Philosophin über weibliche Unterwerfung: „Schwesternschaft ist eine Lösung“
Die Philosophin Manon Garcia über die Mechanismen der Selbstunterwerfung von Frauen. Und eine Erklärung für die vielen weißen Wählerinnen Trumps.
taz: Frau Garcia, laut Ihrem Buch sind Frauen nicht nur passive Opfer des Patriarchats, sie unterwerfen sich auch aktiv – indem sie freiwillig den Großteil der Hausarbeit übernehmen oder sich bestimmten Idealen von Weiblichkeit fügen: Schieben Sie da nicht den Opfern die Schuld in die Schuhe?
Manon Garcia: Ganz im Gegenteil. Es ist feministisch, Machtstrukturen aus Sicht der Frauen zu beschreiben. Es ist feministisch, aufzuzeigen, welche konkreten Möglichkeiten Frauen in unserem patriarchalen System haben. Es ist wichtig, diese Frage von einem feministischen Standpunkt aus zu erörtern und nicht einfach so zu tun, als trügen Frauen nicht auch ihren Teil zur Aufrechterhaltung des Patriarchats bei. Natürlich könnten sie sich entscheiden, sich nicht zu unterwerfen, aber der Preis dafür ist hoch – zum Beispiel wenn Frauen als schlechte Mutter abgestempelt werden. Das Patriarchat ist eine Form gesellschaftlicher Dominanz, die Frauen dazu bringt, sich zu unterwerfen. Es geht daher nicht um die Schuldfrage. Man kann deskriptiv feststellen, dass Frauen sich Männern unterwerfen, aber das heißt noch nicht, dass sie auch verantwortlich dafür sind.
Was genau ist Unterwerfung für Sie – haben Sie Beispiele?
Wenn ich in Frankreich von meiner Arbeit über weibliche Unterwerfung erzähle, kommen viele als erstes auf Frauen, die Kopftuch tragen, zu sprechen. Die Unterwerfung der anderen ist leichter zu erkennen – vor allem, wenn wir rassistische Ansichten ihnen gegenüber haben. Dabei kann Unterwerfung auch bedeuten, ständig Diät zu halten, um ein bestimmtes Schönheitsideal zu erfüllen. In Deutschland unterwerfen sich Frauen sehr stark der Mutterrolle. Das Konzept der Unterwerfung hilft uns, diese unterschiedlichen Arten, auf die Frauen sich den patriarchalen Strukturen nicht widersetzen, als das gleiche Phänomen zu betrachten. Allerdings ist es wichtig zu unterscheiden, wo diese Analyse Sinn macht und wo nicht. Wenn ich von Unterwerfung spreche, beziehe ich mich auf eine Situation, in der eine Art von Zustimmung möglich ist. Häusliche Gewalt lässt sich damit nicht erklären.
Sie analysieren die männliche Herrschaft aus philosophischer Sicht: Was ist Ihre Erklärung dafür, warum die Machtverhältnisse im Patriarchat so hart zu durchbrechen sind?
Wenn wir von Herrschaft reden, reden wir in der Regel von zwei verschiedenen Gruppen, im Kapitalismus zum Beispiel die Arbeiter*innen und die Fabrikbesitzer*innen. Die Solidarität der Arbeiter*innen gilt anderen Arbeiter*innen. Solange aber Heterosexualität die Norm ist und Frauen mit Männern zusammenleben, gilt ihre Solidarität in erster Linie anderen Männern. Das ist auch der Grund, warum so viele weiße Frauen trotz seiner Frauenfeindlichkeit für Donald Trump gestimmt haben: Weil sie sich ihren Männern, zu denen Trump spricht, näher fühlen als anderen Frauen.
Ist mehr Solidarität zwischen Frauen die Lösung?
Diese Frage fällt mir schwer zu beantworten. Ich bin überzeugt, dass Schwesternschaft eine Lösung ist. Die Selbsterfahrungsgruppen der Frauenbewegung der 70er Jahre, in denen Frauen zusammenkamen, um über ihre Unterdrückungserfahrung zu sprechen, haben einiges vorangebracht. Aber am Ende des Tages hat die Person Priorität, die man liebt. Liebe und Intimität sind daher die Themen, denen wir uns zuwenden müssen. Wir müssen dafür kämpfen, gleichberechtigte Partnerschaften zu führen, vor allem in heterosexuellen Beziehungen. Dabei gibt es viel zu gewinnen – für Männer, Frauen und Kinder!
Unterwerfen sich Männer nicht auch – und leiden unter den Geschlechterrollen?
Bei meinen Lesungen gibt es immer einen Mann, der erklärt: Ich unterwerfe mich meiner Frau, sie entscheidet alles. In gewisser Hinsicht ist das wie von Rassismus gegen Weiße zu sprechen. Männer sind nicht von Frauen unterdrückt. Von Unterdrückung kann man erst sprechen, wenn es eine gesellschaftliche Struktur gibt, die die Unterdrückung möglich macht. Aber natürlich unterwerfen sich auch Männer den Geschlechterrollen und leiden unter toxischer Männlichkeit – nicht zuletzt verbaut das Patriarchat Männern den Zugang zu ihren Gefühlen.
Was ist der Unterschied?
Einen weiblichen Körper zu haben, heißt von außen definiert zu werden, während Männer das Privileg haben, sich selbst zu definieren. Sobald sie in die Pubertät kommen, machen sehr viele Frauen die Erfahrung, dass ein Mann – ein Onkel, Lehrer oder irgendein Typ auf der Straße – eine anzügliche Bemerkung über ihren Körper macht. Frauen werden vom männlichen Blick definiert, noch bevor sie selbst überhaupt ein Bewusstsein für ihren Körper erlangt haben. Diese Erfahrung prägt Frauen und führt dazu, dass sie sich anders in der Welt bewegen als Männer. Während Männern suggeriert wird, frei und unabhängig zu sein, lernen Frauen, sich zu unterwerfen.
geboren 1985, ist ab Juli Assistant Professor of Philosophy an der Yale University. Gegenwärtig ist sie Junior Fellow der Harvard Society of Fellows.
Was antworten Sie denjenigen, die jetzt denken: Interessant, aber auf mich trifft das nicht zu. Ich definiere mich als Person, nicht als Frau?
Das ist wie zu sagen: „Ich gehöre keiner gesellschaftlichen Klasse an.“ Simone de Beauvoir würde das als eine Form von Unaufrichtigkeit beschreiben. Als Frau denkt man nachts allein in der Metro darüber nach, dass man vergewaltigt werden könnte. Ein Heteromann macht sich darüber keine Gedanken. Man kann nicht so tun, als ob das eigene Frausein keine Auswirkungen darauf hat, wer man ist.
Mit „Unaufrichtigkeit“ oder „mauvaise foi“ beziehen Sie sich auf den existenzialistischen Freiheitsbegriff?
Zu diesem Punkt hatten Beauvoir und Sartre einen großen Disput. Für Sartre bedeutet Mensch sein, dass man für seine Handlungen verantwortlich ist und nicht zulässt, dass irgendetwas diese beeinflusst. Für Sartre bedeutet Unaufrichtigkeit, bestimmte Fakten als Entschuldigung dafür zu nehmen, seine Freiheit nicht auszuüben, zum Beispiel zu sagen: „Ich habe so und so gehandelt, weil ich eine Frau bin“ oder „Ich habe so entschieden, weil ich arm bin.“ Für Beauvoir ist genau das Gegenteil der Fall. Sie ist überzeugt, dass die wirtschaftliche und soziale Situation darüber entscheiden, welche Wahl man hat und auf welche Art und Weise man seine Freiheit ausüben kann. Unaufrichtigkeit heißt für sie, so zu tun, als gäbe es diese äußerlichen Fakten nicht. Nur ein weißer Mann – wie Sartre! – kann der Ansicht sein, dass seine Freiheit nicht von seiner gesellschaftlichen Situation abhängt.
Manon Garcia: „Wir werden nicht unterwürfig geboren. Wie das Patriarchat das Leben von Frauen bestimmt“. Aus dem Französischen von Andrea Hemminger. Suhrkamp, Berlin 2021, 234 S., 26 Euro
Haben Frauen ein Problem damit, sich als Opfer zu sehen? Ich denke zum Beispiel an den Aufruf von Catherine Deneuve und anderen in „Le Monde“, in der sie die #MeToo-Debatte kritisiert?
Ich denke, dass dabei auch ein Generationenkonflikt eine Rolle spielte, da viele der Unterzeichnerinnen in einer Welt aufgewachsen sind, in der von Frauen noch viel stärker als heute erwartet wurde, sich zu unterwerfen. Aber es stimmt: Opfer zu sein ist ein extrem unangenehmes Gefühl. Und ein Weg, damit fertig zu werden, ist schlicht, so zu tun, als wäre man keines. Das ist einer der schwersten Konflikte, die es als Feministin auszuhalten gilt: Wir müssen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie die patriarchale Unterdrückung uns beeinflusst – aber gleichzeitig dürfen wir die Lust an der eigenen Autonomie und den Wunsch, Dinge zu verändern, nicht verlieren.
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