Pflanzenschutzmittel Glyphosat: Wahrscheinlich (nicht) krebserregend
Das Pestizid Glyphosat sei wohl doch nicht krebserregend, urteilt die zuständige EU-Behörde. Kritiker zweifeln an deren Unabhängigkeit.
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Die industrialisierte Landwirtschaft kommt ohne Glyphosat kaum aus. Der Unkrautvernichter wird auf rund 40 Prozent der deutschen Ackerfläche und in Gärten oder Grünanlagen gespritzt. So wird die Nahrung von Lebewesen zerstört, was zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten beiträgt. Zudem finden sich Rückstände in Lebensmitteln.
Glyphosat ist auch ein Schlüssel zur Gentechnik. In Nord- und Südamerika etwa hat der Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen beliebig oft mit dem Stoff behandelt werden können. Für die Wirtschaft stehen in der Debatte über das Pestizid Milliardeneinnahmen auf dem Spiel.
Doch der Efsa zufolge „ist es unwahrscheinlich, dass Glyphosat eine krebserregende Gefahr für den Menschen darstellt“. Wahrscheinlich schädige der Stoff auch nicht das Erbgut, was Tumoren verursachen kann. Mit beiden Aussagen widerspricht die Behörde der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation.
Erbgutschädigungen
Die EU-Behörde erklärte die Differenzen „größtenteils“ damit, dass sie lediglich den Wirkstoff Glyphosat untersucht hat. Die Krebsforschungsagentur dagegen beruft sich auch auf Studien mit den fertig gemischten Pestiziden, die neben Glyphosat auch Hilfsstoffe enthalten. Laut Efsa sind wahrscheinlich diese Substanzen verantwortlich für die Erbgutschädigungen, die bei glyphosathaltigen Chemikalien beobachtet wurden.
Andere Studien, bei denen Tiere nach Einnahme von Glyphosat ohne Hilfsstoffe Krebs bekamen, verwarf die Efsa als irrelevant. Zum Beispiel weil die Dosis zu hoch oder das Ergebnis nach dem angewandten Statistikverfahren nicht signifikant gewesen sei.
Greenpeace
Außerdem, so die Efsa, habe sie mehr wissenschaftliche Ergebnisse bewertet als die Krebsforschungsagentur. Dabei geht es offenbar vor allem um von Glyphosatherstellern selbst in Auftrag gegebene Studien. Die Krebsforscher schließen nämlich Untersuchungen aus, die nicht öffentlich zugänglich und deshalb auch nicht von externen Fachleuten überprüfbar sind.
Die Schlussfolgerung in Sachen Krebs war selbst unter den Efsa-Mitgliedstaaten umstritten: Schweden wollte sich der Entwarnung nicht anschließen. Schon im Vorfeld hatten Wissenschaftler die Bewertung der Versuchsergebnisse kritisiert.
Zwar schlägt die EU-Behörde nun vor, erstmals eine „Akute Referenzdosis“ festzulegen. Das ist die Menge Glyphosat, die Menschen in einem kurzen Zeitraum – etwa bei einer einzelnen Mahlzeit – ohne Risiko zu sich nehmen können. Gleichzeitig rät das Amt aber auch, die „Akzeptable Tagesdosis“ um 66 Prozent auf 0,5 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht zu erhöhen. Diese Menge sollen selbst Kinder täglich lebenslang zu sich nehmen können.
Beide Zahlen dienen dazu, die Grenzwerte für die erlaubten Rückstände in Lebensmitteln zu berechnen. Ob die nun erhöht oder gesenkt werden, muss die Efsa noch entscheiden. „Wir können im Moment aber sagen, dass die Efsa durch die Einführung der Akuten Referenzdosis die künftige Bewertung potenzieller Risiken durch Glyphosat verschärft“, sagte Sprecher Jan Op Gen Oorth der taz.
Während der US-Konzern Monsanto und andere Glyphosathersteller die Stellungnahme der Efsa lobten, hagelte es von Umweltverbänden Kritik. „Diese Bewertung der Efsa lässt an ihrer wissenschaftlichen Unabhängigkeit zweifeln“, urteilte Greenpeace. Der Behörde werden immer wieder personelle Verflechtungen mit der Industrie vorgeworfen. Genauso wie dem deutschen Bundesinstitut für Risikobewertung, das der Efsa zugearbeitet hatte.
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