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Personalmangel im AbschiebeknastNiemand will nach Glückstadt

Die Abschiebehaftanstalt Glückstadt steht immer wieder in der Kritik. Jetzt hat eine Anfrage ergeben: Ein Drittel der Personalstellen ist unbesetzt.

Darf kein Knast sein, sieht aber aus wie einer: Abschiebehafteinrichtung Glückstadt Foto: Ulrich Perrey/dpa

Hamburg taz | Abschiebehaft ist rein rechtlich gesehen kein Gefängnis. Menschen landen dort nicht, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern weil sie abgeschoben werden sollen. Daher ist es „so weit wie möglich“ zu vermeiden, „dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung“ ähnelt. Das hat der Bundesgerichtshof im Sommer festgestellt.

Die Abschiebungshafteinrichtung (AHE) Glückstadt war noch nie besonders gut darin, kein Knast zu sein. Das liegt schon am äußeren Erscheinungsbild. Sechs Meter hohe Betonmauern und fünf Meter hoher Stacheldraht umgeben Teile des ehemaligen Kasernengebäudes.

Seit 2021 nutzen Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern die Einrichtung, um Menschen bis zu ihrer Abschiebung dort unterzubringen. Die Zustände standen von Anfang an immer wieder in der Kritik, zuletzt nach einem Bericht des Landesbeirats der Abschiebehaft im September.

Jetzt gibt es neue Zahlen für das Jahr 2024. Sie sind Teil der Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der Hamburger Linksfraktion, die der taz vorliegt. Darin geht es vor allem um die Menschen, die in der Einrichtung arbeiten. Laut der Anfrage sind derzeit 20 von 72 Stellen nicht besetzt. Zudem ist der Krankenstand hoch. Mit rund 40 Krankheitstagen pro Person im Jahr 2024 liegt er über dem Bundesdurchschnitt von 15,1 Tagen.

Unzumutbare Zustände

„In diesen Zahlen drückt sich aus, dass die Umstände unzumutbar sind, auch fürs Personal“, sagt Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Der Personalmangel in der Abschiebehaftanstalt habe auch konkrete Auswirkungen für die Insass:innen. Diese beträfen unter anderem den Hofgang und die Besuchszeiten. „Wir hören immer wieder von Besuchsgruppen, dass die nicht reingelassen werden“, sagt Ensslen.

Auf die Frage, wie oft Be­su­che­r:in­nen im Jahr 2024 abgewiesen werden mussten, gibt das zuständige Ministerium für Justiz und Gesundheit Schleswig-Holstein keine Antwort. Dies werde statistisch nicht erfasst, so die Betreiberin der AHE, auf deren Angaben sich der Hamburger Senat bezieht. Ebenso wie die „Zeit an der frischen Luft“ könne auch das Besuchsrecht im Einzelfall vorübergehend eingeschränkt werden, aus „Gründen der Sicherheit“ oder bei „Einsatzlagen“, heißt es weiter.

Es gibt immer noch keine muslimische Seelsorge, obwohl die Finanzierung gesichert ist. Es findet sich keine Fachkraft

Ensslen hält diese Begründung für vorgeschoben. „Ich denke, dass die sich darum drücken, einzuräumen, dass sich die personelle Situation doch auswirkt.“ Das Problem sei, dass man kaum Leute finde, die in der AHE arbeiten wollen.

In einigen Fällen sind die Auswirkungen des Personalmangels nicht von der Hand zu weisen. So geht aus der Anfrage hervor, dass es immer noch keine muslimische Seelsorge in der Anstalt gibt, obwohl die Finanzierung schon seit 2023 gesichert ist und ein Träger beauftragt wurde. Das Problem: Es findet sich keine Fachkraft.

Ähnlich war es lange Zeit mit der Sozialberatung, die erst seit einigen Monaten wieder angeboten wird. Zuvor hatte es monatelang keine Sozialberatung in der AHE gegeben, weil der Träger niemanden fand, der sich dieser Belastung aussetzen wollte.

Die Einrichtung in Glückstadt war von Anfang an umstritten. Inhaftierte und Unterstützende berichteten von mangelnder Versorgung mit Medikamenten und fragwürdigem Umgang mit Gefangenen in psychischen Notsituationen. Erst Anfang dieses Jahres brannte es kurz nacheinander zweimal in Zimmern von Inhaftierten. In einem Fall war es nach Aussage des Betroffenen ein versuchter Suizid, den der damalige Leiter leugnete. Der Fall beschäftigte auch den Landtag in Schleswig-Holstein.

Auch fehlendes Personal war von Beginn an ein Problem. Im AHE sollten ursprünglich 60 Menschen zugleich inhaftiert sein können, 20 für jedes Bundesland. Weil es zu wenig Personal gab, waren es seit Oktober 2023 nur 28 Plätze, seit diesem Jahr sind es 42.

Hamburg will am Abschiebegefängnis Glückstadt festhalten

Dafür sind laut Hamburger Senat 72 Stellen vorgesehen. Wie viele Menschen derzeit in der AHE auf ihre Abschiebung warten, hat die Hamburger Linksfraktion nicht erfragt. Daher bleibt unklar, ob die Belegung bei 20 unbesetzten Stellen entsprechend angepasst wurde.

Die meisten Menschen, die in der Abschiebehaftanstalt Glückstadt inhaftiert sind, kommen aus Hamburg. In den Jahren 2021 bis 2023 waren es rund 50 Prozent. Angesichts der neuen Zahlen zum Personalmangel fordert die Linke den Senat auf, keine Gefangenen mehr nach Glückstadt zu schicken.

Die für Abschiebungen zuständige Hamburger Innenbehörde möchte die Entsendung in die AHE Glückstadt dennoch nicht überdenken, wie ihr Sprecher der taz auf Anfrage mitteilte. „Es wird beabsichtigt, die für Hamburg zur Verfügung stehenden Kapazitäten weiterhin zu nutzen.“

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