Parteitag der Berliner Grünen: Vorsicht, reißender Fluss
Die Berliner Grünen haben auf ihrem Parteitag einen umfassenden Antrag zum Klimaschutz beschlossen – und auch ein wenig Selbstkritik geübt.
![Delegierte des grünen Parteitags von hinten, sie halten Abstimmungskarten hoch Delegierte des grünen Parteitags von hinten, sie halten Abstimmungskarten hoch](https://taz.de/picture/6301675/14/411596929-1.jpeg)
Dieses „Beste für Berlin“ ist als ironisches Zitat der schwarz-roten Bündnisses zu lesen, das mittlerweile Berlin regiert: Immerhin stehen genau diese Worte über dessen Koalitionsvertrag. Verständlicherweise sehen die Grünen das anders, wie gleich zu Beginn der Versammlung Landeschefin Susanne Mertens betonte: Der CDU-SPD-Senat und seine „leeren Phrasen“ von Stabilität seien längst von der Realität eingeholt worden, das Einzige, was das Duo Wegner-Giffey zu bieten habe, sei ein „Füllhorn an Versprechen“. Gerade in Bezug auf die Klimapolitik drohe aber ein Stillstand, den sich Berlin nicht leisten könne.
Am RednerInnenpult in einem Moabiter Konferenz-Hotel erzählte Mertens eine kleine, aber sehr metaphorische Geschichte aus ihrer Jugend: Wie die Familie einmal im Urlaub in einem trockenen Flussbett zeltete, bis in der Nähe ein Unwetter niederging und der Vater mitten in der Nacht zum Aufbruch drängte – gerade rechtzeitig, denn nur wenig später, und ein reißender Fluss hätte das Camp zerstört. Den Menschen, die angesichts der Klimakrise verunsichert seien, gehe es jetzt wie ihrem jugendlichen Selbst, dass verschlafen und frierend an der Notwendigkeit der Maßnahme zweifelte, so die Grünenchefin.
Mertens räumte ein, dass es den Grünen im Wahlkampf „nicht immer gelungen“ sei, die BerlinerInnen bei der „Mammutaufgabe“ Klimaschutz mitzunehmen. Die Partei müsse manchmal bescheidener sein und mehr zuhören: „Wir sind nicht die besseren HandwerkerInnen oder IT-SpezialistInnen.“ Ähnlich äußerten sich Grünen-Urgestein Renate Künast („Müssen über Ängste reden, die zum Teil real sind“) und Daniel Wesener. Der Ex-Finanzsenator, dem zusammen mit Ex-Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch und Ex-Gesundheitssenatorin Ulrike Gote ausführlich gedankt wurde, sagte, „Maximalforderungen wiederholen“ sei nun in der Opposition zwar leicht, führe aber schnell zu Enttäuschung. „Wer polarisiert, nimmt auch die Spaltung dieser Gesellschaft in Kauf.“
CDU-Götze Auto
Landeschef Philmon Ghirmai warnte bei der Vorstellung des Klima-Leitantrags vor einer Verwässerung des Erreichten durch die CDU. Die erhebe das Auto zum „Götzen“, und ihre Umweltsenatorin Manja Schreiner versuche, an der Solarpflicht zu sägen. Der dann mit der erwähnten Einmütigkeit beschlossene Antrag dekliniert Klimaschutz auf allen gesellschaftlichen Ebenen durch – bis hin zum Appell, Rudern, Segeln und Stand-up-Paddling gegenüber motorisierten Wassersportarten zu priorisieren. Stärker als bisher liegt der Fokus auf der sozialen Abfederung: Der Text fordert die Abschaffung der Modernisierungsumlage, man will aber auch Transferleistungs-EmpfängerInnen „unbürokratisch unterstützen, Förderung für Balkonkraftwerke zu erhalten“.
Für etliche Buh-Rufe, aber auch Beifall sorgte Yasemin Derviscemallioglu vom Kreisverband Mitte mit einer klaren Distanzierung von den Methoden der Letzten Generation: „Sich festzukleben ist passive Gewalt und Nötigung“, sagte sie in ihrem Redebeitrag. Nicht nur erzeuge das Unverständnis bei Menschen, „deren Arbeitgeber kein Verständnis dafür hat, wenn sie zu spät zur Arbeit kommen“. Wenn man diese Aktionsformen akzeptiere, schaffe das womöglich auch Legitimität in ganz anderen Zusammenhängen: „Wenn dann die Rechten mit demselben Selbstverständnis kommen – dann dürfen die das auch.“
Keinen Erfolg hatte schon im Vorfeld des Parteitags ein Änderungsantrag zum Leitantrag gehabt, der sich von den Protestformen der Letzten Generation distanzierte: „Wir sehen die Aktionen einiger Klimaaktivist*innen kritisch, die nur diejenigen treffen, die selbst kaum Einfluss auf systemische Veränderungen besitzen“, hieß es darin. Eingebracht hatten ihn Mitglieder verschiedener Kreisverbände, unter anderem der Berliner Abgeordnete Taylan Kurt und die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Landesvorsitzende Nina Stahr.
Schmerzgriffe verurteilt
Eine ausführliche Positionierung zur Letzten Generation fehlt im Leitantrag ohnehin – dafür gab es einen weiteren Beschluss, der es als „verständlich“ bezeichnet, dass „die Letzte Generation mit zivilem Ungehorsam Aufmerksamkeit für den Klimaschutz generiert“. Weiter heißt es: „Wir fordern Klimaschutzmaßnahmen und nicht unsolidarische Debatten über Protestformen von jungen Menschen, die sich für den Klimaschutz und damit schlicht und einfach für ein politisches Ziel von Verfassungsrang einsetzen.“ Polizeiliche Gewalt in Form von Schmerzgriffen und Selbstjustiz durch Autofahrende werden verurteilt.
Offenbar zu radikal war dagegen ein Änderungsantrag des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg gewesen, der die Bundespartei ins Visier nahm, es aber nicht in die Beschlussfassung schaffte. „Wir finden es peinlich und nicht hinnehmbar“, hieß es hier, „dass eine Partei, die ihren Ursprung in der Umweltprotestbewegung und zivilem Ungehorsam hat, sich immer wieder öffentlich gegen eine zivilgesellschaftliche Organisation stellt“ – obwohl diese ja gerade für die Klimaziele der Bundesregierung kämpfe. „Wir lehnen es ab“, hatten die AntragstellerInnen formuliert, „gesetzwidriges Verhalten der Aktivist*innen der Letzen Generation zu diskutieren, während der Verkehrsminister straflos das Klimaschutzgesetz bricht – mit deutlich gravierenden Konsequenzen.“
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