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Pastor Wilfried Manneke über Rassismus„Ein Gutmensch ist etwas Positives“

Der Pastor Wilfried Manneke engagiert sich seit vielen Jahren gegen Rechtsextremismus und Rassismus in der Südheide. Geprägt hat ihn die Erfahrung der Apartheid.

Exponiert gegen rechts: Wilfried Manneke bei der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises Foto: Piero Chiussi
Andreas Speit
Interview von Andreas Speit

Herr Manneke, der Zentralrat der Juden hat Sie gerade mit den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Eine Überraschung?

Wilfried Manneke: Mit einem Preis für mein Engagement gegen Rechtsextremismus habe ich überhaupt nicht gerechnet. Diesen Preis, so bewerte ich es, darf ich auch stellvertretend für die Bündnisse gegen rechts entgegennehmen, in denen ich mich einbringe. Es ist auch das erste Mal, dass ich für meine Bemühungen einen Preis erhalte. Dass dieser Preis vom Zentralrat der Juden kommt, empfinde ich als Christ als eine doppelte Ehre.

Warum doppelt?

Die Geschichte der evangelisch-lutherischen Kirche ist nicht frei von Antisemitismus und im Nationalsozialismus hat sich meine Kirche zu sehr mit den Machthabern eingelassen. Dieser Preis freut mich aber auch, weil Juden ganz besonders im Visier der Rechtsextremen stehen und unser Engagement gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gesehen wird.

Am Samstag haben Sie mit vielen Menschen gegen eine Sonnenwendfeier auf einem Neonazihof bei Eschede protestiert, wie schon oft seit 2007. Werden Sie nie müde?

Resignieren, nicht mehr demonstrieren? Das möchte diese Szene doch, dass wir aufgeben. Nein, ich werde nicht müde. Und vor allem bin ich nicht alleine. Unsere Initiative „Kirche für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und des Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus ermutigen mich, weiterzumachen.

Diese Netzwerke haben Sie mit initiiert. 1995 sind Sie Gemeindepastor geworden und gleich gegen rechts aktiv gewesen. Nicht ohne Folgen für Sie – bis zu einem Brandanschlag 2011.

Für uns, möchte ich sagen. Das war für meine Frau, für unsere Kinder und für mich ein Einschnitt. Rechtsextreme vor der Tür, rechte Schmierereien an der Fassade – und nun ein Brandsatz. Aus Südafrika bin ich 1995 zurück nach Deutschland gekommen, in die Lüneburger Heide. Und ich konnte kaum glauben, wie stark hier diese menschenverachtende Szene aktiv war. In Hetendorf unterhielt damals der rechtsextreme Anwalt Jürgen Rieger ein Zen­trum. Da kann man nicht schweigen, da muss man handeln. Und in den Netzwerken, in denen ich war, überlegten wir, wer kann sich offen gegen rechts outen, Aktionen anmelden, Flugblätter verantworten, vielleicht mit beruflichem Schutz. Denn uns war klar, die Feinde der Menschlichkeit würden uns als Feinde wahrnehmen.

Das klingt sehr abgeklärt.

Im Alltag fasst Sie das natürlich anders an. Beim Protest gegen die Besetzung des Landhotels in Faßberg 2009 von einer Gruppe um Rieger stieg die Hetze gegen mich im Internet enorm an. Das lässt einen nicht unberührt. Meine Kirche konnte mir zwar keine Bodyguards stellen, sie stellte mir aber einen Anwalt, der energisch gegen Hasspostings auf Twitter und dem rechtsextremen Portal Altermedia vorging. Sein Engagement dürfte 2016 mit zum Verbot von Altermedia geführt haben.

Haben die dreizehn Jahre, die Sie zur Zeit der Apartheid in Südafrika waren, Sie politisiert?

Ein starkes Wort. Diese Erfahrung hat mich sehr für alle Schattierungen des Rassismus sensibilisiert. Ich stand in Eshowe zwei Gemeinden vor, einer deutschsprachigen und einer englischsprachigen. In der englischsprachigen Gemeinde waren neben Weißen auch Menschen anderer Hautfarbe; damals eigentlich nicht erlaubt, aber geduldet. Alle drei Monate musste ich meine Arbeitserlaubnis erneuern lassen. Die Sicherheitspolizei beobachtete mich. Hier mussten wir sehr genau überlegen, wie wir unserem christlichen Glauben gerecht werden können, ohne ausgewiesen zu werden.

Wilfried Manneke

64, wurde in Delmenhorst geboren. Mit seiner Ehefrau hat er vier Söhne. 1983 wurde er in Oldenburg-Ofenerdiek ordiniert. In den 90er-Jahren war er Pfarrer in der südafrikanischen Provinz KwaZulu-Natal, wo er die Auseinandersetzungen um das Ende der Apartheid miterlebte. Seit 1995 ist er Gemeindepfarrer im niedersächsischen Unterlüß. Er gehört zu den Gründern des „Netzwerks Südheide gegen Rechtsextremismus“ und der Initiative „Kirche für Demokratie –gegen Rechtsextremismus“ in Hannover. 2011 flog ein Brandsatz gegen sein Pfarrhaus. Die Täter sind bis heute unbekannt. Vor einer Woche bekam er vom Zentralrat der Juden den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage.

Das war die Hochzeit der Auseinandersetzung um das Ende der Apartheid, bis sie 1994 durch die Wahl Nelson Mandelas abgeschafft wurde …

… Politik der getrennten Entwicklung hieß diese rassistische Ausgrenzung offiziell. Diese Politik, die bis ins tief Private wirkte, hat schreckliche Verletzungen verursacht. Ich als Weißer wurde aber von den Betroffenen nie angefeindet. Trotz deren Unterdrückung und Verfolgung hatten sie die Kraft, genau zu schauen.

Hat Ihnen diese Erfahrung später auch über Niederlagen hinweggeholfen? Etwa, als Jugendliche, die sie konfirmiert hatten, sich der rechten Szene zuwandten?

Das war selbstverständlich ernüchternd. Zehn Jungs, die ich teilweise konfirmiert hatte, wurden für die Szene rekrutiert. Die Rechten machten den damals Vierzehnjährigen ein vermeintlich spannendes Angebot zwischen Politik, Aktion und Freizeit. Sie kümmerten sich sogar darum, das die Jungs die damals passende Szenemode bekamen: Bomberjacke und Springerstiefel. Aber wir erreichten sie dennoch; boten Gespräche an – und sie kamen. Wir mussten feststellen, dass die Achtklässler vom Nationalsozialismus nichts wussten – und das, obwohl das frühere Konzentrationslager Bergen-Belsen nur 25 Kilometer von hier entfernt ist. Die Schule hat übrigens auch reagiert: Der Nationalsozialismus wurde nun ab der sechsten Klasse Lehrinhalt.

Also am Ende doch noch ein Erfolg?

Es war eine harte Auseinandersetzung, aus der wir viel gelernt haben.

Wie nehmen Sie wahr, dass die vermeintlichen Retter des Abendlandes sich auf das Christentum beziehen?

Das ist ein Hohn. Wenn Alexander Gauland sagt, dass niemand neben Jérôme Boateng wohnen möchte, dann ist das Rassismus. Und wenn Björn Höcke sagt, das Holocaust-Mahnmal sei eine Schande, dann ist das Antisemitismus.

Trifft Sie der Erfolg der AfD in Namen des Christentums?

Dieser Rückschlag hat mich schon sehr erschüttert. Ich hätte nicht gedacht, dass Deutschland sich so entwickeln würde. Die Positionen der AfD höre ich seit zwanzig Jahren. Diese Unterscheidung zwischen Rechtsextremen und Rechtspopulisten ist doch letztlich ungenau. Mit dem Satz „Das muss man doch mal sagen dürfen“ werden nun in der Mitte der Gesellschaft rechtsextreme Ressentiments verbreitet. Mit dem Grundgehalt des Christentums, der Nächstenliebe, hat dies nichts gemein. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die aus Not zu uns nach Deutschland kommen, so gastfreundlichen empfangen werden, wie ich damals in Südafrika aufgenommen wurde.

Sie haben Kirchenasyl angeboten – und wurden angezeigt.

Ja. Fünf Monate lebte ein Eritreer bei uns. Gegen eine Geldauflage und Sozialstunden wurde das Verfahren gegen mich 2015 eingestellt. Ich wollte die Auseinandersetzung nicht mit einem langen Rechtsstreit anheizen, womöglich das Kirchenasyl gefährden. Zu der Zeit bestanden deutschlandweit 610 Asyle in Kirchen. Deshalb habe ich die Forderung der Staatsanwaltschaft auch sofort erfüllt.

Zweifeln Sie da auch manchmal an Gott?

An Gott habe ich gezweifelt, als der norwegische Rechtsextremist Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 Anschläge gegen Regierungsangestellte in Oslo und gegen Jugendliche in einem Feriencamp auf der Insel Utøya verübte, denen 77 Menschen zum Opfer fielen. Diese hasserfüllte Tat ist mir damals sehr nahe gegangen, besonders auch, weil so viele jungen Menschen betroffen waren.

In den Sozialen Netzwerken werden Sie als „Gutmensch“ diffamiert …

Und als ewig Gestriger und Volksverräter und, und, und. Ich weiß, wie die Rechtsextremen das meinen. Aber sollen wir uns die Worte nehmen lassen? Gutmensch ist doch eine positive Bezeichnung, der ich versuche, gerecht zu werden. Gutmenschen haben gute Absichten, möchten bestimmte Probleme lösen oder „die Welt verbessern“. Ich bemühe mich auf jeden Fall, ein guter Mensch zu sei, der sein Denken und Handeln selbst hinterfragt und für andere Menschen offen und zugewandt ist – egal wo sie geboren sind.

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2 Kommentare

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  • Zitat: „Das möchte diese Szene doch, dass wir aufgeben. Nein, ich werde nicht müde.“

     

    Ich glaube kaum, dass das eine freie Entscheidung sein kann. Müde werden kann man auch und gerade dann, wenn man nicht müde werden will.

     

    Ob sich andere Menschen wünschen, dass man müde wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, ob man mit seinen Ressourcen vernünftig umgegangen ist. Aber ich gebe natürlich zu: Mit den eigenen Ressourcen vernünftig umzugehen ist gar nicht so leicht, wenn man sich nicht (nur) an den eigenen Fähigkeiten orientieren kann, sondern (auch) an den Wünschen anderer Menschen orientieren muss. Weil die einen einfach nicht in Ruhe lassen. Wohl dem, der nicht allein gelassen wird in so einer Situation.

     

    Ja, Gutmenschen haben gute Absichten. Sie möchten bestimmte Probleme lösen oder „die Welt verbessern“. Genau das ist es, was ihnen vorgeworfen wird: Sie nehmen die eigene gute Absicht bereits für eine gute Tat. Und zwar ohne nach den damit verbundenen Nebenwirkungen zu fragen. Ein wirklich guter Mensch würde das nicht tun, denke ich. Wer „sein Denken und Handeln selbst hinterfragt“, der kann unmöglich allen Menschen gegenüber gleichermaßen „offen und zugewandt“ sein. Das wäre einfach zu ermüdend für alle Beteiligten.

     

    Übrigens: Wenn das, was gerade passiert, „mit dem Grundgehalt des Christentums, der Nächstenliebe, [...] nichts gemein“ hat, dann liegt das womöglich auch an "den Kirchen". “Die Kirchen“ (Basis + Überbau) teilen den Begriff offenbar mit solchen Leuten, die zwischen einem konkreten Nächsten („Volksgenosse“, „Glaubensbruder“) und einem abstrakten Nächsten (Geflüchteter aus Afrika) keinerlei Verbindung sehen wollen. Was genau Nähe ausmacht aus Sicht der Kirche, erklären viel zu viele Christen dann doch eher konkret als abstrakt: Nähe entsteht angeblich durch den geteilten Glauben. Weil: Safety first.

     

    Himmel, welch ein Gottvertrauen!

    • @mowgli:

      Als Christ habe ich es eigentlich nicht zu entscheiden wer meine Nächsten sind, meine Nächsten sind eben die, die da sind, alleine dadurch dass sie da sind trage ich auch Verantwortung für diese Menschen. Und ja, das lässt sich auch auf Geflüchtete anwenden, genauso allerdings auf Obdachlose. Die Christen sind keine homogene Masse.