Plädoyer im Münchner NSU-Prozess: Der treue Helfer
Als enger Unterstützer des Trios soll André Eminger für zwölf Jahre ins Gefängnis. Am Dienstag plädierten seine Verteidiger – und forderten Freispruch.
Die Bundesanwaltschaft hält Eminger, der heute 38 ist, für die „engste Bezugsperson“ des NSU während der Zeit im Untergrund. Sie wirft Eminger Beihilfe zum versuchten Mord, zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, zum Raub und zur schweren Körperverletzung vor und fordert in ihrem Plädoyer im September 12 Jahre Haft. Weil das Strafmaß so hoch ist, bestehe Fluchtgefahr, argumentierte der Bundesanwalt und beantragte Untersuchungshaft.
Drei Mal soll Eminger laut Anklägern ein Wohnmobil für den NSU angemietet haben. Damit sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zweimal nach Chemnitz gefahren sein, um dort Banken zu überfallen, und einmal im Dezember 2000 nach Köln. Dort sollen die beiden Männer bei einem iranischstämmigen Einzelhändler in der Probsteigasse einen Sprengsatz deponiert haben, der in einer Christstollendose versteckt war. Als die Bombe im Januar 2001 explodierte, wurde die Tochter des Einzelhändlers schwer verletzt.
Angeblich damals kein gefestigtes rechtes Weltbild
Außerdem, so die Bundesanwaltschaft, soll Eminger für den NSU Bahncards beschafft, eine Wohnung angemietet und Beate Zschäpe bei der Polizei als seine Ehefrau Susann ausgegeben haben. Zschäpe selbst hat im Prozess Eminger und seine Frau als enge Freunde beschrieben, wöchentlich habe man sich getroffen, häufig seien die Kinder der Emingers dabei gewesen. In die Raubüberfälle habe sie Eminger eingeweiht, sagte Zschäpe. „Von den Tötungsdelikten und Bombenanschlägen erfuhr er jedoch nichts.“
Eminger, der dem Prozess bislang meist betont unbeteiligt gefolgt ist und während der ganzen Zeit schwieg, hört Hedrich und seinem Co-Verteidiger Michael Kaiser an diesem Dienstag aufmerksam zu. Er trägt eine dunkelrote Sportjacke, die bis oben geschlossen ist. So sieht man nur auf den Handrücken, wie heftig tätowiert der Mann ist. Eminger lächelt immer wieder, mal tuschelt er mit seiner Frau Susann, die als Beistand neben ihm sitzt. Die beiden halten während der ganzen Zeit Händchen. Eminger scheint mit dem Vortrag seiner Verteidiger zufrieden zu sein.
Diese versuchen zunächst an dem Bild zu rütteln, dass Eminger schon zur Tatzeit ein überzeugter Neonazi war. Das Tatoo „Die Jew die“, das Eminger sich neben vielem anderen auf die Brust stechen ließ, habe es nach Aussage einer Zeugin Ende 1999 noch nicht gegeben. Nicht erwiesen sei, welchen Anteil ihr Mandant an der Gründung der Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ und deren Zeitschrift „Aryan Law and Order“ wirklich gehabt habe – und ob nicht doch sein Zwillingsbruder Maik die treibende Kraft gewesen sei. Und sie führen an, dass Eminger während seiner Zeit bei der Bundeswehr bei einer Frage des Militärischen Abschirmdiensts nach seinem Tatoo „Blut und Ehre“ behauptet habe, dies sei der Spruch der Waffen-SS gewesen. „Tatsächlich war das der Kampfruf der Hitlerjugend“, so der Verteidiger. Allein diese „Unkenntnis“ zeige, dass Eminger noch kein verfestigtes Weltbild gehabt habe. Ohnehin würden Männer erst mit 25 Jahren erwachsen.
Dritter Anwalt kurzfristig ausgestiegen
Dann wenden sich Hedrich und Kaiser den Wohnmobilen zu. Es sei, so ihre Argumentation, nicht nachgewiesen, dass ihr Mandant diese wirklich gemietet habe. Fingerabdrücke und DNA gebe es nicht, auch die Unterschrift auf den Verträgen sei nicht klar zuzuordnen. Es könne ja zum Beispiel auch Emingers eineiiger Zwillingsbruder Maik gewesen sein, der mit dem Personalausweis seines Bruders das Wohnmobil mietete.
Füge man zudem im Fall des Sprengstoffanschlags in der Kölner Probsteigasse die Aussage der Autovermietung, wie lange das Wohnmobil angemietet wurde, und die Zeugenaussagen des Einzelhändlers und seiner Familie, wann der in einer Christollendose getarnte Sprengsatz bei ihnen abgegeben worden sei, zusammen, ergebe sich: „Ein unmittelbarer Zusammenhang zum Wohnmobil scheidet denklogisch aus.“ Ihre Schlussfolgerung: „Es gibt keinen Nachweis, dass unser Mandant Mieter der Wohnmobile ist.“
Emingers Pflichtverteidiger, die sich während des Prozesses weitgehend passiv verhielten, wechseln sich beim Vorlesen des gemeinsamen Plädoyers immer wieder ab. Ein dritter Anwalt, Daniel Sprafke aus Karlsruhe, den Eminger im April nach fast fünf Jahren Prozessdauer plötzlich engagiert hatte und der kurzzeitig im Prozess für Wirbel sorgte, legte am Dienstag sein Mandat wieder nieder. „Aufgrund sachlich divergierender Ansichten zwischen Verteidiger und Mandant, wie die weitere Verteidigung anzulegen sei“, sei dieser Schritt geboten gewesen, teilte Sprafke auf seiner Website mit.
Familiärer Kontakt zu Zschäpe
Im Saal A 101 arbeiten die verbleibenden Verteidiger derweil Punkt für Punkt ab. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung? Es sei nicht nachgewiesen, dass Eminger von den Plänen und Taten des NSU gewusst habe. „Mangels Kenntnis“ gebe es daher auch keine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Von den Banküberfällen „und nur davon“ habe Eminger erst im Nachhinein erfahren. Die Bahncards mit seinem Namen und dem seiner Frau? Seien erst zu einem Zeitpunkt aktuell geworden, als es den NSU als terroristische Vernigung schon nicht mehr gab. Schließlich sei das Bekennervideo, das 2007 entstanden sei, der Schlusspunkt gewesen. Und die enge Verbindungen zwischen den Emingers und dem NSU? Ein familiärer Kontakt vor allen von Emingers Ehefrau Susann zu Zschäpe, mehr nicht.
Am Nachmittag fordert Rechtsanwalt Hedrich, Eminger „voll umfänglich freizusprechen“. Dass das Gericht seinen Mandanten nach dem Plädoyer der Bundesanwaltschaft wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft nehmen ließ, kann man als Zeichen deuten, dass es dies anders sieht. Seitdem sitzt Eminger, der viereinhalb Jahre lang dem Prozess als freier Mann gefolgt war, im Gefängnis. Am Mittwoch wird der Prozess mit dem Plädoyer der Verteidiger von Holger G. fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid