Parteitag der Linken: Gysi hält den Laden zusammen
Bloß kein Streit vor der Bundestagwahl ist die Devise des Wahlparteitags. Während Gysi von allen bejubelt wird, wirkt Lafontaine von der Partei seltsam entrückt.
Oskar Lafontaine schaut immer wieder auf sein Redemanuskript. Er spricht fast doppelt so lange wie vorgesehen. Lafontaine will eine Grundsatzrede halten. Er greift den "neoliberalen Block" an, der von den Grünen bis zur Union reicht. Er skizziert, wie der entfesselte Finanzkapitalismus unter staatliche Kontrolle gebracht werden kann. Und er entwirft ein neues Wirtschaftsmodell, jenseits von Staat und Privateigentum. "Erst wenn den Beschäftigten ihre Betriebe selbst gehören, stoßen wir das Tor zu einer wirklich sozialen Wirtschaft auf", ruft Lafontaine in der wenig anheimelnden Max-Schmeling-Halle in Berlin. Doch dass er im Publikum nicht ankommt, liegt nicht an der schlechten Akkustik.
Die Mitarbeiterbeteiligung ist Lafontaines Lieblingsthema seit der Finanzkrise. Es ist sein Versuch, ausgerüstet mit Zitaten von Abraham Lincoln und Jürgen Habermas, eine überzeugende Vision zu entwerfen. Doch in der Partei ist das Echo auf diesen Traum von der Mitarbeiterbeteiligung dünn, der Beifall spärlich. Lafontaine wirkt wie ein Solist. "Entschuldigt, dass ich euch damit langweile", sagt er einmal während seines Referats. Alles hatte man von diesem Parteitag erwartet - aber nicht diese fahrige, seltsam fern wirkende Rede des von Lafontaine, dem gewieften Rhetoriker.
Kein einprägsamer Satz zur Lage der Partei, zum bescheidenen Ergebnis bei der Europawahl oder zu den Austritten der drei Ostrealos. Dies ist nicht die Rede eines souveränen Parteichefs, der mit wohlgesetzen Worten die Flügel befriedet. Es ist die Rede, in der Lafontaine die Welt erklärt. Selten war so spürbar, wie fremd sich die Partei und und ihr Vorsitzender manchmal sind.
Der von allen Flügeln bejubelte Star des Parteitags ist Gregor Gysi. Lafontaine doziert, Gysi redet auf Augenhöhe mit den Genossen. Und spricht an, was bei Lafontaine fehlt. Er kritisiert die rauen Machtkämpfe beim Europaparteitag in Essen und den Egoismus der Strömungen. "Ihr müsst miteinander reden", ruft Gysi den verfeindeten Ost- und Westlandesverbänden zu. Er warnt davor, mit "Häme" auf die Parteiaustritte zu reagieren, und lobt das Kompromisspapier von Katja Kipping und Klaus Ernst. Die junge Ostpolitikerin Kipping will ein bedingungsloses Grundeinkommen, Gewerkschafter wie Ernst halten davon nichts. Dieses Beispiel soll zeigen, dass die Linkspartei streiten kann ohne Verletzte, ohne Verlierer und Austritte. Genau das will der Parteitag hören. Und niemand kann diese Botschaft so gut gelaunt verkünden wie Gysi.
Wohl auch wegen dessen versöhnender Rede verläuft die Debatte ziemlich friedlich. Im Streit um die - von Ostreformern als Maximalismus kritisierte - Erhöhung von Hartz IV auf 500 Euro und den Mindestlohn von 10 Euro wird ein Formelkompromiss gefunden. Auch bei der Frage, ob die Nato sofort aufgelöst gehört, fällt der Eklat aus. Man beschließt, dass die Nato "aufgelöst und ersetzt" werden soll. Am Ende votiert die Partei für das Wahlprogramm. Bloß kein Streit vor der Bundestagwahl!
Die Auftritte Lafontaines und Gysis sind auch das Ergebnis einer Arbeitsteilung. Lafontaine wirkt betont zurückgenommen, Gysi betont offensiv. Aber diese Auftritte zeigen auch: Wenn es kracht, dann hält der integrative Ostpolitiker Gysi den Laden zusammen. Lothar Bisky ist noch bis 2010 zusammen mit Lafontaine Vorsitzender. Danach soll es nur noch einen geben. Seit Sonntag ist schwer vorstellbar, dass Lafontaine die Partei allein führen kann.
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