass man bei allem nicht vergisst, dass das, was nach dem Zusammenbruch geleistet wurde, auch eigentlich etwas Phänomenales, etwas Großes ist. Das wollen wir erzählen, ohne etwas zu beschönigen oder kleinzureden. Leben ist immer konkret. Und wer damals arbeitslos wurde und bis heute gerade mal Mindestlohn kriegt, dem kannst du nicht erzählen, dass die deutsche Einheit eine Erfolgsgeschichte ist.

Stattdessen greifen viele Ostalgiker zurück auf ihre Erfahrung in einer kommoden Diktatur …

… das ist doch eine normale Reaktion.

Finden Sie das normal?

Wir sollten versuchen, nüchtern bei der Betrachtung gesellschaftlicher Vorgänge zu bleiben. Wir haben im Osten erst diesen industriellen Zusammenbruch gehabt, die völlige Umstellung unseres gesamten Lebens – bis auf die vier Jahreszeiten hat sich alles geändert, wie es immer so schön heißt. Dann hatten wir nach der Jahrtausendwende eine ganz leichte Erholungsphase, und als die Stimmung sich gerade aufhellte, kam die Finanz- und Wirtschaftskrise. Als die in ihren Folgen wenigstens abgeschwächt wurde und die Leute dachten, sie hätten wieder ein bisschen Boden unter den Füßen, kam die Flüchtlingswelle. Die Leute hatten das Gefühl, der Staat hat da was nicht im Griff. Wenn Sie drei solche Entwicklungsetappen in einer Generation durch­leben, dann darf man sich nicht wundern, wenn ein paar Zweifel – sage ich mal vorsichtig – am vorherrschenden Organisationssystem aufkommen.

Also alles halb so wild?

Nein. Aber wissen Sie, ich lege durchaus auch Wert auf die Feststellung, dass im Osten eben nicht alle rechts außen sind oder so wählen, wie das manche Wahlgrafiken nahelegen. Sondern dass auch hier oft 70, 80 und mehr Prozent der Leute sich auch bei Wahlen zu einer offenen, toleranten und demokratischen Gesellschaft bekennen.

Dieses Argument wird seit Jahren bemüht.

Es bleibt aber wahr …

… während der Zuspruch für die rechten Parteien im Osten immer weiter zunimmt.

Ich bin der Letzte, der da was schönreden will. Mir macht dabei noch ein weiterer Punkt große Sorgen: Wir hatten in diesem Land schon immer eine heftige politische Debatte. Aber bei aller damit zusammenhängenden Polarisierung gab es immer eine gemeinsame Grundlage. Im Ernstfall konnte man auf dieser Grundlage miteinander reden, Koalitionen bilden und zeitweise gemeinsam handeln. Diesen für jede demokratische Gesellschaft überlebenswichtigen Grundkonsens sehe ich bei den neuen Polarisierungen in unserer Gesellschaft schwinden.

Wo war denn die Politik, etwa in Vorpommern, wo heute die Rechten ganze Regionen dominieren und ihre eigenen wirtschaftlichen und kulturellen Räume schaffen konnten? Zu Wahlkampfzeiten rückte da die SPD-Führung an – und ward hernach nicht mehr gesehen.

Regen, Hagel oder Schnee, Schuld ist immer die SPD – wenn ich hier mal meine Partei verteidigen darf: Wenn im öffentlichen Diskurs über Jahrzehnte Parteien, vorsichtig gesagt, nicht gerade als Höhepunkt demokratischer Meinungsbildung beschrieben werden, wenn auch oft Häme ausgeschüttet wird, bleibt es nicht aus, dass immer weniger Leute in die Parteien gehen. Das erhöht die Handlungsfähigkeit von Parteien nicht und macht auch die Bestenauslese nicht einfacher.

Ach so, die Medien sind schuld.

Nein. So einfach mache ich es mir nicht. Aber die Darstellung von Partei- und Parteiarbeit gehört halt dazu. Wo erfahre ich denn bei allen berechtigten Würdigungen des Ehrenamtes in unserer Gesellschaft, dass auch über 90 Prozent der Parteimitglieder ehrenamtlich tätig sind. Dass sie sich in Gremien und Ausschüssen nächtelang den Hintern breit sitzen, um zum Beispiel gute Lösungen für die Menschen in ihrer Gemeinde zu finden. Die herkömmlichen Volksparteien haben immer versucht, auf schwierige, komplexe Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung adäquate Antworten zu finden. Das ist mühsam und oft wenig erotisch, außer für jene, die den Kompromiss lieben. Diese Antworten sind mal besser, mal schlechter. Aber allemal zielführender, als wenn ich mich dieser Mühe gar nicht unterziehe und vorgaukle, ich könne alle Fragen des Lebens mit einigen Parolen lösen. Hoffentlich verlernen wir nicht, dass immer der Kompromiss die Seele friedlichen und erfolgreichen Zusammenlebens ist.

In Ihrem ehemaligen Wahlkreis in der Uckermark erhielt die AfD bei der Kreistagswahl Ende Mai 12 Prozent, Ihre SPD, die seit 1990 Brandenburg regiert, 14 Prozent. Spüren Sie nicht manchmal etwas wie Vergeblichkeit?

Nee. Ein Vergeblichkeitsgefühl könnte nur aufkommen, wenn man denkt, Demokratie sei ein Zustand. Das ist Demokratie aber nicht. Die ist ein ganz fragiles Gebilde und damit eine tägliche Aufgabe. Der Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie ist doch: Diktatur ist heilfroh, wenn keiner mitmacht. Ruhe im Kasten, Chef kann in Ruhe regieren. Aber die Demokratie, die geht kaputt, wenn keiner mehr mitmacht. Und gerade sind wir in einer Phase, wo zu wenige aktiv mitmachen.

Sie sind ein tapferer Sozialdemokrat.

Nö, ich bin meistens ein fröhlicher Mensch. Das müssen Sie aber als Sozialdemokrat auch sein, gerade im Moment …

Wie erklären Sie sich, dass gerade in der ehemaligen DDR, einem Land, das sich als antifaschistisch verstand, so viele Menschen rechts bis rechtsextrem wählen?

Wir werden nie den einen Punkt finden, an dem man ansetzen kann, und wenn wir nur den fleißig bearbeiten, hilft das. Ich will auch nichts entschuldigen. Als evangelischer Christ bin ich außerdem der Meinung, dass jeder Mensch die Pflicht hat, sich am Riemen zu reißen und ein paar Grundbedingungen des menschlichen Miteinanders zu erfüllen. Aber natürlich hat Wahlverhalten Ursachen. Die oben geschilderten Entwicklungen haben bei Menschen im Osten Spuren hinterlassen.

Finden Sie wirklich, dass die Ostdeutschen alle traumatisiert sind?

Natürlich nicht, aber auch nicht wenige. Schauen Sie, wenn ich im Osten mit den Leuten rede, kommt zum Beispiel immer wieder das Thema Einsamkeit zur Sprache. In der Lausitz oder Vorpommern oder der Altmark höre ich diese Geschichte: Durch meine unterbrochene Arbeitsbiografie kriege ich ’ne kleine Rente, meine zwei Kinder sind auf Arbeitssuche weit weg in den Westen gegangen und kommen nur noch Ostern und Weihnachten. Diese Leute sind mit wenig Geld einsam, alleine. Solche Geschichten gibt es natürlich auch im Westen – aber im Osten ungleich mehr. Und wer ist denn damals gegangen? Die, die es sich zugetraut haben. Gut ausgebildet, fit …

… gern die Frauen.

Stimmt auch, leider – deshalb sitzen heute noch etliche Männer allein unter der Dorflinde … Aber im Ernst, wenn eine Gesellschaft solch einen Aderlass hinter sich hat, wirkt sich das aus. Das sind Erfahrungen, die machen ängstlicher und unsicherer.

Vor dem Hintergrund dieser Probleme stellt sich die Frage, wie Sie vermeiden wollen, dass im Rahmen des Festjahres zur deutschen Wiedervereinigung überwiegend rumgeopfert wird.

Zum Beispiel damit, dass wir unsere Wortwahl überprüfen. Menschen haben ein Recht darauf, dass bestimmte Sachverhalte klar und deutlich angesprochen werden. Allerdings sollte man dabei den Pfad der Wahrheit nicht verlassen. Es macht keinen Sinn, sich Dinge zurechtzureden. Zweiter Punkt: Wenn man sich mal vergegenwärtigt, was – durchaus mit Entbehrungen – am Ende entstanden ist, was für ein Gemeinwesen, dann ist das sicher nicht ideal. Aber das Leben spielt sich in Relationen ab, und um unser Gemeinwesen beneidet uns mehr als die halbe Welt. Daraus sollten wir Mut und Kraft saugen, wenn wir die nächsten 20 Jahre überstehen wollen. Die werden nämlich schwierig. Aber das wird sicher nicht gelingen, wenn wir unter den Teppich kehren, was Leute fühlen, was sie erlebt haben.

Sie selbst haben bekanntlich als Volkskammerabgeordneter von Bündnis 90 gegen die Wiedervereinigung gestimmt. Auch deshalb wird jetzt Ihre Berufung zum Kommissionsvorsitzenden kritisiert.

Wissen Sie, wir sind im März 1990 mit der Wahlaussage „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ angetreten. Damit war der Artikel 23 gemeint: kein Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Wir wollten Artikel 146: Wiedervereinigung erst nach Inkrafttreten einer gesamtdeutschen Verfassung durch Volksbefragung. Ich war also mit meiner Nichtzustimmung zum Einigungsvertrag nicht die Ausnahme in meiner Fraktion, eher die Regel. Deshalb wundere ich mich über manche Reaktion heute, 30 Jahre später.

Nun organisieren Sie das Jubiläum der deutschen Wiedervereinigung, der Sie vor 30 Jahren nicht zugestimmt haben. Passt das für Sie zusammen?

Es ging nicht um die Wiedervereinigung, sondern um den Weg dorthin. Ansonsten habe ich mich ja in den zurückliegenden 30 Jahren an der Gestaltung von Politik im Osten intensiv beteiligt. Ich durfte unter anderem Bürgermeister meiner Heimatstadt Potsdam sein und Ministerpräsident meines Heimatlandes Brandenburg. Das ist schon viel für ein kleines Leben.

Als Kommissionsvorsitzender sind Sie jetzt eine Art hauptamtlicher Ossi-Erklärer. Sie gelten auch als Russland-Versteher, weil Sie das Deutsch-Russische Forum leiten. Beides nicht vergnügungsteuerpflichtig, oder?

Nö. Aber ich mache beides trotzdem sehr gerne. Als ich nach meinem Ausscheiden aus der Politik gefragt wurde, ob ich für den Vorstand des Deutsch-Russischen Forums kandidiere, habe ich gern Ja gesagt. Denn es gilt der alte Satz von Egon Bahr: Ohne Russland wird es keinen Frieden ­geben auf diesem Kontinent.

Das klingt nach einer Mission.

Das klingt vielleicht pathetisch, aber ich empfinde es als großes Glück, dass ich meine ganzen 65 Jahre im Frieden leben konnte, und ich möchte, dass unsere Kinder und Enkel das auch können. Im Moment kümmern sich bekanntlich nicht sehr viele Menschen um das Verhältnis zu Russland. Die paar, die das tun, kenne ich fast alle persönlich. Ich finde aber, wir müssen uns darum kümmern. Es muss uns auch nicht gefallen, was in Russland politisch passiert, wir müssen das nicht gut finden. Aber es ist das größte Land der Erde, die zweitgrößte Atommacht, und der Bahr-Satz hat Bestand.

Genau genommen hat der Verein derzeit etwas mehr als 400 Mitglieder, er gilt aber als Platzecks Projekt und wird auch deshalb oft von Unionsseite kritisiert. Warum machen Sie trotzdem weiter?

Wenn uns gar keiner kritisieren würde, würden wir was falsch machen. Wir bemühen uns vor allem um zivilgesellschaftlichen Austausch. Wir organisieren den größten Sprachwettbewerb an Schulen, machen Konferenzen, Journalistenaustausche, Young-Leader-Seminare, Städtepartnerschaften. Wir bauen Brücken zwischen unseren Ländern und bemühen uns, dass andere nicht abgebrochen werden. Im Grunde ist das alles politisch gar nicht so spektakulär, wie es von einigen wahrgenommen wird.

Zu DDR-Zeiten waren die Russen nicht eben beliebt. Die deutsch-sowjetische Freundschaft war eine Pflichtveranstaltung. Wie erklären Sie sich die zunehmende Sympathie der Ostdeutschen für Putins Russland: Ist das ein antiwestlicher Impuls?

Dass es in Ost und West eine unterschiedliche Russland-Rezeption gibt, hat historische Gründe. Wovor habe ich Angst? Vor dem, was ich nicht kenne. Viele ältere Ostdeutsche kennen aber Russland auf irgendeine Weise, sie waren dort, haben die Sprache gelernt, hatten Kollegen. Und wo mehr Wissen ist, ist meist weniger Angst. Deshalb ist das hier anders. Auch wenn über die Russen geschimpft wurde, vielen haben deren Soldaten am Ende doch eher leidgetan, die hier unter schlechten Bedingungen stationiert waren.

Also kein antiwestlicher Impuls?

Nicht so schnell. Wenn nach Umfragen 50 Prozent der Ostdeutschen das Gefühl von Zweitklassigkeit haben, entsteht dadurch möglicherweise so was wie eine östliche Solidarität, ein Stück Nähe. Nach dem Motto: Mit denen wird auch nicht richtig umgegangen.

Wenn die große Einheitsparty 2020 zu Ende geht, was sollte Ihre Kommission dann bestenfalls erreicht haben?

Erstens: dass wir mehr voneinander wissen – in Ost und West. Zweitens: dass wir ein Stück frohgemuter in die nächsten Jahre gehen, weil wir uns vergewissert haben, dass Unwahrscheinliches geleistet wurde. Und zwar friedlich. Und drittens wünsche ich mir, dass wir uns als Land wieder mehr in den Kontext zu unseren Nachbarn setzen. Ohne die anderen geht es bekanntlich nicht. Ohne die Nachbarn oder gegen sie wird es für uns kein schönes Leben geben. Oder es führt gar zum Krieg. Dessen sollten wir uns bewusst sein.

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2 Kommentare

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  • Platzeck managte ja schon den BER - der kann es.

    • @Wellmann Juergen:

      So langsam beschleicht mich das Gefühl, gewisse Leute sollten endlich dazu stehen, dass sie sich auch als Opfer fühlen, statt so zu tun, als wären sie wahnsinnig cool. Sie müssten dann vielleicht nicht ganz so neidisch sein auf Leute, denen ihr privates Image wo vorbei geht.

      Da mussten 1990 ein paar Alphatiere unbedingt die Europäische Einheit vollenden, weil sie dringend noch zu Lebzeiten in die Geschichtsbücher eingehen wollten. Um die Details des ehrgeizigen Ziels sollten sich allerdings wieder andere kümmern. Leute, die gar nicht mitentscheiden durften. Hätte man die von oben her vereinten Deutschen eingebunden in den Prozess (Artikel 146), würden sie womöglich heute etwas mehr Verantwortung empfinden dafür. Hat man aber nicht. Wahrscheinlich fällt es vielen Leuten deswegen so leicht, eine Minderheit dermaßen aufzublasen, dass sie zur ernsthaften Gefahr nicht nur für die deutsche Einheit wird, sondern auch für die Demokratie.

      Was wir brauchen, ist keine Einheitssicht auf die Geschichte, Leute. Was wir brauchen ist der Wille, unterschiedliche Erfahrungen nebeneinander stehen zu lassen. Die Angst vor dem Fremden hilft niemandem. Offenheit macht das Leben und das Lernen leichter. Einem selber und auch anderen. Aber manchmal glaube ich, genau das ist gar nicht gewollt. Wer so richtig konservativ geprägt wurde, der will es niemandem leichter machen. Nicht mal sich selber. Der will lieber glänzen. Notfalls auch als Held im Kampf gegen Probleme, die er zuvor eigenhändig geschaffen hat.