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Pestizide in der LandwirtschaftGiftcocktail im Getreide

Ein Drittel aller europäischen Getreideprodukte sind mit Pestiziden belastet, beklagt Foodwatch in einer Studie. Nun müssten die Supermärkte handeln.

Jedes dritte Korn ist belastet Foto: Jens Büttner/dpa

Wer zum Frühstück gern Brot oder Müsli isst, futtert mit dem Löffel Haferflocken vielleicht auch ein paar Pestizidrückstände. Denn während man den Apfel zumindest waschen kann, ist das bei Getreideprodukten häufig nicht so leicht. Die Verbraucherorganisation Foodwatch beklagt „massiven Pestizideinsatzes“ bei der Getreideproduktion.

Laut eines am Dienstag veröffentlichten Berichts der Verbraucherschützer sind mehr als ein Drittel, 37 Prozent, aller europäischer Getreideprodukte belastet, von Weizen über das Urgetreide Emmer zu Haferflocken.

Für ihren Report „The Dark Side of Grain“ analysierte Foodwatch nach eigenen Angaben Daten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu Pestizidrückständen in unverarbeitetem Getreide und verarbeiteten Getreideprodukten, die insgesamt 2.234 Proben untersuchte. Nach den Daten wiesen 837 Proben Rückstände von ein oder sogar mehreren Pestiziden auf.

Ein Cocktail aus Pestiziden

Besonders besorgniserregend empfinde Foodwatch den „Pestizid-Cocktail“. Über 65 unterschiedliche Pestizide seien nachgewiesen worden. Auch wenn nur 18 Rückstände in 14 Proben die Rückstands-Höchstmengen überschritten hätten, berge „die schiere Zahl verschiedener Pestizide in den Produkten ein gesundheitliches Risiko für Verbraucher:innen“.

Der Industrieverband Agrar (IVA), der die deutschen Pestizidhersteller vertritt, sieht die Ergebnisse der Studie kritisch. Dass Rückstände gefunden wurden, lasse nicht direkt auf eine Gefährdung schließen, solange die Funde unterhalb der gesetzlichen Höchstmengen lägen, sagt der Verband. „Das Bild vom ‚Pestizid-Cocktail‘ dient allein der Bangemacherei“, erklärt ein IVA-Sprecher der taz. Unterschiedliche Spuren von Pestiziden wiesen nach ihrer Ansicht nur darauf hin, dass Landwirte unterschiedliche Mittel gegen verschiedene Schädlinge nutzen würden.

Foodwatch fordert, dass Kon­su­men­t:in­nen besser geschützt werden. Dafür sieht der Verbraucherschutzverein die Händler im Zugzwang. „Die Supermärkte sollten ihre Marktmacht nutzen und nur noch pestizidfreie Getreideprodukte verkaufen – das würde den Pestizideinsatz in Deutschland auf einen Schlag halbieren“, sagt Foodwatch-Sprecherin Annemarie Botzki.

Unternehmen sollen handeln

Die Unternehmen würden damit werben, Artenvielfalt schützen zu wollen. Doch bisher schafften sie es nicht, ihre Nachhaltigkeitsversprechen zu erfüllen, wirft Foodwatch Rewe, Lidl und Co vor. Die Supermärkte konzentrierten sich vor allem auf Obst und Gemüse im Versuch, den Pestizideinsatz zu verringern. Den Unternehmen fehle eine Biodiversitätsstrategie, die Getreideprodukte mit einschließe, kritisiert Foodwatch.

Dass insbesondere die Getreideproduktion ein wichtiger Ansatzpunkt ist, um Biodiversität zu schützen, liege auch an ihrer Fläche. Derzeit trage die Getreideproduktion „wesentlich“ zum übermäßigen Pestizideinsatz in Deutschland und der EU bei. Allein auf Weizen und Gerste entfielen 45 Prozent des Pestizideinsatzes in Deutschland und mehr als 60 Prozent der bundesweit gespritzten Fläche.

Im Getreideanbau wird auch das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat eingesetzt, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen und die Natur zu schädigen. Auch davon sind Rückstände, wenn auch meist in sehr geringen Mengen, in Weizen oder Bier nachgewiesen worden. Eigentlich ist Glyphosat nur noch bis zum 15. Dezember zugelassen werden. Doch das steht nun auf der Kippe. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission könnte die Zulassung des umstrittenen Pestizids um zehn Jahre bis 2033 verlängert werden. Am Freitag stimmen die EU-Mitgliedstaaten darüber ab.

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9 Kommentare

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  • Hört sich alles immer so dramatisch an. Unterm Strich sind in 1% aller Proben Werte über dem zulässigen Höchstgehalt gemessen worden. Ist immer noch zu viel aber diese Grenzwerte sind auch mit Sicherheitspuffern versehen und direkt bei Überschreitung noch nicht kritisch.



    Vor allem wenn man bedenkt, was sich in unbehandeltem Getreide alternativ dazu finden lassen könnte (siehe Kommentar von Magic Theo)

  • Wer schreibt das glyphosat im getreideanbau eingesetzt wird hat schon bewiesen ahnungslos zu sein. Totspritzen vor der Ernte ist ( bis auf genehmigungspflichtige Ausnahmen) verboten. Einzig vor der Aussaat ist eine spritzung möglich. Ansonsten würde das getreide absterben.

  • Getreide ist (wie übrigens Geld) eine naturwidrige Monokultur - sie beherrschen UNS, nicht umgekehrt.

  • Schade, dass im Artikel keinerlei Konzentrationsdaten der identifizierten Residuen in Promille oder ppm angegeben wurden, das verhindert eine quantitative Argumentation. Dann halt ein paar qualitative Anmerkungen im gegebenen Kontext. Ungeschützer Weizen im Regen zeigt eine starke Tendenz zu Septoria- oder Fusariumbefall. Wenn fusariumverseuchter Weizen gemahlen und verspeist wird, bilden sich im Organismus des Verbrauchers Mykotoxine, die äusserst unangenehm sind. Vom Mutterkorn im Roggen, dessen Alkaloide und Ergotamine das berüchtigte Antoniusfeuer auslösen können, mag ich gar nicht erst anfangen. Persönlich meide ich daher Reformhäuser mit Bioweizen so gut ich eben kann und nehme umgehend Reisaus.

  • @BERNHARD HELLWEG

    Ihr Schnipsel könnte direkt von der Werbeabteilung von Bayer stammen. Oder von Cargill.

    Was machen? Lebensmittel aus der Finanzspekulation herausholen. Lebensmittelverschwendung [1] einschränken. Agrarchemie aufs Nötige reduzieren statt aufs maximal mögliche zu erweitern.

    Und oh, biofuels [2]. Unter Strafe stellen, wenn sie Ressourcen für Lebensmittel verdrängen.

    Aber die Rendite.

    [1] www.europarl.europ...-der-eu-infografik



    [2] www.newscientist.c...-from-ukraine-war/

  • Und was machen wir jetzt? Die Menschheit ist lange von Agrarchemie, sprich Pestiziden, abhängig. Soll die halbe Menschheit verhungern?

    • @Bernhard Hellweg:

      Ah ja, Deutschland ist mal wieder für die Ernährung der sog. "Weltbevölkerung" zuständig. Allerdings im großen Umfang jenes, welches als Lebensmittel verkauft wird, wegwerfen - auch so eine "Unsitte".



      Wenn drauf stehen würde, welche Pestizide mit verwendet werden, dann hätte das drauf sprühen schnell ein Ende.



      Und übrigens, die Natur regelt Überpopulationen selbst. Für den Menschen eine teils unangenehme Vorstellung. Aber was willste gegen Religion schon machen??

      • @MahNaMahNa:

        Deutschland ist nicht für die Ernährung der Weltbevölkerung zuständig. Wir impotieren deutlich mehr als wir exportieren und sind weltweit der 5.größte Nettoimporteur von Lebensmitteln. Wir können uns leisten hier die landwirtschafltiche Produktion zu reduzieren und auch Lebensmittel zu verschwenden. Als Konsequenz kaufen wir die fehlenden Lebensmittel eben anderen Ländern weg.

      • @MahNaMahNa:

        Das würde auch nichts bringen da das ganze Brotgetreide oder das Getreide für den Menschlichen Verzehr nur aus dem Ausland import wird (Amerika Indien Russland) da wir hier leider so doof sind und unseren Landwirten so viele Auflagen geben von der Düngung her das das Getreide in Deutschland nicht die Qualität hat und an die Tiere als Tierfutter verfüttert wird .