Peking verordnet Zwangsquarantäne: Hongkong im Coronanotstand
Weil die autonome Wirtschaftsmetropole Hongkong die Kontrolle über die Pandemie verliert, diktiert jetzt China der Stadt die eigene Politik.
Tatsächlich durchläuft Hongkong eine solche Ausnahmesituation zeitverzögert: Während die Metropole bis Ende 2021 mit gerade mal 12.000 Infizierten sehr gut durch die Pandemie gekommen war, haben sich allein in den letzten zwei Monaten 200.000 Menschen infiziert. Die Dunkelziffer dürftte weit höher liegen.
Die Situation wird dadurch verschärft, dass die Zentralregierung in Peking ihre in China erfolgreiche „Null Covid“-Strategie mit der Brechstange auf Hongkong ausweitet, auch wenn sie dort längst zum Scheitern verurteilt ist.
Ab Mitte März sollen alle 7,4 Millionen Einwohner auf das Virus getestet werden. Für viele Hongkonger wäre wohl eine Erkrankung mit der Omikron-Variante weniger besorgniserregend als die darauf folgende Zwangsquarantäne: Denn alle Infizierten sollen ganz unabhängig von den Symptomen in zentralisierten Einrichtungen weggesperrt werden.
Zentrale Quarantänecamps
Am Stadtrand werden riesige Camps errichtet, die für eine der reichsten Städte der Welt beschämend sind: kahle Container mit Gitterbetten, abgesperrten Fenstern und kommunalen Plumpsklos. „Erwarten Sie, dass die Übergangseinrichtungen wie Hotels sind?“, twittert die Peking-treue Abgeordnete Regina Ip schnippisch.
Tatsächlich zeigen die Camps vor allem behördlichen Aktionismus. Denn für eine „Null Covid“-Strategie sind Lager mit Gemeinschaftstoiletten für Infizierte eher kontraproduktiv.
Auch erhöhen sie die psychologischen Folgen für die Bevölkerung. So hatten die Behörden in einer Quarantäne-Anlage letzte Woche innerhalb von 72 Stunden vier Suizidversuche registriert.
In den sozialen Netzwerken zirkulierende Videos zeigen, wie verzweifelt viele Menschen in den Lagern sind. Eine 59-jährige Frau droht, vom Dach ihres Gebäudes zu springen. Ein Mann schläft aus Protest im Freien vor seinem Isolationscontainer, da er laut eigener Aussage keine medizinische Hilfe für eine chronische Erkrankung erhält. „Es ist wie ein Konzentrationslager. Niemand würde erfahren, wenn ich sterbe“, sagt er.
Zweifel an der Isolationspolitik
Auch Experten zweifeln an Hongkongs strenger Isolationspolitik. Bei weit über 10.000 Infektionen pro Tag sei es aussichtslos, weiter zu probieren, das Virus vollständig auszuradieren. Die meisten Infizierten würden sich besser in der eigenen Wohnung kurieren. Doch auf Druck Pekings muss Hongkong jetzt am „Null Covid“-Mantra festhalten.
Umso erstaunlicher ist es, dass in Festlandchina erstmals eine abweichende Expertenmeinung zu vernehmen ist. Kein Geringerer als Zeng Guang, Chef-Epidemiologe der nationalen Seuchenschutzbehörde, schreibt auf der Onlineplattform Weibo, dass angesichts milderer Verläufe durch Omikron eine „Koexistenz mit dem Virus“ das langfristige Ziel sein müsse.
„Die natürliche Infektionsrate in China ist gering. Bisher war dies ein beachtliches Ergebnis, doch mittlerweile ist es eine Schwäche“, so Zeng. Noch sei aber kein geeigneter Zeitpunkt für eine Öffnung.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung