Plagiate an deutschen Hochschulen: Jagd auf Fälscher
Mit der Doktorarbeit von Ex-Minister zu Guttenberg ging 2011 ein Beben durch die Unis. Wie haben Plagiatsjäger die Wissenschaft verändert?
Fast genau zehn Jahre ist es her, dass die gefälschte Doktorarbeit des damaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg bekannt wurde und zu einem Beben in der Politik und im Wissenschaftssystem führte. Zugleich war es die Geburtsstunde der Plagiatsplattformen im Internet. Wie hat sich die Suchtechnik der digitalen Betrugsfahnder seitdem entwickelt? Und hat an den Hochschulen mittlerweile eine Kultur der Vorsorge und Plagiatsprävention Einzug gehalten? Eine Spurensuche.
Rückblick: Am 16. Februar 2011 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung erste Hinweise eines Bremer Rechtswissenschaftlers, wonach in der juristischen Dissertation, für die der aufstrebende CSU-Politiker zu Guttenberg von der Universität Bayreuth den Doktortitel erhalten hatte, etliche Passagen aus anderen Texten ohne Quellenangabe übernommen worden waren.
Tags darauf gründete sich die Online-Plattform GuttenPlag Wiki, die die Textpassagen der öffentlich zugänglichen Dissertation per Internetsuche mit anderen Texten verglich. Wenig später entstand die Plattform VroniPlag Wiki mit dem Ziel, Plagiate in Hochschulschriften zu dokumentieren. Weber-Wulff kam im April 2011 dazu.
Plagiat Eine unerlaubte Aneignung fremder geistiger Leistungen wird als Plagiat bezeichnet. Der Plagiatsvorwurf beschreibt nicht zwingend eine Rechtsverletzung, sondern kann auch moralisch sein.
Urheberrechtsverletzung Das Urheberrecht schützt nur die Formulierung, nicht die Idee. Eine Formulierung ist aber auch nur dann rechtlich geschützt, wenn sie eine gewisse „Schöpfungshöhe“, das heißt Originalität, erreicht hat. Banale Formulierungen werden nicht erfasst.
Wissenschaftliches Zitieren In wissenschaftlichen Arbeiten muss jede fremde Idee, Aussage und Argumentation durch Angabe der Quelle kenntlich gemacht werden.
Annalena Baerbock Plagiiert hat Annalena Baerbock an mehreren Stellen. Es ist aber zweifelhaft, ob damit auch das Urheberrecht verletzt ist, weil es sich bei den übernommenen Passagen meist um kurze sachliche Aussagen handelt. Den Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens muss ihr Buch jedenfalls nicht genügen. (chr)
Plagiate auf 94 Prozent der Seiten
Das Ergebnis von GuttenPlag Wiki: auf 94 Prozent aller Seiten der Guttenberg-Arbeit waren Plagiate enthalten. Am 21. Februar stellte sich Bundeskanzlerin Merkel noch vor ihren Minister, der bis dahin jede Schuld abstritt. Aber der öffentliche Druck wurde zu groß, vor allem nachdem die Uni Bayreuth Guttenberg in einer schnellen Entscheidung den Doktorgrad aberkannte. Am 1. März trat der Politiker von allen Ämtern zurück. Andere deutsche Politiker sollten später folgen, darunter Deutschlands oberste Wissenschaftsministerin, Annette Schavan.
Die Missetäter standen am Pranger. Aber auch das Wissenschaftssystem, deren Hochschulen die inkriminierten Arbeiten zunächst gebilligt hatten, häufig mit zugedrücktem Auge, zog Kritik auf sich. „Eine breite Welle grundsätzlicher Kritik am deutschen Promotionsverfahren“ setzte ein, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie zusammenfasste.
Und es wurden Forderungen erhoben, um gegen den befürchteten „Qualitätsverfall“ vorzugehen, etwa durch eine bundesweite Stichprobenkontrolle von Dissertationen durch Bundesbildungsministerium und Deutsche Forschungsgemeinschaft. Debora Weber-Wulff schlug eine nationale „Beratungsstelle Plagiat“ vor, die präventiv wirken und Verstöße ahnden sollte. Noch im Jahr 2011 beschloss der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zu „Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion“.
Konkret sprach er sich unter anderem dafür aus, „Doktorandinnen und Doktoranden einen einheitlichen Status zu geben und zusätzlich zu den Betreuerinnen und Betreuern durch ein fachnahes Promotionskomitee zu begleiten“. Auch „die Unabhängigkeit von Begutachtung von Dissertationen“ müsse verbessert werden, so das Beratungsgremium.
„Einige Male befasst“
Auch die Hochschulrektorenkonferenz als oberste Interessenvertretung der deutschen Universitäten und Fachhochschulen war gefordert. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren einige Male mit der Qualitätssicherung von Promotionen befasst“, berichtet Monika Gross, die dem Leitungsgremium der Hochschulrektorenkonferenz als Präsidentin der Berliner Beuth-Hochschule für einige Jahre angehörte, der taz.
Im Jahr 2016 habe man den Beschluss zur Qualitätssicherung der Promotionen in der Medizin verabschiedet, 2017 Stellung zu Promotionen mit externen Arbeitsverträgen bezogen, 2018 gemeinsame Grundsätze bei der Kooperation von Hochschulen und Wirtschaft bei Promotionen entwickelt. „Natürlich müssen die qualitätssichernden Maßnahmen von den Universitäten auch umgesetzt werden!“
Wie weit das flächendeckend in den letzten zehn Jahren geschehen ist, darüber gehen die Ansichten auseinander. An Guttenbergs Heimathochschule, der Uni Bayreuth, wurde ein eigenes Graduiertenzentrum eingerichtet, das die Promovenden bei der Forschung und dem Verfassen ihrer Dissertation begleitet, und eine „Plagiats-Findungs-Software“ eingeführt. Andere Hochschulen unternahmen ähnliche Schritte.
„Halbherzig“ findet Debora Weber-Wulff die Antworten des Wissenschaftssystems. „Es ist kaum etwas passiert.“ Deswegen haben die Plagiatsfahnder von VroniPlag Wiki ihre Arbeit fortgesetzt. Die Internetplattform ist nach der Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Veronica Saß, benannt, einem der ersten Prüfungsfälle der ehrenamtlich Tätigen.
Eingangsbestätigung nach 30 Minuten
Nur wenige Mitglieder des Teams sind mit Namen bekannt. Neben Weber-Wulff gehört dazu auch Gerhard Dannemann, Jurist und Professor an der Humboldt-Universität, der sich mit der Arbeit Franziska Giffeys beschäftigte und dazu auch in einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus Stellung bezog.
Inzwischen sind auf VroniPlag Wiki 211 Fälschungsarbeiten aus den letzten zehn Jahren dokumentiert. Seine Funde schickt die Plattform dem Präsidium der betroffenen Hochschule, dem Dekanat und der Ombudsperson für gute wissenschaftliche Praxis. „Manche haben sehr schnell reagiert, der Rekord ist eine Eingangsbestätigung nach 30 Minuten“, berichtet Weber-Wulff.
Meist aber dauert es. „Ich kann von außen nicht unterscheiden zwischen einem Fall, der sich hinschleppt oder vergessen worden ist, oder der bewusst verzögert wird.“ So gebe es am Klinikum Charité oder an der Humboldt-Universität viele Fälle, die bereits 2014 gemeldet wurden. „Mir ist aber bis heute nicht mitgeteilt worden, wie die Fälle entschieden worden sind“, so die Plagiatsfahnderin.
Besonders die Charité, wo die Plagiatsjäger 33 Fälle identifiziert haben, weigere sich, die Namen der Plagiierenden zu nennen und die Kataloge zu kennzeichnen. Sie sagte nur, wie viele Fälle noch offen sind und wie viele entschieden.
Stunde der Einzellösungen
In etwa einem Drittel der gemeldeten Fälle seien die Doktorgrade entzogen worden, erklärt die Informatikprofessorin. Doch offensiv gehen die Universitäten damit nicht um: Nur bei etwa einem Drittel erfahre man durch die Deutsche Nationalbibliothek und den Universitätskatalog, dass es sich um ein Plagiat handelt. „Bei etwa einem Drittel weiß man nicht, ob der Doktorgrad entzogen wurde“, so Weber-Wulff. Über das letzte Drittel seien es die Informationen vage.
Um Plagiate aufzudecken, müsse in der deutschen Wissenschaftslandschaft noch einiges geschehen, so die Einschätzung der Plagiatsspezialistin. In den letzten Jahren wurde laut Weber-Wulff ein umfangreiches Akkreditierungssystem für Hochschulen mit eigenständigen Bewertungsagenturen aufgebaut, die kontinuierlich die Einhaltung wissenschaftlicher Standards überprüfen.
Sie könnten laut Weber-Wulff noch stärker in den Kontrollprozess einbezogen werden – was auch zu einer besseren statistischen Grundlage der Plagiatsproblematik führen würde: Derzeit weiß niemand, wie viele Täuschungsfälle es gibt, weil keine Meldepflicht besteht. „Die Akkreditierungsbehörden sollten anfangen, die Hochschulen nach ihren Zahlen zu fragen: Wie viele Fälle gab es und wie lange dauerte es, sie zu bearbeiten?“, schlägt die HTW-Professorin als Erhebungskriterien vor.
Noch ist allerdings die Stunde der Einzellösungen – so auch an der Freien Universität Berlin, wo deren Präsident Günter Ziegler im Akademischen Senat in der vorigen Woche weitere strukturelle Konsequenzen aus dem Fall Giffey vorschlug. So sollten etwa die Kompetenzen der Ombudsleute für wissenschaftliches Fehlverhalten, die bisher häufig nur Kummerbriefkästen sind, gestärkt werden.
Auch sollte Plagiatssoftware breiter genutzt und die gewonnenen Erkenntnisse sollten besser vernetzt und weitergeleitet werden. Der Fall Giffey habe der Freien Universität „zu einer noch stärkeren Sensibilisierung verholfen“, sagte Ziegler in der Gremiensitzung der FU.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel