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Schieflage im PflegesystemKleine Schritte gegen den großen Kollaps

Der Reformbedarf im Pflegesystem ist groß. Eine Gesetzesneuerung stattet Pflegekräfte nun mit mehr Kompetenzen aus. Nicht allen geht das weit genug.

Eine Pflegerin auf der Intensivstation in einem Krankenhaus in Bremen Foto: Sina Schuldt/picture alliance

Die Herausforderungen sind riesig, die Lösungsansätze hingegen kleinteilig: Das Pflegesystem in Deutschland befindet sich in der Schieflage. Mit der wachsenden Zahl an Menschen mit Pflegebedarf – 5,7 Millionen im Jahr 2025 – wird der Bedarf an qualifizierten Pflegekräften immer größer, gleichzeitig bleibt die Finanzlage der sozialen Pflegeversicherung (SPV) weiterhin instabil.

Der Bundestag hat deshalb am Donnerstag über die Pflege abgestimmt. Union und SPD haben nun ein kleinteiliges Gesetz auf den Weg gebracht, das den Pflegeberuf attraktiver machen soll.

„Endlich, endlich dürfen Pflegefachkräfte das tun, was sie sowieso schon können“, sagte SPD-Pflegepolitikerin Claudia Moll, selbst ausgebildete Altenpflegerin, in der Bundestagsdebatte. Zentraler Bestandteil des „Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege“ ist die Erweiterung der Kompetenzen von Pflegekräften.

Mehr Handlungsspielräume für Pflegekräfte

Pflegekräfte haben ohne die Genehmigung von Ärz­t:in­nen im Arbeitsalltag oft wenige Handlungsspielräume – selbst wenn sie durch ihre Ausbildung theoretisch über das notwendige Wissen verfügten. Zukünftig sollen sie eigenverantwortlicher agieren können, beispielsweise bei der Versorgung von Wunden, im Bereich der Prävention, der Diabetes und der Demenz.

Den genauen Leistungsumfang soll die Pflegeselbstverwaltung, der gesetzliche Zusammenschluss der Pflegekassen und der Pflegeeinrichtungen, zusammen mit den Pflegeberufsverbänden konkretisieren „Pflegekräfte werden tagtäglich von der Bürokratie lahmgelegt“, sagte Anne Janssen (CDU). Neben einer Vielzahl weiterer kleinteiliger Maßnahmen soll das Gesetz deshalb auch Erleichterungen durch Bürokratieabbau schaffen. Damit gehen jedoch auch weniger Qualitätsprüfungen einher.

Der Entwurf sei Stückwerk, sagte Evelyn Schötz (Linke). Als „halbherzig“ und „vertane Chance“ bezeichnete es Simone Fischer (Grüne). „Wir teilen die Zielrichtung, doch der Entwurf bleibt in zentralen Punkten hinter dem Notwendigen zurück“, so Fischer. So habe Schwarz-Rot wichtige Punkte des ursprünglichen Kabinettsentwurf der Ampelkoalition gestrichen, sagte Fischer. Das damalige Pflegekompetenzgesetz war wegen dem Ampel-Aus nicht mehr zur Abstimmung im Bundestag gekommen.

Dort war etwa die gesetzliche Verankerung der Pflegebeauftragten festgehalten worden. Bei der Abstimmung am Donnerstag enthielten sich daher Grüne und Linke, die AfD votierte gegen das Gesetz. Die weiteren Anträge zu Sofortmaßnahmen in der Pflege, eingebracht von Grünen und Linken, wurden abgelehnt.

Versorgung und Finanzierung weiterhin unklar

Der Deutsche Pflegerat begrüßte die Neuerung. „Die Richtung stimmt“, sagte die Präsidentin des Pflegerats, Christine Vogler, gegenüber der taz. „Was es jetzt braucht, sind klare Zuständigkeiten, verbindliche Fristen und eine gesicherte Finanzierung, um die neuen Handlungsspielräume zu sichern.“

Die Versorgungsstrukturen in der Pflege und die langfristige Finanzierung der SPV bleiben indes unklar. Die von der Bundesregierung eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ soll im Dezember ihren Abschlussbericht mit konkreten Reformvorschlägen vorlegen. Trotz steigender Sozialbeiträge hatte die SPV im Jahr 2024 ein Defizit von 1,54 Milliarden Euro, auch in diesem Jahr droht ein Defizit in Höhe von 1,65 Milliarden Euro.

Die schwierige Lage der Pflegeversicherung spiegelt sich auch im schwindenden Vertrauen der Bevölkerung wider. 62 Prozent der Befragten empfinden die Pflegeversorgung als nicht gut oder gar nicht gut, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie von Allensbach im Auftrag der DAK zeigt. Als größtes Problem wird abermals die Finanzierung, insbesondere die hohen Kosten bei der stationären Pflege, angesehen.

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