Pilze in der Bauwirtschaft: Im Reich der Fungi

Die Mikrobiologin Vera Meyer erforscht, wie Pilze die Probleme der Bauwirtschaft lösen könnten. Als Künstlerin feiert sie die Ästhetik der Myzelien.

Portrait von Vera Meyer in ihrem Büro

Vera Meyer in ihrem Büro auf dem ehemaligen Werksgelände in Berlin-Wedding Foto: Sophie Kirchner

BERLIN taz | Die Hände still zu halten, fällt Vera Meyer schwer. Beim Reden gestikuliert sie, es ist zu spüren, dass die Biotechnologin und Mykologin sich ihrer Hände gern bedient und neben der Forschungs- und Lehrtätigkeit auch künstlerisch arbeitet.

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In Meyers Büro im vierten Stock der Forschungseinrichtungen der Technischen Universität in Berlin-Wedding stehen auf einem Sideboard kleinere und größere Skulpturen, die verschiedene Materialien wie Metall, Holz und Pilze kombinieren. Ein Objekt ordnet drei Parasol-Pilze wie auf einem Siegertreppchen an, der größte ragt in der Mitte hoch über Nummer zwei und drei hinaus. „Champi(gn)ons“ heißt die Arbeit aus dem Jahr 2017. Die Zellwände der Pilze hat Meyer mit Schellack fixiert.

„Ich will der Wissenschaft, die ich betreibe, ein Bild geben“, sagt Meyer. Die künstlerische Arbeit ist für die Naturwissenschaftlerin keine Kompensation, sondern Ausdruck der Leidenschaft für eine bislang unterschätzte Sphäre, die Welt der Fungi, die zwischen Fauna und Flora ein eigenes Reich darstellt.

Meyer hat sich den Pilzen verschrieben, sie prophezeit ihnen eine große Zukunft. „Es steht uns im Moment gut an, visionär zu denken“, sagt sie. „Angesichts der Klimakrise müssen wir jetzt Antworten finden. Und die Natur bietet uns viele an.“

Pilze sind Tausendsassas

Schätzungsweise sechs Millionen Pilzarten gibt es, etwa 120.000 nur sind bekannt oder erforscht. Für das menschliche Auge nur unter dem Mikroskop sichtbar, scheiden Pilze an den Spitzen ihrer Zellfäden Enzyme aus, mit denen sie Nährstoffe zersetzen können. „Es gibt Pilze, die können sogar Kunststoff abbauen“, sagt Meyer. „Sie sind die Müllmeister der Natur und wahre Stoffwechselkünstler.“

Ein Pilzskulptur

Die Kunst: Pilzskulptur in Meyers Büro Foto: Sophie Kirchner

Pilze sind wie kleine Zellfabriken, deren Stoffwechselprozesse Meyer und ihr 40-köpfiges Team erforschen und nutzbar zu machen versuchen. Pilze ernähren sich von organischem Material, totem Holz oder pflanzlichen Überresten. Die Nährstoffe, die eine spezielle Gruppe der Pilze, die Mykorr­hizapilze, dabei im Boden sammeln – Wasser, Phosphate, Aminosäuren –, geben sie an Bäume und Pflanzen ab und bekommen im Gegenzug Glukose, die Bäume und Pflanzen bei ihrer Fotosynthese produzieren.

„In der Natur dominieren positive Interaktionen wie Symbiose“, sagt Meyer, „nur weil Ressourcen geteilt werden, kann die Natur überleben.“ Flora, Fauna und Funga müssen zusammengedacht werden, sagt die Wissenschaftlerin. „Ohne Mykorrhizapilze hätten die Bäume die trockenen Sommer der letzten Jahre nicht überstanden.“

Wie kam sie zu den Pilzen? „Ursprünglich wollte ich Astrophysikerin werden“, erzählt die 52-Jährige im Kordkleid, dessen Gelb vor den hohen Institutsfenstern wie ein Zitronenfalter fröhlich leuchtet. „Das Unsichtbare hat mich immer mehr gereizt als das, was sichtbar und vermeintlich schnell begriffen ist.“ Statt für das große Ganze entschied sich Meyer für das große Kleine, studierte Biotechnologie und leitet heute das Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie der TU Berlin.

Eine trockene Materie ist das nicht, wie in den Laboren ringsum zu sehen ist, wo Pilzkulturen in Bioreaktoren leise blubbern und fermentieren, wo die Herstellung von Enzymen wundersame und wunderschöne Farbkombinationen hervorbringt. „Myzelien unter dem Mikroskop betrachtet sind unglaublich schön und ästhetisch“, sagt Meyer.

Pilze sind in uns, auf uns, um uns, unter uns. Es gibt einzellige Pilze wie Hefe und mehrzellige wie Ständer- oder Schimmelpilze, wie sie sich genießbar auf Käse und ungenießbar in der Natur oder verdorbenen Lebensmitteln finden. Den größten Teil seines Myzels bildet der Pilz unterirdisch und im Holz aus. Meyer nimmt ein handgroßes Objekt aus der Vitrine, das nach Kunst aussieht, aber ein im 3-D-Drucker nachgebildetes Modell eines Myzels aus weißen Polylactidfäden darstellt.

Zunächst arbeitete Vera Meyer mit dem „Pionier der Pilztechnologie“, dem Schwarzschimmelpilz, Aspergillus niger, aus dem erstmals vor hundert Jahren Zitronensäure gewonnen wurde und die später zur Entdeckung des Penicillins führte. Noch heute ist der Zitronensäurezyklus für medizinische Wirkstoffe wie auch bei der Lebensmittelherstellung bedeutsam.

Kompliziertes Gerät, in dem es brodelt

Die Wissenschaft: Bioreaktor zur Pilzkulturfermentierung Foto: Sophie Kirchner

Später entdeckte Meyer die Vorzüge des Zunderschwamms, der auf Birken oder Buchen wächst. Ein Ständerpilz, der besonders ergiebig ist hinsichtlich dessen, was der Biotechnologin vorschwebt: die erdölbasierte Produktion in eine biotechnologisch basierte Kreislaufwirtschaft zu überführen, insbesondere in der Bauindustrie. „2030 soll das erste Pilzhaus stehen, dieses Ziel verfolgen wir.“

Meyer holt einen zur Demonstration aufgeschnittenen Baustein, die äußere Hülle aus Beton, das Innere mit einer aus Hanf und Pilzmyzel verdichteten Masse gefüllt. Zu diesen neuen Baustoffen forschen sie bei Vera Meyer im Institut derzeit. „Wir konzentrieren uns auf pilzbasierte Verbundwerkstoffe“, sagt Meyer, Komposite, aus denen sich sowohl Baumaterialien wie auch Möbel herstellen lassen.

Ein Zeitraum von vier bis fünf Wochen und verschiedene Kultivierungsschritte werden benötigt, bis die sich permanent verzweigenden Zellfäden das pflanzliche Substrat zu einem festen Verbund verdichtet haben. Steht das Pilz-Pflanzen-Gemisch während der Kultivierung in Kontakt mit Beton, frisst sich das Myzel auch in dessen Poren.

„Das Myzel fungiert als Kleber, ist quasi ein Mörtel und kann Betonteile fest miteinander verbinden“, sagt Meyer. Langfristig könnte das Material erdölbasiertes Styropor als Dämmstoff ersetzen, aber auch viel CO2 vermeiden, welches bei der Zementproduktion freigesetzt wird. Im Zukunftsmuseum Futurium, nahe des Berliner Hauptbahnhofs, sind im Souterrain erste Modellentwürfe zu besichtigen, wie und woraus in Zukunft gebaut werden könnte.

Ein dynamisches Forschungsfeld

Wer so nah an der Zukunft forscht, hat konkrete Visionen, wie diese aussehen könnte. „Ich bin Optimistin“, sagt Meyer. „Der Druck zu handeln, ist im Moment sehr groß, aber erst durch Druck lösen sich sicher geglaubte Gewissheiten auf und Wege für Neues eröffnen sich.“ Um so wichtiger ist ihr, die Gesellschaft einzubeziehen. Alle sollen mitdenken, davon profitieren können. Sie hat Citizen-Science-Projekte gegründet, die etwa Workshops anbieten, in denen man lernt, wie man Komposite selber herstellen kann.

Es ist Bewegung in die Sache mit den Pilzen gekommen. Nicht wenige Einrichtungen forschen derzeit zu den so vielfältigen und vielseitigen Pilzen, in unterschiedlichste Richtungen: sei es für die Lebensmittelindustrie, Mikroelektronik, im medizinisch-pharmazeutischen Bereich oder für Architektur und Bauwesen. „Je mehr geforscht wird, desto besser“, sagt Meyer.

Die Forschungsergebnisse der TU Berlin werden im Open-Access-Verfahren publiziert, neue Erkenntnisse und Erfindungen in der Regel nicht patentiert. Ist die Industrie nicht scharf auf die neuen Optionen, die sich hier bieten? „Doch“, sagt Meyer. „Wir bekommen viele Nachfragen für Zusammenarbeit. Die Pilzbiotechnologie erlebt weltweit gerade eine Renaissance, neue Firmen sprießen quasi wie Pilze aus dem Boden.“

Komplett neu denken

Im Fokus stehen bisher pilzbasierte Verpackungsmaterialien, Leder und Kleidung aus reinem Pilzmyzel, Burger aus Pilzen, erzählt Meyer. In den USA gibt es bereits einen Beerdigungsanzug aus Pilzmaterial, in dem Tote in die Erde gebettet werden und der die im Laufe eines Lebens angesammelten Giftstoffe abbauen soll.

Großen Forschungsbedarf gibt es. Wie lassen sich Dämmstoffe oder alternative Baustoffe in größeren Mengen herstellen? Wie garantiert man ihre Langzeitstabilität? Der Fruchtkörper des Zunderschwamms sei komplett wasserabweisend, sagt Meyer. „Das müssen wir unbedingt erforschen, wie und warum das so ist.“ Noch weiß man nicht, welche Gene konkret dafür verantwortlich sind.

Wie viel Technologie kommt in der Biotechnologie zum Einsatz? Im Moment arbeitet Meyers Abteilung ausschließlich mit natürlichen Verfahren. „Auf lange Sicht wird sich jedoch anbieten, über die Genschere Eigenschaften zu optimieren, um zum Beispiel ein schnelleres Wachstum des Myzels zu bewirken oder die Eigenschaften der Baumaterialien zu verändern.“

Meyer geht davon aus, dass es in Zukunft gentechnisch optimierte Baustoffe geben kann. „Aber werden diese zugelassen? Würde die Gesellschaft diese überhaupt akzeptieren?“ Bei Medikamenten ist Gentechnik gesellschaftlich akzeptiert, bei Lebensmitteln nicht – wie wird es bei Baustoffen sein?

Die bisher entwickelten Verfahren für pilzbasierte Baumaterialien sind in der Entwicklung, die Verbundwerkstoffe noch nicht tragend. Doch könnte es bald Zwischenwände aus Pilzkompositen geben, die man bei der Umnutzung von leer stehenden Altbauten oder Parkhäusern einziehen kann. Oder Pilzkomposite als Ziegel, als Ersatz für Rigips oder Styropor. Ihr Vorteil: Sie basieren auf nachwachsenden Rohstoffen, die auch in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. „Warum sollten wir immer nur für Jahrzehnte oder Jahrhunderte bauen?“, fragt Meyer. „Wir können komplett neu denken.“

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