piwik no script img

„Pick-up-Art“ an der Uni Frankfurt„Dating-Coach“ streitet mit AStA

Eine Zeitschrift an der Uni Frankfurt darf einen „Pick-up-Artist“ nicht nennen. Das Urteil ersticke eine Debatte über Sexismus, sagt der AStA.

Ein Ort sexistischer Gewalt soll die Uni Frankfurt sein – wegen Pick-up-Artists. Foto: Uwe Dettmar/Goethe-Universität Frankfurt

Berlin taz | Zwei kritische Artikel über „Pick-up-Artists“ könnten für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Universität Frankfurt sehr teuer werden. Die AStA-Zeitung prangert darin die Szene an, die sich damit brüstet, möglichst viele Frauen rumzukriegen – mitunter gewaltsam. Die Artikel thematisieren auch einen örtlichen „Pick-up-Artist“, von dem sie Vornamen, abgekürzten Nachnamen und ein leicht verfremdetes Bild zeigen.

Der selbst ernannte Dating-Coach und Student an der Uni Frankfurt sah seine Persönlichkeitsrechte verletzt und klagte vor dem Landgericht Frankfurt – zunächst erfolglos. In zweiter Instanz hat er nun Recht bekommen. Das Oberlandesgericht hat letzte Woche eine einstweilige Verfügung erlassen. Dem AStA drohen hohe Prozesskosten.

Dort versteht man nicht, warum. Macht der nebenberufliche Dating-Coach doch online Werbung für seine Workshops und zeigte in einem fünfminütigen ARD-Beitrag vom April 2014 ungeniert unter echtem Vornamen, wie er in der Frankfurter Fußgängerzone Frauen angräbt. Der AStA will sich dem Urteil daher nicht beugen und lässt es auf ein Verfahren ankommen.

AStA wirft Oberlandesgericht Zensur vor

„Es ist fraglich“, sagte Vorstand Valentin Fuchs der taz, „warum gerade uns der Mund verboten wird.“ In einer Pressemitteilung empört sich der AStA: Das Oberlandesgericht habe „die Kritik an sexualisierter Gewalt und „Pick-Up-Artists“ unterbunden“ und „untersagt, sexistische Übergriffe zu thematisieren.“

Der Pressesprecher des Oberlandesgerichts Ingo Nöhre weist Zensurvorwürfe zurück. Das verletzte Persönlichkeitsrecht sei „der tragende Aspekt des Urteils“. Das Gericht entschied: Der AStA dürfe über die Pick-up-Szene berichten, aber dafür „sei es vollkommen unerheblich“, wie der Student heiße. Zumal es nicht um „konkrete schwerwiegende Verfehlungen“ von ihm persönlich gehe.

Er müsse es nicht hinnehmen, dass er „dadurch betonter und nachhaltiger Kritik ausgesetzt wird“, heißt es in dem Urteil, das der taz vorliegt. Mittlerweile werde sein Mandant sogar „bedroht“, teilte der Medienanwalt Lucas Brost von der Kölner Kanzlei Höcker der taz mit.

Die Argumentation des Gerichts macht die feministische Antifa (Fantifa) Frankfurt fassungslos: „Das Szenario wird entpolitisiert“, sagte ein Mitglied der taz. Es gehe nicht mehr um die sexistischen Vorfälle, sondern um die Persönlichkeitsrechte des Aufreißers. „Das ist gerade in der aktuellen Zeit mit Köln usw. ein Skandal.“

Die Fantifa sammelt seit einem Jahr Berichte von Frauen, die auf dem Campus belästigt und bedrängt wurden. „Das ist eine Form von Gewalt. Die Frauen hatten teilweise traumatische Erfahrungen“, sagt die Vertreterin.

Sie hat an einem der AStA-Artikel mitgeschrieben und wirft darin dem Dating-Coach vor, dass er Frauen zu Objekten mache und ein „mögliches ,Nein‘ ohnehin nicht akzeptiert“. AStA-Vorstand Valentin Fuchs verweist auf die Wirkung seiner Trainings: „Inzwischen laufen mehrere Personen an der Uni rum, die das machen.“

Studentinnen wurden bis zur U-Bahn verfolgt

Von einer „sehr unangenehmen“ Begegnung erzählt eine Soziologiestudentin der taz: Ein Student fragte sie nach dem Weg. Danach ließ er nicht locker und rückte immer näher. Sie forderte ihn mehrmals auf zu gehen. „Warum denn? Sei nicht so abweisend und kratzbürstig“, erwiderte er.

Jede Ablehnung habe er mit „pseudo-freundlicher Art“ abgeschmettert und ihre Schulter berührt. Vielen Kommilitoninnen seien ähnlich angemacht worden, manche auch körperlich, andere wurden bis zur U-Bahn verfolgt.

Der „Pick-up-Artist“ prahlt in einem Video damit, wie er hilft, „den Mut aufzubringen, fremde Frauen anzusprechen.“ Im ARD-Beitrag distanziert er sich zwar von Gewalt und „gewissen Manipulationsmethoden“, aber „natürlich ist in der Szene derjenige hoch angesehen, der jedes Wochenende eine mit nach Hause nimmt und sich auch damit brüstet“.

Wegen solcher öffentlicher Auftritte findet die Vertreterin der Fantifa: „Die Entscheidung, seinen Namen zu nennen, hat er sozusagen selbst getroffen.“

Die Universität verfolge zwar den Rechtsstreit, hält sich aber ansonsten zurück, erklärte Pressereferent Dirk Frank der taz: „Das ist Sache des AStA.“ Der geht nun ein hohes finanzielles Risiko ein, denn der Streitwert wurde auf 100.000 Euro festgesetzt. Daran bemessen sich die Prozesskosten. Doch Vorstand Valentin Fuchs betont: „Das ist nicht die wichtige Frage für uns, sondern die Debatte über Sexismus und unser hochschulpolitisches Mandat.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • "Die Argumentation des Gerichts macht die feministische Antifa (Fantifa) Frankfurt fassungslos: „Das Szenario wird entpolitisiert“.

    Ja, genau das ist auch Aufgabe eines Gerichts.

     

    Durchaus auch als suggestiv zu bezeichnen, das ausführlich dargelegte Beispiel der Studentin, die bis zur U-Bahn verfolgt wurde. Wem es nicht aufgefallen ist: es fehlt komplett der konkrete Bezug zu dem Pick-Up Trainer.

    • @Sophokles:

      Mal sehen, wie schnell sich Ihre Meinung um 180° drehen wird, sollte bekannt werden, dass der selbsternannte Coach Workshops mit marokkanischen "Antänzern" veranstaltet hat...

  • Schade, dass die taz die Urteilsnummer nicht erwähnt hat. Ich wüsste gern im Wortlaut, wie die Begründung geht. Aber vielleicht will sich ja das Gericht auch nicht gerne "betonter und nachhaltiger Kritik ausgesetzt" wissen. Ich könnte das verstehen.

     

    Im Übrigen finde ich, dass sich der AStA ruhig etwas geschickter hätte anstellen können. Auf die Entrüstung deutscher Juristen und den öffentlichen Druck eines mittleren Shitstorms ist offenbar nicht all zu viel Verlass. Juristen fühlen sich mitunter dem Gesetz verpflichtet, nicht der Moral. Wer einen aktuellen Beitrag zur Sexismus-Debatte leisten und sein "Mandat" tatsächlich ausfüllen will, der sollte das bedenken, damit er sich nicht zum Verlierer macht.

     

    Vielleicht wäre es klüger gewesen, die triebgesteuerten, hirn- und empathielosen jungen Kerle, die diesem "Dating-Coach" seine wertlosen Ratschläge abgekauft haben, als das zu sehen, was sie auch noch sind: Opfer. Das "Angebot" des Coachs fällt schließlich unter § 263 StGB (Betrug). So weit ich weiß, gibt es nicht einmal eine Statistik dazu, dermaßen unstrittig ist, dass es Frauen unattraktiv finden, verfolgt und/oder bedroht zu werden. Die Jungs lernen also nicht "den Mut aufzubringen, fremde Frauen anzusprechen". Sie lernen, fremde Frauen abzuschrecken. Und weil das Ziel nicht das Gespräch ist, sondern der Sex, kann dieses Trainings nur in sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung enden. Beides ist strafbar, so weit ich weiß.

     

    Wer "durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält" und so "das Vermögen eines anderen [...] beschädigt", sich selber aber "einen [...] Vermögensvorteil [...] verschaff[t]", wird "mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft", so steht es im Gesetz. Schon der Versuch ist strafbar – wenn ein Betroffener klagt. Und betroffen sind nun mal die Täter, nicht der AStA. Der will nur Ritter sein.

    • @mowgli:

      OLG Frankfurt am Main, 07.01.2016 - 16 W 63/15

  • 1G
    1714 (Profil gelöscht)

    Wann wurde dieses Urteil gesprochen? 1916? Unglaublich wie weltfremd, unsensibel und frauenverachtend manche Richter auch heute noch sein können. Von solchen Urteilen geht mindestens genauso viel Gefahr aus, wie von den "Nordafrikanern". Dadurch sehen sich die miesen Grabscher erst recht bestätigt - die deutschen!

  • Endlich geht die Diskussion in die Breite und beschränkt sich nicht auf unsere "Nordafrikaner". Schon seit der Schulzeit nehme ich sexistische Sprüche unabhängig von Alter und sozialer Zugehörigkeit der Akteure, zwar mit Argwohn aber als Bestandteil der Gesellschaft wahr. Es ging sogar so weit dass ich mich genötigt sah als Mann andere Männern, welche meine Begleitung bequatschten, sexuell zu belästigen um ein gewisses "Gleichgewicht" herzustellen. Komischerweise haben die meisten Männer welche den Matscho mimen oder sexistischen Schleim absondern Angst vor homosexuellen Vorstellungen.