Pestizide in der Europäischen Union: Zulassungen ungeprüft verlängert
Eigentlich müssen Gifte, die die Landwirtschaft in der EU spritzt, regelmäßig eine Risikoprüfung durchlaufen. Das geschieht in vielen Fällen nicht.

Die Zulassungen für die Substanzen müssen in der Regel alle zehn Jahre erneuert werden. Bedingung für eine neue Zulassung ist eigentlich eine umfassende Risikoprüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA. So läuft das jedoch nicht immer. Wenn die Behörde die Risikobewertungen nicht fristgemäß vornimmt, werden die bestehenden Zulassungen auch ohne erneute Prüfung verlängert – in krassen Fällen bis zu achtmal.
Es sind Pestizide im Einsatz, deren Zulassung schon 2013 ausgelaufen ist – und die seither keine vollständige Risikoprüfung der EFSA mehr durchlaufen haben. „Die Zulassung von jedem dritten Pestizid in der EU ist längst abgelaufen, trotzdem werden die Mittel weiter massenhaft verspritzt“, sagt Lars Neumeister von Foodwatch.
„Die Umweltrisiken durch Pestizid-Cocktails werden unterschätzt“ warnt etwa auch das Bundesumweltamt. Und die Heinrich-Böll-Stiftung spricht von über einer Million Pestizid-Vergiftungen pro Jahr in Südeuropa. Trotz all dem ist der Einsatz von Pestiziden in der EU in den letzten Jahrzehnten nicht zurückgegangen.
Alles halb so schlimm?
Eine Anfrage der taz dazu, warum die EFSA die Risikoprüfungen nicht rechtzeitig vornehme, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Ein Sprecher der EU-Kommission sagte lediglich: „Die EU hat weltweit eines der strengsten Systeme für Nahrungsmittelsicherheit.“
Der Industrieverband Agrar (IVA) schreibt auf Anfrage der taz, dass auch die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln seit Jahren beklagen würden, dass der vorgegebene Zeitrahmen für Genehmigungs- und Zulassungsverfahren in der EU regelmäßig überschritten wird.
Das ist jedoch der einzige Punkt, in dem sich der Industrieverband und die Verbaucherschützer einig sind. Foodwatch betreibe „irreführenden Alarmismus“, meint Martin May, Geschäftsführer des IVA. Es handle sich um Substanzen, die schon einmal das strenge Verfahren nach dem EU-Pflanzenschutzrecht durchlaufen haben. Und: „Die von Foodwatch unterbreiteten Vorschläge zur Beschleunigung der Verfahren sind untauglich.“
Die beinhalten nämlich höhere Zulassungsgebühren für die Pestizidhersteller, damit die EU-Behörden ausreichend finanzielle Mittel für die Risikobewertungen hätten. „Das EU-Pestizid-Zulassungssystem hat so viele Schwachstellen, dass eine Reform dringend notwendig ist“, sagt Foodwatch-Experte Neumeister.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links