Lange Nacht der Wissenschaften: Wer nicht fragt, bleibt dumm

Die Lange Nacht der Wissenschaften ist nach zwei Jahren Coronapause zurück. Es geht ums Fragen: zu Putins Krieg oder Pilzen als Baumaterial der Zukunft.

Lange Nacht der Wissenschaften, hier in früheren Jahren im Tieranatomischen Institut der FU Berlin Foto: Stephan Niespodziany

BERLIN taz | Aufatmen bei den Nachtschwärmern mit einem Hang zur wissenschaftlichen Neugierde in der Hauptstadt: Nach zwei Jahren Zwangspause kann am Samstag wieder zur Dämmerstunde durch Berlins Hochschulen und Forschungsinstitute flaniert werden: Die „Lange Nacht der Wissenschaften“, kurz LNDW, ist wieder zurück.

Auch wenn das Coronavirus die nach Eigenwerbung „klügste Nacht des Jahres“ zweimal in den pandemiebedingten Lockdown geschickt hat, so hat es die Wissenschaft verstanden, auf ihre Weise zurückzuschlagen: mit einer bekanntlich schnellen Impfstoff-Entwicklung, die den Nutzen moderner Hightech-Forschung vor aller Augen führte.

Für Berlins Wissenschafts- und Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) war die Pandemie damit auch ein Idealfall für die Wissenschaftsvermittlung. „Wissenschaft muss, wie komplex sie auch sein mag, erklärbar und zugänglich sein“, sagte sie im Vorfeld der Langen Nacht. Es gehe darum, Fragen zu stellen, auch wenn sie zunächst naiv klängen. Für die Wissenschaftspolitikerin ist das, also Naivität, aber auch der entscheidende Rohstoff für Erkenntnis: „Denn ohne Fragen keine neue Forschung, und ohne Forschung keine neuen Antworten für die großen Herausforderungen unserer Zeit“, so Senatorin Gote.

„Warum will Putin diesen Krieg?“, wäre zum Beispiel so eine naive Frage. Eine Antwort wird um 17 Uhr im Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin in Dahlem zumindest versucht. Hier diskutiert eine gemischte Runde aus den Instituts-Abteilungen Geschichte, Kultur, Politik, Soziologie, und Wirtschaft über die Konsequenzen des Kriegs für die Ukraine und die Region, „mit einem Fokus auf unerwarteten und langfristigen Folgen“, wie angekündigt wird.

Über 60 wissenschaftliche und wissenschaftsnahe Einrichtungen in Berlin und auf dem Potsdamer Telegrafenberg gewähren am Samstag, 2. Juli, von 17 bis 24 Uhr, Einblicke in ihre Arbeit.

In 1.400 Programmpunkten sind Exponate und Vorführungen aus den Gebieten Naturwissenschaft und Technik, Bildung und Forschung, Mensch und Gesellschaft, Medizin und Gesundheit, Kunst und Kultur zu sehen.

14 Euro, ermäßigt 9 Euro, kostet der Eintritt. Familienticket: 27 Euro. Alle Infos: http://www.langenachtderwissenschaften.de/ (taz)

Das Rahmenthema der Langen Nacht mit ihren 1.400 Einzelveranstaltungen kommt in diesem Jahr aus der Kommunikationsforschung: Es geht darum, wie die Wissenschaft ihre Bedeutung für die Gesellschaft darstellt und wie sie auf verfälschende „Fake News“ reagiert. „In einer Welt, in der Falschinformationen immer schneller verbreitet werden, kommt der Wissenschaft eine besondere Bedeutung zu“, unterstreicht Prof. Dr. Ulrich Panne, der Vorstandsvorsitzender des LNDW-Vereins und im Hauptberuf Präsident der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) ist.

Passend dazu wurde auch die diesjährige Werbe-Kampagne gestaltet. Sie provoziert mit falschen Behauptungen – wie den Plakat-Slogans „Die Erde ist eine Scheibe – sei klüger“, oder: „Den Klimawandel gibt es nicht – sei klüger“. Dergestalt will man auf die Bedeutung der Wissenschaften als Antwort auf Fake News aufmerksam machen. Die Kampagne nimmt nicht nur mutwillige Falschbehauptungen aufs Korn, sondern bezieht auch historische Mythen und Irrtümer der Geschichte mit ein. Was natürlich deutlich machen soll, das mutmaßliche Fakten und Tatsachen zu jeder Zeit kritisch hinterfragt werden sollten.

Neben „hartem Stoff“ bietet die akademische Serenade jede Menge leichte Kost, einschließlich eines umfangreichen Kinderprogramms. Die Stiftung Planetarium Berlin bietet in der Archenhold Sternwarte in Treptow einen Blick in den gestirnten Himmel. Die Buch-­Expertin María Ocón Fernández von der Universität der Künste führt in ihre Rekonstruktion der berühmten Bibliothek des Berliner Architekten Friedrich Gilly ein. Von den einst 700 Exemplaren aus der ehemaligen Bauakademie sind über zwei Jahrhunderte später der Nachwelt nur 150 Prachtbände aus der ­Geschichte des Bauens erhalten geblieben.

In die Zukunft des Bauens wiederum will die Biotechnologin Vera Meyer von der TU Berlin führen. In der Uni-Bibliothek in der Fasanenstraße hat sie eine Holz-Pilz-Skulptur in Form eines bewohnbaren Iglus aufgebaut. Die 330 Dach- und Wandkacheln sind aus biologischem Material hergestellt.

„Die tragende Holzkonstruktion soll das Leben auf kleinstem Raum – wie in einer Raumfahrtkapsel – und die Kohabitation mit Pilzen erlebbar machen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Das Projekt mit Namen „MY-CO SPACE“ ist eine Gemeinschaftsarbeit des interdisziplinären Berliner Science-Art-Kollektivs MY-CO-X und wurde von der Technischen Universität Berlin, der Universität der Künste Berlin, und der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde gefördert. „Das Kunst-Kollektiv MY-CO-X wird vor Ort Fragen beantworten und Filme zum Bau der Skulptur zeigen“, lädt Meyer zum Besuch des Pilz-Hauses ein.

In einer Podiumsdiskussion hat das Publikum die Chance, mehr zur Holz-Pilz-Skulptur zu erfahren und mit den Ent­wick­le­r*in­nen über Baumaterialien aus Pilzmycel und die Zukunft des Bauens zu diskutieren.

Daneben können Kinder im Pop-up-Labor in einfachen Experimenten die Welt der Biotechnologie kennenlernen und beim Pipettieren und Mikroskopieren Entdeckungen machen. Die Lange Nacht wird von den beteiligten Wissenschaftseinrichtungen seit 20 Jahren selbst organisiert. Dem rot-grün-roten Berliner Senat ist das abendliche Science-Festival in diesem Jahr einen Zuschuss von 50.000 Euro wert. Die „Nacht“ zählte in den vergangenen Jahren im Durchschnitt rund 25.000 BesucherInnen, die auch diesmal erwartet werden.

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