Parlamentswahlen in der Ukraine: Selenski kann jetzt durchziehen
Im Konflikt mit der Ostukraine sind nach dem Wahlsieg von Selenskis Partei echte Veränderungen zu erwarten. Fortschritt in anderen Feldern eher nicht.
N ach der Parlamentswahl in der Ukraine ist jetzt mit bis noch vor kurzem undenkbaren Kompromissen zu rechnen. Wirkliche Veränderungen wird es nach dem erdrutschartigen Sieg der Partei von Wolodimir Selenski bei den Bemühungen um einen stabilen Waffenstillstand in der Ostukraine geben – allerdings wohl auch nur dort.
Selenski wird die von der Ukraine bei den Friedensverhandlungen in Minsk gemachten Zugeständnisse, wie etwa die Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen mit der gesamten Ostukraine und die Herstellung eines Sonderstatus von Donezk und Luhansk, umsetzen.
Auch das Sprachengesetz, das das Russische und andere Sprachen zurückdrängt und somit eine Rückkehr von Donezk und Luhansk in die Ukraine erschwert, wird wohl liberalisiert werden.
Doch dies dürften die einzigen Neuerungen sein. Orientieren wird sich der neoliberale Selenski an Brüssel, Paris und Berlin, den Städten also, die er als neuer Präsident zuerst aufgesucht hatte.
Keine Stärkung der Demokratie zu erwarten
Selenski wird alle Gefolgsleute von Petro Poroschenko entlassen. Doch mit Inhalten oder gar Korruptionsbekämpfung hat das wenig zu tun. Schon bei seinem Wahlparteitag im Juni hatte Selenski gezeigt, dass er Loyalität erwartet. Nicht eine einzige kritische Stimme war auf dem nur 70-minütigen Parteitag zu hören gewesen. Gewählt hatte man per Akklamation. Und auch noch nach dem Wahlparteitag strich eine kleine Gruppe um den Parteichef unliebsame Parteigänger wieder aus der Wahlliste. Wer so viel innerparteiliche Demokratie pflegt, wird kaum ein Vorreiter bei der Stärkung der Demokratie im Land sein können.
Auch umweltpolitisch dürften keine Fortschritte zu erwarten sein. Erst kürzlich hatte Selenski geschwärmt, wie sich die Natur in Tschernobyl ihr Leben zurückhole, und dabei völlig ausgeblendet, dass das Gebiet um Tschernobyl für Menschen lange unbewohnbar bleiben wird. Und in Odessa hat er beklagt, dass die Umweltkontrollen im Hafen schlecht für die Wirtschaft seien.
Nun kann Selenski alles durchziehen. Die zersplitterte Opposition wird ihn nicht aufhalten. Bleibt nur zu hoffen, dass Bürgerrechtler, Umweltschützer und Medien die neuen Herrscher kritisch begleiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste