piwik no script img

Plattenladenbesitzerin über Lockdown„Nicht müde, wenn ich zu Bett gehe“

Die Hamburger Plattenladenbetreiberin Marga Glanz spricht über schlechte Umsätze zu Pandemiezeiten, fehlende soziale Treffpunkte und hohe Margen auf Vinyl.

„Aber einige Majors halten Vinyl-Käufer für Idio­ten, denen man alles unterjubeln kann“: Marga Glanz Foto: Jan Paersch
Jan Paersch
Interview von Jan Paersch

taz: Marga Glanz, wie wichtig ist Ihr Hamburger Plattenladen Groove City in Krisenzeiten?

Marga Glanz: Wir brauchen Plattenläden dringender denn je! Als ich Groove City 2005 übernommen habe, dachte ich, dass ich mit meinen Kunden alt werden und irgendwann gemeinsam mit ihnen in Rente gehen würde. Aber: Inzwischen kommen viele junge Leute, die Vinyl für sich entdecken. Warum sie das tun, weiß ich nicht genau – sie sind ja nicht mit Tonträgern aufgewachsen. Aber es gibt trotz freier Verfügbarkeit von Musik im Netz ein Bedürfnis, sich an haptischen Dingen festzuhalten. Gerade auch jetzt. Eine Plattensammlung ist wie ein Tagebuch. Wenn ich meine alten Platten anschaue, weiß ich, wann ich sie gekauft habe und wie es mir damals ging.

Im Interview: Marga Glanz

62, gelernte Arzthelferin, wuchs in einem Dorf nahe dem niedersächsischen Hitzacker auf. In den achtziger Jahren zog sie nach Hamburg, wurde DJ und arbeitete im Plattenladen Zardoz. 2005 übernahm sie den Plattenladen Groove City und zog mit ihm ins Karolinenviertel. Heute ist es die beste Adresse für Jazz, HipHop, Funk, Soul, Reggae, Afro-Sounds und Musik aus aller Welt in Hamburg. Vor einigen Jahren wählte CNN Groove City unter die zehn besten Plattenläden der Welt. https://groovecityrecordstore.com/

Wie sehr trifft Sie als Plattenhändlerin nun die Coronapandemie?

Ich bin krisenerprobt. Groove City habe ich in der größten Krise der Musikindustrie übernommen, als HipHop-DJs, die vorher alles dreimal gekauft haben, auf einmal nichts mehr gekauft haben. Und es ging dennoch.

Wie ist es Ihnen im ersten Lockdown ergangen und wie gehen Sie nun mit der erneuten Schließung um?

Das Frühjahr war nicht leicht. Aber die Online-Musikdatenbank discogs.com war damals eine große Hilfe. Vorher hatten wir dort nur Sachen verkauft, die wir übrig hatten. Seit Ende März haben wir dort jeden Tag zehn Stunden Alben eingestellt. Die Leute haben aus Solidarität sehr viel gekauft. Wir haben in Länder mit noch härterem Lockdown verschickt, nach Frankreich, Belgien und Italien. Das hat uns gerettet, und das rettet uns noch immer.

Wird in Zeiten der Pandemie andere Musik gekauft?

Viele Alben, die eher in Bars aufgelegt werden, sind seit Monaten nicht mehr angefasst worden. Wir haben die jetzt in andere Kisten geschmuggelt, damit sie noch durchgeblättert werden: etwas verquerere Musik, aber auch Singles. Da fehlen die Multiplikatoren, denen man solche Werke in die Hand drückt, damit sie in die Bars und Clubs getragen werden. Und so die nächsten Käufer*innen anlocken.

Bislang gab es schlechte Umsätze vor allem an Regen- und sehr heißen Tagen. Und jetzt …

… sind alle Tage schlechte Umsatztage. Und freudlose dazu. Wir machen normalerweise fast jede Woche eine Veranstaltung. Groove City ist auch ein sozialer Ort. Die Vorstellung, dass wir noch Monate geschlossen bleiben müssen, ist schwer auszuhalten.

Viele Veranstaltungen, gerade mit türkischer Musik der 1960er und 1970er, wurden von Ihrem Kollegen Sebastian Reier organisiert, der nun als Musikdramaturg an die Münchner Kammerspiele gewechselt ist.

Ich vermisse ihn, auch weil er so viel angestoßen hat. Durch Sebastian haben sich Menschen mit der Musik ihrer Eltern auseinandergesetzt. Sie haben sich gesagt: Die Alten mögen konservativ sein, aber sie haben wirklich progressive Musik gehört. Sebastian hat da Pionierarbeit geleistet.

Auch Sie sind für Ihre Expertise in den Genres Soul, Funk, Jazz und HipHop bekannt.

Groove City versteht sich als Anlaufpunkt für Leute mit weltoffenem Geschmack. Angenommen, jemand beginnt duch Sebastian Reier türkische Musik zu entdecken, kann er bei uns noch eine Menge mehr finden. Wir selbst entdecken auch ständig Neues. Die Leute vertrauen uns und nehmen Empfehlungen mit.

Was finden Sie gerade gut?

Wir sind große Fans des Soulsängers Kelly Finnigan, der war unser Bestseller 2020. Sein Vertrieb sagte uns, dass wir allein mehr Vinyl von ihm verkauft hätten als alle anderen Plattenläden Deutschlands zusammen.

Warum ist Vinyl so teuer?

Wir haben eine Marge wie im Buchhandel und schlagen etwa 30 bis 40 Prozent drauf. Ich kotze, wenn ich sehe, wie viel die Platten im Einkauf kosten. Es macht keinen Spaß, den Leuten 30 Euro abknüpfen zu müssen. Viele Majorlabels nerven mich. Die schicken winzige Pakete, und am Monatsende soll ich tausende Euro dafür zahlen? Es gibt Firmen, die es sehr wohl preiswerter schaffen: Habibi Funk und Jakarta Records zum Beispiel. Aber einige Majors halten Vinyl-Käufer für Idio­ten, denen man alles unterjubeln kann.

Wer ist aus Sicht der Musikliebhaberin schlimmer: Amazon oder Spotify?

Beide sind Krisengewinnler, und ich finde beide zum Göbeln. Ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn Spotify den Musiker*innen mehr Geld geben würde und wenn Amazon anständig Steuern zahlen würde. Aber so wie es jetzt ist – das geht gar nicht.

Was passiert mit dem Musikgeschäft 2021?

Ich habe Angst, dass viele Läden es nicht schaffen werden. Oft liegt in Hamburg das Augenmerk auf Schlagermove und Musical. Glücklicherweise haben wir mit Carsten Brosda nun einen Kultursenator, der Clubs wie dem Knust hilft. Und er weiß: Solche Orte sind nicht nur Beiwerk. Wenn es die nicht mehr gibt und auch die kleinen Läden wie meinen nicht mehr – warum sollte dann noch jemand nach Hamburg kommen wollen?

Was stimmt Sie optimistisch?

Wie sehr die Menschen die Welt von Clubs und Kneipen vermissen. Am Tresen stehen und Quatsch labern! Tanzen! Ich merke: Ich bin oft gar nicht müde, wenn ich ins Bett gehe. Mein Gehirn braucht auch Kino und Theater. Ich sehe und höre schon gar nicht mehr richtig. Wir sind soziale Wesen, wir brauchen einander. Wir müssen uns treffen, diskutieren, streiten, umarmen. Das fehlt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Der Witz ist, daß die, die den Schallplatten (ich weigere mich, das Wort Vinyl zu benutzen, mittlerweile heißt der PVC-Bodenbelag auch schon Vinyl-~ *kopfschüttel*) ab ca. mitte der 90er die Stange gehalten haben, nämlich die verschiedenen Subkulturen incl. meiner=Punk, jetzt gearscht sind, weil die Platten teurer werden, da die Presswerke seit paar Jahren Morgenluft gewittert und die Preise "angepasst" haben.



    Ebenso wars bis vor paar Jahren so, daß die, die immer unermüdlich ihre (Subkultur) im kapitalistischen Sinne total bekloppte Kleinauflagen haben pressen lassen, sich auf einmal hintenanstellen mussten, da auch unbedingt die neue "Madonna" und deren Backkatalog (nix gegen Madonna persönlich, die ist schon cool) auf Platte rauskommen musste.



    Und was die DJane*s angeht; Elektromugge is eher ned soo meine Baustelle, aber des mit simulierten Plattendecks zu machen ist ned cool.



    Und von den "neuen" Plattenliebhabern hat vermutlich ned mal die Hälfte ein Abspielgerät und bei denen wird er nur entstaubt, wenn die vermeintlich coolen Duttkumpels kommen (damit es so aussieht als ob das Teil in ständigem Gebrauch ist), also diesjahr eher weniger...



    Magda Glanz drücke ich natürlich die Daumen, daß ihr Plattenladen weiterläuft!

  • & weiter geht’s im Text - Mailtütenfrisch

    “ noch `n Apple un`n Ei







    "Wer ist aus Sicht der Musikliebhaberin schlimmer: Amazon oder Spotify?" Gibt`s eigentlich apple i-tunes noch? Wenn ja, ist das nicht auch Konkurrenz? Oder ist apple als Liebling der Medien-Schaffenden sakrosankt? "und auch die kleinen Läden wie meinen nicht mehr – warum sollte dann noch jemand nach Hamburg kommen wollen?" Das sind so Fragen...“

    Sorry - hier schweigt der Kleingärtner - 🤫 -

  • Däh&Zisch Mailtütenfrisch plattelt nach:

    “ "..Eine Plattensammlung ist wie ein Tagebuch. Wenn ich meine alten Platten anschaue, weiß ich, wann ich sie gekauft habe und wie es mir damals ging.."



    Wenig Platten? Oder wenig anderes Leben?



    Viniyl wird wieder doch deshalb gepusht, weil es nicht so einfach kopierbar ist. “ Ooch wieder wahr! - 🤫 -

    kurz - Anyway. Hauptsache nicht auffem Schlauch stehn oder nen Platten.

    • @Lowandorder:

      Irgendwie fühle ich mich zu

      Lagomorpha

      hingezogen.

  • Vielen Dank für das interessante Interview, aber 30 bis 40 % Aufschlag auf den Nettoeinkaufspreis ist keine "hohe Marge". Ansonsten, wie gesagt, sauberes Interview.

  • Ich sammel seit fast 40 Jahren Schallplatten und kenne viele Sammler und Händler. Aber das jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der viele Platten aus Solitarität bei einen Profihändler kauft, schon gar nicht auf discogs, habe ich noch nie gehört.

  • 0G
    02881 (Profil gelöscht)

    Ich denke was langfristig für die Vinylszene eine Problem werden wird ist das so langsam verlorengehende Know How in der Herstellung. Ich höre viel Vinyl und von aktuellen Pressungen sind ca. 30-40% unter aller Sau. Das ist bei kleinen Indielabels nicht anders als bei der Industrie. Es reicht halt einfach nicht wenn Hipster alte Presswerke kaufen...

    Noch eine (sorry, Schlaumeier-) Anmerkung : Vinylreissues mit türkischer Musik (Rock/Pop/Arabeske) stehen seit 15 Jahren in den Plattenläden. Ist also weniger ein aktuelles Phänomen.

  • Guter Beitrag.

    ...Eine Plattensammlung ist wie ein Tagebuch. Wenn ich meine alten Platten anschaue, weiß ich, wann ich sie gekauft habe und wie es mir damals ging..

    Schöner Satz.

    Jawohl, meine überlebenden Schallplatten stehen schön warm im Regal.



    Ab und zu nur Hülle betrachten.



    Dieses Herausziehen der Platte und dann auflegen mit meinem in die Jahre gekommenen PS, keine Automatik für die erste Rille.

    ... Mein Gehirn braucht auch Kino und Theater. Ich sehe und höre schon gar nicht mehr richtig. ...

    Auch schön!

    • @Ringelnatz1:

      Ich habe alle meine LP meiner damaligen Freundin geschenkt.

      Die war DJane. Das ist sie immer noch, aber nicht mehr meine Freundin.

      • @Jim Hawkins:

        Ick lache jrade!

        CDs sind



        Sondermüll



        mit Verpackung



        Sperrmüll!

        Vinyl only - 50 Jahre Platten-Pedro in Berlin

        www.youtube.com/watch?v=BAd6XM01VuY

        Du darfst kehn Ehrgeiz haben vor allem.



        Ehrgeiz is janz schädlich.

        Juti, der Mann und Menschenschlag.

        • @Ringelnatz1:

          Sojet kenn ich. Nobis-Plattenladen Bonn



          www.google.de/sear...e-de&client=safari



          Da hamer mal gespielt. Der is so vollgeknallt. Hatte echt janz kleenes Besteck - aber echt hochkant - wa!



          Dat schärfste durch & rechte & links & Däh - sone Art Bad/Toilette - vollregalt - daßde auf die Schüssel nur quer & gehockt usw traumhaft - aber ewig & allet am Start!!

        • 0G
          02881 (Profil gelöscht)
          @Ringelnatz1:

          Jaaa, Platten-Pedro!! War nach 10 Jahren Unterbrechung dieses Jahr wieder öfters dort... und jedesmal was gefunden. Sehr cool!

      • @Jim Hawkins:

        Ja wie? Lenco 85 - LP‘s - laß erst mals alles fahren dahin! Hat kein Gewinn.



        (ok ok Herbie Mann Memphis Underground - steht noch im Regal!;)

        kurz - Kerberos (griech. Κέρβερος, latinisiert Cerberus, dt. auch Zerberus – „Dämon der Grube“ - is mir - gar nicht genderneutral - 😂 - & dreiköpfig!



        Paschd scho - 🤫 - was da alles so reinpaßt bzw nicht mehr rauskommt!👹



        de.m.wikipedia.org...erberus-Blake.jpeg Nich to glöben - 😱 -



        Inferno, Canto VI, 12-35, Cerberus – Zeichnung von William Blake (Illustration zu Dantes Göttlicher Komödie), 1825 (National Gallery of Victoria, Melbourne)

        • @Lowandorder:

          Am meisten reut mich eine Platte von Mittagspause, live im Ratinger Hof.

          Mit Unterschrift von Peter Hein.

          Und eine von Fehlfarben. Auch mit Unterschrift von Peter Hein. Allerdings steht da Rank Xerox.

          Da hat er ja immer gearbeitet. Neben dem Musikmachen.

          Das letzte Fehlfarben-Album, das ich mir geholt habe, war "Knietief im Dispo". Was heißt geholt, ich habe kalte Bits und Bytes heruntergeladen.

          Und bekam den Club der schönen Mütter:

          www.youtube.com/watch?v=Lr4WqZ3lAnM

          Mit der lovely Charlotte Roche.

          • @Jim Hawkins:

            Ach was! Verbotene Stadt & “Wo das Wasser fällt…“ But.

            Was verschlug denn einen Älpler in den Ratinger Hof?



            de.m.wikipedia.org...f_Ratinger_Hof.jpg

            unterm—— Dank ins around —



            Bin da ja völlig unbeleckt - 🤫 - hatte ja grad 9 1/2 Jahre Westfälisch Sibirien am Stau! - 😱 -

            • @Lowandorder:

              Verbotene Stadt- nix mit am Hut,



              Sind wir ab und an selbst aus Köln hingepilgert.

              • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

                Aber schwierig einst zu finden - hin - wie werr trüch!!! Newahr.



                Normal!

                unterm—— 😂 -



                Bekanntlich finger ich an zwei crossing over Sessions - teils federführend mit!;))

          • 0G
            02881 (Profil gelöscht)
            @Jim Hawkins:

            Ah ja, die erwähnte Mipau-Platte kenn ich,... hat eher historischen Wert (finde ich). Die späteren Fehlfarben Platten haben leider nicht mal das. Also trauern lohnt sich da nicht.

            Aber was macht eine DJane mit Mittagspause und Fehlfarben?

      • 0G
        02881 (Profil gelöscht)
        @Jim Hawkins:

        Ich hatte vor 20 Jahren alle meine CDs meiner damaligen Freundin geschenkt. War glaube ich die bessere Entscheidung.