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Peter Bofinger über Finanzpolitik„Die Schuldenbremse lockern“

Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger rät zu mehr Investitionen auf kommunaler Ebene. Ob das mit Jamaika klappt? Er ist skeptisch.

Investitionen, etwa in Straßen, wären gut, aber mit welchem Geld? Foto: dpa
Hannes Koch
Interview von Hannes Koch

taz: Herr Bofinger, betrachten Sie eine mögliche Jamaika-Regierung aus Union, FDP und Grünen als Chance für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik?

Peter Bofinger: Nein, ich bin skeptisch. Die entscheidende Herausforderung besteht ja darin, dass wir Europa weiterentwickeln. Und da sehe ich nicht, welche substanziellen Fortschritte mit der FDP möglich wären.

Die Grünen wollen mehr Zusammenarbeit in Europa und würden wohl mehr Geld nach Brüssel überweisen. An diesem Punkt ist die CDU zurückhaltend, die FDP lehnt Transfers ab. Aber immerhin sprechen sich auch die Liberalen dafür aus, die EU zu stärken.

Die Frage ist, was das heißt. Beispielsweise fordert die FDP einen Insolvenzmechanismus für Eurokrisenstaaten. Allein das halte ich für extrem gefährlich. Könnte FDP-Chef Christian Lindner sich mit solchen Posi­tio­nen in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, würde er die Ruhe und Stabilität auf den Finanzmärkten unterminieren, die die Europäische Zentralbank inzwischen erreicht hat.

Die Grünen verlangen den Abschied vom Verbrennungsmotor und der Kohleverstromung. Für Teile der Union, erst recht für die FDP, wäre das Planwirtschaft.

Außerdem will die FDP das Gesetz zur Förderung der erneuerbaren Energien abschaffen, das aus Sicht der Grünen eine große Errungenschaft darstellt. Andererseits scheinen Kompromisse nicht ausgeschlossen. Die FDP sieht im europäischen Emissionshandel ein gutes Instrument, um klimaschädliche Abgase zu verringern. Vielleicht übernimmt sie den Vorschlag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, einen Mindestpreis für Zertifikate von 25 bis 30 Euro je Tonne Kohlendioxid festzulegen. Das würde große Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien schaffen. Da könnten Liberale, Union und Grüne sich treffen.

Bild: ap
Im Interview: Peter Bofinger

Jahrgang 1954, ist Mitglied des Sachverständigenrats für Wirtschaft, der die Bundesregierung berät. Er lehrt und forscht als Professor für Ökonomie an der Universität Würzburg.

Eine Chance auf Einigung gibt es auch bei der wirtschaftlichen Modernisierung. Gegen bessere Schulen und mehr schnelle Datenverbindungen hat ja keine der drei Parteien etwas einzuwenden.

Grundsätzlich kann man sich bei dem Thema leicht verständigen. Aber ich sehe ein Grundproblem: Wie viel Geld legt man für Investitionen und Bildung konkret auf den Tisch? Weniger als nötig, befürchte ich. Denn Union und FDP machen sich für umfangreiche Steuersenkungen stark. Bei den vorhandenen finanziellen Spielräumen wird dann für Zukunftsinvesti­tio­nen nicht mehr viel übrig sein. Keine der Parteien will im Übrigen den existierenden Spielraum für Neuverschuldung ausschöpfen oder gar die Schuldenbremse infrage stellen.

Die Schuldenbremse im Grundgesetz gilt seit 2011. Der Bund darf jährlich höchstens neue Kredite von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufnehmen. Den Bundesländern sind rote Zahlen ab 2020 verboten. Deshalb sinkt jetzt die öffentliche Verschuldung. Finden Sie das schlecht?

Ich fände es besser, eine sinkende Schuldenstandsquote und ausreichende Investitionen in Einklang zu bringen. Wenn das nominale BIP in den kommenden Jahren wie prognostiziert um 3 Prozent wächst, könnte sich der Bundesfinanzminister beispielsweise 1 Prozent Neuverschuldung leisten. Die Staatsverschuldung nähme dann trotzdem um knapp einen Prozentpunkt im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung ab. Bund, Länder und Gemeinden hätten aber jährlich rund 30 Milliarden Euro mehr zur Verfügung, um wichtige Zukunftsinvestitionen zu finanzieren: Forschung und Entwicklung zu fördern, Bahnlinien zu bauen, Brücken zu reparieren, Datenleitungen zu legen und die Länder zu unterstützen, mehr Lehrer einzustellen.

Sie plädieren dafür, die Schuldenbremse zu revidieren?

Erstens sollte die Bundesregierung ihren grundgesetzlichen Spielraum ausschöpfen und Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIPs aufnehmen. Das wären schon mal 10 Milliarden Euro zusätzlich. Zweitens halte ich eine gesamtstaatliche Neuverschuldung von 1 Prozent für angebracht. Und ja, dafür müsste man die Schuldenbremse lockern. Wir brauchen großflächige Investitionen auf kommunaler Ebene, um den Bürgern zur verdeutlichen, dass sie von der Politik richtig wahrgenommen werden. Das sollten wir seit dem vergangenen Sonntag verstanden haben.

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5 Kommentare

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  • Ich beziehe mich ungewohnter Weise auf solche Reden, aber es leuchtet trotz aller neoliberaler Manipulation schon ein, frei nach Volker Pispers: Bei etwa 5 Billionen Euro Geldprivatvermögen in Deutschland ist es eine sträfliche Dummheit, dass etwa die Hälfte (der Schuld) nicht bereits denjenigen 1% der fin. obersten Bevölkerungsschicht abgeknöpft wurde, die dafür gar nicht gearbeitet hat.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Wenn die Schuldenbremse fällt würden eine Menge Dinge passieren je nach Regierung: Erhöhung von Hartz4, niedrigere Steuern, mehr Geld für die Bundeswehr oder erleichtertert Familiennachzug (was auch Geld kostet). Was aber nicht passieren würde sind mehr Investitionen. Die lohnen sich für Politiker nicht wirklich, weil Effekte erst Jahre später messbar sind. Mir ist lieber es wird weniger Geld ausgegeben und dafür der Schuldenberg abgebaut.

    • @83379 (Profil gelöscht):

      Wär jetzt die Frage, was Sie persönlich davon haben, wenn der "Schuldenberg" abgebaut wird. Können Sie sich dann an der schlecht gebildeten, unzufriedenen Nachkommenschaft freuen, oder fahren Sie nur gern auf schlechten Straßen? Vielleicht mögen Sie ja einfach Staus auf Autobahnen und lieben es, wenn andere Menschen aufgrund erhöhten Verkehrsaufkommen Tag und Nacht nicht zur Ruhe kommen, weil mangels Geld keine Lärmschutzvorrichtungen gebaut werden. Etc...

  • Wer sucht eigentlich immer diese unpassenden Fotos aus? Seit wenn fallen denn Autobahnen in die Zuständigkeit der Kommunen?

     

    Davon mal abgesehen frage ich mich ernsthaft, wann dieser „Weise“ zuletzt Bürger unter (abgehängten) Bürgern war. Den Leuten ist mit Geld alleine nicht zu helfen. Die wollen endlich ernst genommen werden. Auch von sich selber übrigens.

     

    Das muss natürlich einer, der "die Bundesregierung" im Umgang mit „der Wirtschaft“ klug berät, nicht so genau zu wissen. "Die Wirtschaft" wird ja schließlich schon sehr ernst genommen. Zumindest die, die groß genug ist um nicht mehr zu fehlen. Zu ernst, wenn man mich fragt. "Die Wirtschaft" braucht nicht mehr zu meckern, dass man sie nicht genügend hört. Die braucht nur noch die Hände aufzuhalten. Geld hat man , schließlich nie genug. Auch dann nicht, wenn man schon die Macht hat überall.

    • @mowgli:

      Immerhin ist Bofinger das enfant terrible unter den Weisen, der nahezu immer ein von der knallhart klassisch neoliberalen Mehrheitsmeinung abweichendes Minderheitenvotum abliefert.