Plagiatsjäger über von der Leyen: „Auf fast jeder zweiten Seite Plagiate“
Muss die Ministerin zurücktreten? Die Frage interessiere ihn nicht, sagt Plagiatsjäger Gerhard Dannemann. Einen Doktor aber habe sie nicht verdient.
taz: Herr Dannemann, die Dissertation von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stammt aus dem Jahr 1990. Warum erheben Sie heute Plagiatsvorwürfe?
Gerhard Dannemann: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist zufällig. Die Untersuchungen laufen schon länger und haben nun den Stand erreicht, wo man nach den üblichen Maßstäben von Vroniplag-Wiki gar nicht anders konnte, als die Dissertation ins Netz zu stellen. Es gibt 37 Passagen, die klar gegen Zitierregeln verstoßen. Zwanzig weitere hat man großzügig behandelt und in einer Grauzone belassen. Insgesamt betrachtet hat man fast auf jeder zweiten Seite Plagiate entdeckt.
Gibt es eine Regel, wann Sie die Arbeit öffentlich machen?
VroniPlag Wiki veröffentlicht nur Arbeiten, in denen Plagiate auf vielen Seiten dokumentiert sind. Beim Sichten der Vorwürfe gilt das Vier-Augen-Prinzip. Zwei Personen müssen unabhängig voneinander Original, Quelle sowie die jeweilige Seiten- und Zeilenzahl abgeglichen haben. Vor allem müssen sie in ihrer Bewertung übereinstimmen, ob das ein Plagiat ist oder nicht. Bei der Frage der Veröffentlichung gibt es keine magische Zahl. Über den Daumen gepeilt würde ich sagen: bei 20 Prozent der Seiten. Bei Frau von der Leyen ist die Zahl der Seiten mit Plagiaten mehr als doppelt so hoch.
Bei der Dissertation der damaligen Bildungsministerin Annette Schavan hat sich VroniPlag gegen die Veröffentlichung entschieden. Hat Frau Schavan weniger abgeschrieben?
Auch Frau Schavans Arbeit wurde seinerzeit auf VroniPlag Wiki analysiert. Die Sachlage ist aber eine andere. Die Universität Düsseldorf hat noch einiges gefunden, was im Wiki nicht bekannt war. So gesehen hätte man auch Frau Schavans Arbeit veröffentlichen können. Dennoch: Wenn man die Zahl der betroffenen Seiten, die Zahl der Plagiate und die Qualität der Plagiate mit der Doktorarbeit von Frau von der Leyens Arbeit vergleicht, dann ist das Plagiat bei Frau Schavan weniger auffällig.
Spielt es in Ihrer Bewertung eine Rolle, in welchem Fachbereich die Dissertation angesiedelt ist?
Bei den Medizinern ist bekannt, dass sie die allgemein in der Wissenschaft geltenden Regeln über den Umgang mit Quellen vielleicht etwas laxer handhaben. Von den 152 veröffentlichten Plagiatsfällen sind 85 medizinische Arbeiten. Im Fall von der Leyen muss letztlich aber die Medizinische Hochschule Hannover entscheiden, was sie für hinnehmbar oder entschuldbar hält.
ist Professor für Englisches Recht sowie britische Wirtschaft und Politik am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist einer von vier Administratoren der Plattform VroniPlag Wiki, auf deren Recherchen der Plagiatsverdacht gegen von der Leyen beruht.
Wo ist die Trennlinie zwischen unsauberer Arbeit und Betrug?
Unsaubere Arbeit und Täuschung schließen sich nicht aus. Im Wiki hält man sich durchgehend an die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Die nehmen ab einer gewissen Häufigkeit vorsätzliche Täuschung an, wenn die Verfasser versichert haben, die Zitierregeln befolgt zu haben. VroniPlag Wiki trifft darüber aber gar keine Aussage. Wir veröffentlichen eine Dokumentation, wenn die von der Rechtsprechung verlangte Häufigkeit sehr klar erreicht ist. Natürlich kommt es da auf die weiteren Umstände an, die aber VroniPlag nicht berücksichtigt.
Die Arbeiten von Frau Schavan oder Frau von der Leyen liegen Jahrzehnte zurück. Ist es nicht kleinlich, Politikerinnen jetzt dafür zu kritisieren?
Das muss man in der politischen Diskussion berücksichtigen. Daran nimmt VroniPlag Wiki nicht teil. Das Wiki stellt auch keine politischen Forderungen.
Aber Sie müssen sich doch über die Folgen im Klaren sein.
Wir sind uns dieser Folgen bewusst. Dennoch geht es um die wissenschaftliche Arbeit. Und die ändert sich ja nicht über die Zeit. Fehler, die man 1990 gemacht hat, werden heute nicht größer oder kleiner. Als sich bei Frau von der Leyen abzeichnete, dass die Arbeit viele Mängel hat, zögerten manche zunächst, die Dokumentation zu veröffentlichen. Schließlich wollte aber keiner die Arbeit deshalb nicht veröffentlichen, weil es sich um eine bekannte Politikerin handelt. Es sollten dieselben Maßstäbe gelten.
Sind Sie der Auffassung, dass Frau von der Leyen zurücktreten müsste?
Mich interessiert mehr die wissenschaftliche Seite. Der Doktortitel hätte für diese Arbeit nicht verliehen werden dürfen. Ich würde es aber für ungut halten, wenn die oberste Dienstherrin der Bundeswehrhochschulen insistieren würde, dass man so wissenschaftlich arbeiten darf. Das wäre der Wissenschaft nicht dienlich.
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