Pistorius und Schulze in Mali: Entwicklung schaffen ohne Waffen
Deutschland zieht die Bundeswehr aus Mali ab, obwohl kein Frieden herrscht. Die Entwicklungszusammenarbeit soll bleiben. Kann das klappen?
Der Verteidigungsminister ist auf Antrittsbesuch, Entwicklungsministerin Schulze war schon häufiger hier, ist aber das erste Mal auf einem Militärstützpunkt. Sie besuchen die Bundeswehr in Gao. Die gemeinsame Reise soll signalisieren: Die Bundeswehr zieht aus Mali ab, doch über Entwicklungsprojekte bleibt Deutschland vor Ort.
Deutschland seit 2013 bei UN-Mission dabei
Seit 2013 beteiligt sich Deutschland an der UN-Mission Minusma. Zurzeit sind rund 1.100 deutsche Soldat:innen in Gao stationiert, in einem weitläufigen Camp, das sich selbst versorgt, vom Frischwasser bis zur Wäscherei. Der Auftrag: Frieden sichern und für Stabilität in der Region sorgen. So die Theorie. In der Praxis hat sich die Situation in Mali kontinuierlich verschlechtert. Die gewählte Regierung wurde weggeputscht, islamistische Gruppen sind auf dem Vormarsch und die Militärregierung setzt auf russische Wagner-Söldner.
Herzstück des deutschen Einsatzes ist die Heron-Aufklärungsdrohne, die die UN-Truppen mit Daten versorgen soll. Seit Dezember fliegt sie nicht mehr. Malis Regierung erteilt keine Startgenehmigung. Im Mai soll der Bundestag das Mandat für den Mali-Einsatz noch einmal verlängern – mit der Auflage: Im Mai 2024 ist Schluss.
Für die junge Oberleutnantin, die in Gao vor dem weißen Stab wartet – so heißt der Containerbau, der als Einsatzzentrale dient –, hat der Einsatz gerade begonnen. Seit 15 Tagen ist sie hier als Mitglied der Aufklärungskompanie. Sie bereitet Aufklärungstouren ins Gelände vor, führt einen Gefechtsstand und soll Kontakt zu den Soldaten auf Erkundung halten. „Die Lage ist angespannt“, sagt die Majorin neben ihr. Die junge Frau nickt.
Raus dürfen die Soldat:innen nur unter strengen Sicherheitsauflagen, das gilt erst recht für die Delegation aus Deutschland. Also hat das Entwicklungsministerium die – weibliche – Zivilbevölkerung ins Camp geladen. Acht Frauen und ein Mann sind gekommen.
Feministische Außenpolitik weniger weltfern als gedacht
Die Frauen führen landwirtschaftliche Kooperativen und Vereine, sie berichten von Unsicherheit durch Banden, die Vieh stehlen, von Nahrungsmittelknappheit, fehlenden Rechten für Frauen, die das Land zwar bearbeiten, aber nicht erben dürfen. „Wir Frauen sind der Motor der Entwicklung, aber wir brauchen Unterstützung dafür“, sagt Koumba Maige, Waisenhausgründerin und Vorsitzende der Plattform „Weibliche Führungskräfte in Gao“. Deutschlands Entwicklungshilfe sei großartig und müsse fortgesetzt werden – das ist die Botschaft der Frauen. Die Bundeswehr erwähnen sie nicht.
Wer ihnen zuhört, bekommt eine Ahnung, dass feministische Entwicklungspolitik vielleicht gar nicht so weltfern ist. Pistorius gesellt sich dazu und scheint beeindruckt zu sein. „Svenja und ich sind überzeugt, dass Sicherheit und Entwicklung zwei Seiten einer Medaille sind“, sagt der Verteidigungsminister: Ohne Sicherheit keine Entwicklung, ohne Entwicklung keine Sicherheit. Die Frauen nicken.
Doch der deutsche Entwicklungsetat wird im nächsten Jahr kaum wachsen und nach Mali dürften weniger Gelder fließen. „Wir müssen realistisch sein. Mit dem Abzug der Bundeswehr wird die Situation für die Entwicklungsmitarbeiter in Mali wohl gefährlicher“, meint die mitgereiste Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP).
Bundeswehrabzug beginnt im Juni
Die Vorbereitungen für den Abzug haben schon begonnen. Im Juni geht es los. Etwa ein Jahr wird es dauern, die Stadt in der Wüste abzubauen, zu verpacken und auszufliegen, von der Drohne bis zum letzten Fahrrad: 1.600 Container, per Hubschrauber. Dass malische Soldaten oder gar Wagner-Söldner in gepanzerten Fahrzeugen mit deutscher Flagge durch die Wüste brausen, will man nicht riskieren.
Eine Dreiviertelflugstunde entfernt, am Flughafen der Hauptstadt des Nachbarlandes Niger, wird hinter Sandsäcken und Stacheldraht schon eine neue Abfertigungshalle hochgezogen. Der Transportstützpunkt in Niamey wird das Drehkreuz für den Abzug aus Mali. In Niger will die Bundeswehr weiter Präsenz zeigen, mit der neuen EU-Ausbildungsmission EUMPM.
Deutschland ist optimistisch: In Niger wird es besser laufen als in Mali. „Man will uns hier ausdrücklich“, sagt Pistorius. Schulze ergänzt: „Unsere Hilfe hier ist sehr akzeptiert.“
Doch zunächst muss der Abzug aus Mali klappen. Bloß nicht noch mal afghanische Verhältnisse, heißt es aus der Bundesregierung. Danach sieht es derzeit nicht aus. Doch das kann sich schnell ändern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen