Parteitag der SPD und Haushaltskrise: „Ich erwarte SPD pur“
Der Haushalt für 2024 kann wohl doch nicht mehr in diesem Jahr verabschiedet werden. Das überschattet auch den Parteitag der SPD.
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Ein Sprecher der Fraktion sagte, es bleibe das Ziel der SPD, dass in diesem Jahr noch eine politische Einigung erzielt werde und der Haushaltsausschuss den Haushalt in einer zweiten Bereinigungssitzung beschließe. Dann könne der Bundestag zeitnah im kommenden Jahr den Haushalt für 2024 abschließend beraten und beschließen.
Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur erklärte gegenüber der taz: „Das ist keine gute Nachricht. Für die Industrie, für die Wirtschaft und für alle anderen bedeutet das, dass die Unklarheit weiter geht.“ Ihr dringender Appell an die Bundesregierung sei, so schnell wie möglich Klarheit herzustellen. „Damit die notwendigen Investitionen getätigt werden können, aber auch, damit für die Beschäftigten in den Unternehmen klar ist, wie es weitergeht.“
Wenn zu Jahresbeginn kein neuer Haushalt vorliegt, gilt die vorläufige Haushaltsführung. Das heißt, die Bundesregierung darf nach Artikel 111 Grundgesetz nötige Ausgaben tätigen, um den Betrieb von Bundesbehörden aufrechtzuerhalten, bereits beschlossene Bauvorhaben und Beschaffungen fortzuführen und bestehende Verpflichtungen zu erfüllen. Dies bedeutet auch, dass etwa Sozialleistungen wie Elterngeld oder Arbeitslosengeld weiter gezahlt werden können.
Wie kann die Haushaltslücke gestopft werden?
Erst in Planung befindliche Maßnahmen dürfen hingegen in der Regel nicht begonnen werden. Nur „im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses“ darf es nach Artikel 112 Ausnahmen geben. Über diese entscheidet der Bundesfinanzminister.
Seit Tagen tüfteln Kanzler Olaf Scholz, SPD, der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner, FDP, wie die im Haushalt klaffende Lücke gestopft werden kann. Laut Lindner fehlen 17 Milliarden Euro in dem 450 Milliarden schweren Etat. Die FDP hatte im Vorfeld Kürzungen im Sozialen gefordert, was die SPD – bislang – strikt ablehnte. Die Lücke im Haushalt war entstanden, weil das Bundesverfassungsgericht Mitte November einen großen Teil der für Transformation und Klimaschutz reservierten Kredite im Klimafonds für nicht verfassungskonform erklärt hatte. Der Finanzminister löschte daraufhin 60 Milliarden Euro an Krediten, was die Finanzierung wichtiger Projekte gefährdet.
In seiner Regierungserklärung hatte Scholz in der vergangenen Woche betont, die Modernisierung des Landes werde weitergehen, auch die nötigen Investitionen würden getätigt. Außerdem versprach er, dass nicht am sozialen Zusammenhalt gespart werde, etwa bei Kindergeld, Bafög oder Wohngeld.
Der Kanzler bekommt auch Druck aus seiner eigenen Partei. Freitag bis Sonntag trifft sich die SPD zum ersten Mal seit 2019 wieder zum Präsenzparteitag. Die Rede des Kanzlers steht am Samstag um 10:00 Uhr auf der Tagesordnung, danach ist der Punkt „Aussprache“ dran. Die Erwartungen an Scholz’ Rede sind inmitten von Haushaltsstreit und Umfragetief enorm hoch. „Ich erwarte von Olaf Scholz SPD pur“, sagt die Sprecherin der Parteilinken Wiebke Esdar gegenüber der taz. Und Kevin Kühnert nennt es einen „ganz wichtigen Moment, dass der sozialdemokratische Kanzler vor roter SPD-Wand über sozialdemokratische Politik spricht.“
Doch ob Scholz wirklich SPD pur liefern kann, hängt auch davon ab, wie er sich vor allem mit Lindner einigen kann. Ohnehin ist die Stimmung in der Partei angespannt. Die Sozialdemokraten sind im Umfragetief, zuletzt ging die Wahl in Hessen krachend verloren. Dass die SPD sich dort in eine Koalition mit der CDU retten konnte, verdankt sie auch massiven Zugeständnissen bei der Asylpolitik.
Intern gibt es viel Kritik am verschärften Kurs der SPD-geführten Ampel und der deutlich nach rechts gerückten Tonalität. Wie die taz berichtete, lagen im Vorfeld des Parteitags rund 60 Anträge zu dem Thema vor. Die SPD-Spitze hat nun unter Federführung von Kühnert einen Kompromissantrag erarbeitet, der den Kritikern des Regierungskurses an einigen Stellen entgegenkommt.
Darin wird unter anderem die umstrittene Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer unterstützt und die Erleichterung des Nachzugs von Familienangehörigen von Flüchtlingen gefordert. Beim Thema Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern schlägt der Antrag einen deutlich zurückhaltenderen Ton an als Bundeskanzler Scholz. Der hatte im Spiegel-Interview gefordert, man müsse „endlich in großem Stil abschieben.“
Auf dem Bundesparteitag wählt die SPD auch ihre gesamte Führungsspitze neu. Die beiden Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil kandidieren erneut als Doppelspitze, auch Generalsekretär Kühnert tritt wieder an.
Für den Parteitag reisen rund 600 Delegierte aus der ganzen Republik an – wobei die Lokführergewerkschaft GDL diesmal offenbar nicht auf der Seite der SPD ist. Die Delegierten beraten über 850 Seiten Anträge, 100 internationale Gäste sind eingeladen und 140 Techniker:innen und Messebauer:innen am Tagungsort auf dem Berliner Messegelände im Einsatz. „Und meines Wissens kein Klempner“, meint Generalsekretär Kühnert.
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