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Performance von Florentina HolzingerMensch, Natur, Maschine, Pommes

Die Uraufführung von Florentina Holzingers Performance „Kranetude“ am Berliner Müggelsee war unvergesslich, verstörend – und ließ Fragen offen.

Florentina Holzingers Markenzeichen sind nackt auftretende Performerinnen. Szene aus „Kranetude“ Foto: Mayra Wallraff

Die vier nackten Schlagzeugerinnen sitzen mit dem Rücken zum Publikum. Sie peitschen die Musik im Seebad Friedrichshagen am Müggelsee zum nächsten atmosphärischen Höhepunkt des Abends. Acht ebenso nackte Performerinnen hängen derweil in etwa 15 Metern Höhe an einer von einem riesigen Kran gehaltenen runden Traverse. Darunter tritt eine am Seil hängende Performerin – natürlich nackt – ein gut zwei Meter langes Donnerblech mit den Füßen. Wie Delphine tauchen im Hintergrund zwei weitere völlig entblößte Performerinnen ins Wasser des Müggelsees ein und wieder auf.

Ein Anblick zum Niederknien: Mensch, Maschine, Natur. Vereint in einem poetischen Moment der Superlative. Zwischen Pommesbuden und Steh-Paddlern. Es ist der neueste Coup der Choreografin Florentina Holzinger; die Uraufführung ihres Happenings „Kranetude“ am vergangenen Donnerstag. Kaum jemand tanzt momentan so souverän auf dem schmalen Grat zwischen kurzweiligem Spektakel und überwältigendem künstlerischen Mehrwert wie die österreichische Choreografin. Der gekonnte Spagat zwischen Populärem und hoher Kunst hat Holzinger zum Liebling der Berliner Kunst- und Theaterszene gemacht.

Zweimal bereits wurden Holzingers Arbeiten zum Berliner Theatertreffen eingeladen: 2020 war es ihre Choreografie „Tanz“. Dieses Jahr ihr Volksbühnen-Superhit „Ophelia's got talent“. Neben institutionelle Bühnen bespielt sie mit ihren performativen „Etüden“ auch gerne den öffentlichen Raum. In Berlin sorgte ihre Performance „Étude for Disappearing“ im Rahmen der vom hippen Berliner Kunstverein Schinkelpavillon initiierten Reihe „Disappearing Berlin“ für viel Aufmerksamkeit. Ihr Markenzeichen sind nackt auftretende Performerinnen (sie selbst immer eingeschlossen). Mal führen sie lustvolle, mal brutale, mal verstörende Aktionen aus. Oft mit brachialen technischen Geräten oder Maschinen wie Helikoptern, Rennautos – oder eben Kränen.

Abschluss der Intendanz von Franziska Werner

Holzingers jüngste Strandbad-Etüde ist der große Abschlussknall für das Themenfestival „Leisure and Pleasure“ der Sophiensaele. Und damit auch der zwölfjährigen künstlerischen Leitung von Franziska Werner. Sie wird in diesem Sommer von dem Dramaturgen Jens Hillje und der Kulturmanagerin Andrea Niederbuchner als neues künstlerisches Leitungsteam abgelöst.

Werner hat den Ruf der Sophiensaele als eine der wichtigsten Spielstätten der freien Szene in Berlin kontinuierlich ausgebaut. Sie war auch eine der ersten, die das Berliner Publikum mit Arbeiten von Florentina Holzinger vertraut machte. 2017 zeigte sie die Performances „Recovery“ und „Apollon“ und 2020 „Tanz“. Die „Kranetude“ ist somit ein passender Abschluss ihrer erfolgreichen Intendanz. Einer, der mit Wumms daherkommt. Was als lauschiger Sommerabend am See beginnt, entfaltet schnell die überwältigende Kraft einer typischen Florentina-Holzinger-Performance.

Der nostalgisch-beschauliche Sandstrand des Seebades Friedrichshagen wird von zwei Stegen rechts und links eingerahmt. Der historische Sprungturm, die Pommesbüdchen, das lässt Sommerfrischegefühle aufkommen. Das hippe Berlin hat es sich auf Strandtüchern gemütlich gemacht. Freizeitfreundlich ist auch die Länge der „Kranetude“ mit knapp 40 Minuten. Pünktlich um acht Uhr geht es los.

Vier in Bademäntel gehüllte Frauen schreiten durch das Publikum hindurch in Richtung See. Lässig lassen sie die Bademäntel fallen, setzen sich an ihre Schlagzeuge. Ihnen folgt Sibylle Fischer, die Dirigentin des Abends. Sie wird mit ekstatischen, manchmal bedrohlichen Bewegungen zuerst die Musikerinnen, dann alle an der Performance beteiligten Elemente – Mensch, Technik und Natur – führen.

Assoziative Wucht der Performance

Der Kran steht hinter dem linken Steg im Wasser und streckt seinen langen Arm in den Sommerabendhimmel. An ihm werden etwa eine Viertelstunde nach Beginn die acht Performerinnen an der Traverse aus dem Wasser gezogen. Spätestens dann entfaltet die Performance ihre ganze assoziative Wucht. Wie frisch ertrunken hängen die Tänzerinnen in der Luft. Oder sind sie leblose Puppen in einem Kettenkarussell? Oder eine Parodie auf die „weiße Frau“, die schlaff in King Kongs Riesenhand liegt? Plötzlich beginnen sie sich anmutig zu bewegen. Also doch Meerjungfrauen? Nixen? Wassernymphen?

Und wer sind diese riesigen weiblichen Wesen, die sich wie auf langen Wasserbeinen aus weiter Ferne langsam dem Strand nähern? Meeresgöttinnen? Amazonen? Außerirdische? Oder doch nur Frauen auf Flyboards?

Und dann die große Frage nach dem Warum? Was soll das alles? Das Schöne ist: Es gibt darauf keine Antwort. Wer das Seebad Friedrichshagen an diesem Abend verlässt, hat Sand zwischen den Zehen, Pommesgeschmack im Mund – und unvergesslich schöne und verstörende Bilder im Kopf. Das reicht.

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