Neue Spielzeit an Berliner Volksbühne: Die Show von der Tragik im Wasser

Frauen besetzen die literarischen Bilder, in denen sie schon immer vorkamen. Kann die Berliner Volksbühne sich mit Florentina Holzinger neu erfinden?

Porträt der Regisseurin Florentina Holzinger in gelbem Kapuzenpulli

Der Ruf des Krassen: Florentina Holzinger Foto: Apollonia Theresa Bitzan

Schau dir das an, diese wilden Weiber. Flattern erst in den Lüften, an Gurten aufgehängt, und ihre schönen biegsamen Körper, unbekleidet, streifen kurz die Posen barocker Deckengemälde. Unter ihnen ist Wasser in einem Becken im Boden der Berliner Volksbühne. Über ihnen schwebt ein Helikopter. „Mayday, Mayday“, ruft die Pilotin, die Frauen entern die Maschine, der Sound schwenkt auf Katastrophenfilm, ihre Bewegungen werden eks­tatischer und deuten am Rumpf und am Heck mit kopulierenden Gesten einen gewaltigen Orgasmus an.

Wir befinden uns wo? In einer James-Bond-Fantasie? In den Bildträumen eines Herrenmagazins? Oder bei Dykes on Bikes? Etwas von all dem hat diese von Thrill durchzogene Szene in Florentina Holzingers Performance „Ophelia’s Got Talent“, die am Donnerstag Premiere in der Volksbühne Berlin hatte. Frauen besetzen hier Bilder, in denen sie schon immer vorkamen, und teils die männlichen Rollen oft mit dazu. Aber diesmal sind sie die Autorinnen der Bilder.

Holzinger eilt der Ruf des Effektvollen und Krassen voraus. Die Uraufführung ist ihr zweites Stück an der Berliner Volksbühne, seit René Pollesch die Intendanz übernommen hat. Zusammen mit der Autorin Lydia Haider und der Musikkuratorin Marlene Engel bildet sie so etwas wie das feministische Aushängeschild der Volksbühne.

Die braucht dringend ein neues Bild davon, wofür sie als größte Schauspielbühne Berlins eigentlich steht. Bei einem Pressegespräch stellte das Team seine Pläne vor, teils allerdings in einem etwas insiderischen Jargon. Holzingers Projekt gehört zum Aufwendigsten und Teuersten, was das Haus in dieser Spielzeit macht, nicht zuletzt wegen drei Wasserbecken auf der Bühne.

So stand vor der Uraufführung auch Misstrauen im Raum: gegenüber Holzingers Lust an der Verschwendung und am technischen Aufwand, die quer steht zur neuen Suche nach ressourcenschonender Produktion, auch in den Künsten. Gegenüber den visuellen Oberflächenreizen und Schockeffekten, die sie nutzt. Gegenüber einem Feminismus, der immer auch etwas Plakatives hat.

Ein großes Spektakel

All das stimmt, aber dennoch ist ihre Show ein Spektakel, das viele Bedenken dann wieder hinwegfegt. Das liegt viel an den Performerinnen und Artistinnen, darunter eine Akrobatin am Vertikalseil, eine Schwertschluckerin (Fibi Eyewalker), die auch einen Schlauch mit Kamera schluckt und an der tollen Saioa Alvarez Ruiz, einer kleingewachsenen Schauspielerin mit ungeheurer Präsenz und selbstironischer Sicherheit. Mit ihnen kommen eher theaterferne Show- und Traumwelten auf die Bühne, die etwas Lautes und Rohes haben.

Ein Schauspieler in einem Bassin mit vielen blubbernden Bläschen

Spielen unter Wasser: Gleich drei Bassins befinden sich auf der Bühne Foto: Nicole Marianna Wytycza

In der Musik und in den Bildern gibt es Zitate von Filmen. Das Titelmotiv aus „Der weiße Hai“ prallt auf Schuberts „Die Forelle“. Ein gewisser Captain Hook, vertrauenswürdig wie Jack Sparrow, gibt den Master of Ceremonies. Die Kamera, die von oben in das größte Wasserbecken schaut, erinnert an die von oben gefilmten Wasserballette in den Musicals von Busby Berkley.

All das ist zunächst ein Potpourri, lose verbunden über das Wasser als Thema und Schauplatz. Zwar erhält man mit dem Besetzungszettel auch ein Glossar mit den weiblichen Figuren, die in der Literaturgeschichte tragische Verbindungen mit dem Wasser eingingen: Melusine, Undine, Meerjungfrau, Loreley. Doch deren Spuren, die das Stück in der Vorstellung durch Holzinger verfolgen wollte, sind nur ansatzweise kenntlich auf der Bühne.

Leda und der Schwan

Bis auf die Episode von Leda und dem Schwan. Thema der klassischen Mythologie und Erzählung über eine Vergewaltigung, die ein Gott in Schwanengestalt an der schönen Leda beging. Eine Frau mit Schwanenkopf steht im Wasser vor einer zweiten, die wie auf einem gynäkologischen Stuhl positioniert ist. Diese erzählt von einer Vergewaltigung als junge Frau, durch ihren Tätowierer.

Eine schwer zu ertragende Szene, die auch in ihrem Gestus des Authentischen aus den Showformen herausfällt. Und doch erzählt die Performerin ja nichts anderes, als was in der Mythologie und der Kunst zum gut konsumierbaren Bild geworden ist.

Wenn die Show ein zweites Mal von einer intimen Erzählung unterbrochen wird, ist es Florentina Holzinger selbst, die von ihrer Magersucht mit zehn Jahren erzählt, der Zwangsernährung im Krankenhaus. Aber bevor es zu dramatisch wird, wischt sie das wieder beiseite, das sei eben die Zeit von Grunge gewesen. Damit legt sie sicher eine Spur zu ihrer Besessenheit für Körperbilder, zu der Einbeziehung von Selbstverletzungen auf der Bühne, die auch hier wieder Teil sind und eigentlich überflüssig wirken.

Kompliziertes Produktionsmodell

Mehr als die literarischen Zitate geben diese beiden ungeschützten Erzählungen einen Spannungsrahmen. Tief unter den vielen protzigen Gesten der Selbstermächtigung liegt ein Unglück, das die kulturelle Bildproduktion über das Weibliche immer wieder neu hervorgebracht hat und hervorbringt.

An der Produktion von „Ophelia’s Got Talent“ sind neben der Volksbühne sieben weitere Partner, Theater und Festivals beteiligt, sie wird also auch in Wien, Antwerpen, Hamburg, Rotterdam und Zürich zu sehen sein. Solche Produktionsmodelle waren eigentlich das Konzept von Chris Dercon, der als ungeliebter Intendant der Volksbühne wieder gehen musste. Zu einem Haus, dessen Markenkern das schauspielerische Ensemble ist, wie unter Castorf, wird die Volksbühne wohl auch unter Pollesch nicht werden.

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