Ukraine setzt russischen Tanker fest: Der Geist des Sieges
Ein russischer Tanker ist in einem ukrainischen Hafen durchsucht worden. Hinter dem Vorfall steckt der Konflikt um die Hoheit auf See in der Region.
Berlin taz | Die ukrainische Militärstaatsanwaltschaft hat am Donnerstag mit Hilfe von Einheiten des Geheimdienstes SBU im Hafen der Stadt Ismajil ein russisches Schiff festgesetzt und durchsucht. Die russischen Seeleute sind laut einem Tweet der russischen Botschaft in Kiew frei und auf dem Weg nach Russland.
Wie der SBU auf seiner Webseite schreibt, wollten die Ermittler auf dem Schiff, dass in der Stadt nahe der ukrainisch-rumänischen Grenze vor Anker liegt, Dokumente, Funkaufzeichnungen und Logbücher sicherstellen.
Die Behörden begründeten den Schritt mit der Rolle des nun festgesetzten Tankers bei einem Angriff russischer auf ukrainische Schiffe nahe der Straße von Kertsch, die vom Schwarzen Meer ins Asowsche Meer führt. Im November 2018 hatte, so die durch Videos und Schiffsdaten gestützte ukrainische Sicht, ein Tanker drei ukrainischen Militärschiffen die Durchfahrt in das Asowsche Meer blockiert. Der Schlepper und zwei Patrouillenboote waren umgekehrt, dann aber von russischen Schiffen in internationalen Gewässern gekapert worden.
Die russische Version: Die ukrainischen Schiffe hätten russischen Grenzen verletzt und hätten daher aufgehalten werden müssen.
Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg entschied im Mai 2019 im Sinne der Ukraine. Russland solle, die Schiffe an die Ukraine zurückgeben und die im November 2018 festgenommenen 24 Seeleute und Geheimdienstmitarbeiter freilassen. Russland kam dieser Aufforderung bisher nicht nach. Die russische Regierung nahm am Gerichtsverfahren nicht teil und bestritt die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Die Seeleute sind immer noch in Haft.
Schiffseigner von der annektierten Krim
Die ukrainischen Ermittler berufen sich auch auf ein Dekret, das noch Präsident Petro Poroschenko am 19. März 2019 erlassen hat. Sein Nachfolger, der Schauspieler und Comedian Wolodimir Selenski, hatte ihn kurz danach bei den Präsidentschaftswahlen geschlagen. In dem Dekret werden viele russische Firmen mit Sanktionen bedroht, unter anderem auch jene, der nach ukrainischen Angaben der Tanker gehören soll: „Juwas Trans“, eine Firma mit Sitz auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim (PDF). Im November 2018 soll das Schiff noch Nejma gehießen haben, heute hingegen Nika Spirit. Nike hieß die Göttin des Sieges im antiken Griechenland.
Was soll diese Aktion erreichen? Lassen sich nach so langer Zeit tatsächlich noch Hinweise auf die Ereignisse im November 2018 finden?
Fragen stellen sich auch, weil der SBU schwer einzuschätzen ist, selbst wenn man mit Leuten spricht, die einmal dort gearbeitet haben. Manche Teile des Dienstes arbeiten effizient, andere gelten Ukrainer*innen als korrupt oder faul. Eine besondere Form der Berühmtheit erlangte der SBU mit der Vortäuschung des Mordes und anschließender Wiederauferstehung des Journalisten Arkadi Babchenko. Politiker*innen und Expert*innen im Westen sahen das als unverantwortliches Husarenstück, in der Ukraine gilt es vielen Menschen als eine der wenigen erfolgreichen und cleveren Operationen zur Aufdeckung russischer Komplotte im Land. Weil die Rolle des Dienstes in diesem Fall unklar ist und die Informationslage eher dünn, bleibt nichts anderes als die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten.
Ein möglicher Grund für den Zugriff hätte sein können, dass der neue Präsident Wolodimir Selenski den Ruf ablegen will, allzu russlandfreundlich zu sein. Das werfen ihm Teile der Post-Maidan-Zivilgesellschaft und nationalistische bis rechtsextreme Kreise des Öfteren vor. Aber auch das wäre zu diesem Zeitpunkt völlig unnötig. Selenski hat nicht nur die Präsidentschaftswahlen gegen den martialischer und nationalistischer auftretenden Mitbewerber PetroPoroschenko gewonnen, in der Parlamentswahl vor einer Woche bekam seine Partei so viele Stimmen und Direktmandate, dass sie ohne Koalitionspartner regieren könnte. Derzeit erscheint es eher unwahrscheinlich, dass Selenski von so einer Aktion profitieren könnte.
Wirtschaftlicher Druck auf Hafenstädte
Weiterhin angespannt bleibt dagegen die Lage im Asowschen Meer zwischen Russland und der Ukraine. Die ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk melden weiterhin millionenschwere finanzielle Verluste, weil russische Schiffe viele Frachter sehr lange kontrollierten. Viele Schiffe würden die beiden Häfen deshalb inzwischen meiden. Die Ukraine wünscht sich mehr internationale Unterstützung insbesondere von den westlichen Ländern, die die Annektion der Halbinsel Krim als illegal verurteilen. Der Konflikt im Asowschen Meer um angebliche Verletzungen der russichen Seegrenze ist eine direkte Folge dieser Annektion.
Wenn die Häfen weniger und weniger Arbeit bekommen, besteht die Gefahr, dass sich Arbeitslosigkeit und die soziale Situation in diesen Städten weiter verschärfen. Es ist fraglich, ob die Ukraine, die seit 2014 in einem unerklärten Krieg mit von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine steht, die Mittel hat, dort einen notwendigen Strukturwandel zu finanzieren. Es könnte auch ein russisches strategische Ziel sein, die Region auf diese Weise zu destabilisieren und Mariupol doch noch einzunehmen. Die Stadt liegt wenige Kilometer hinter der Front, ist stark befestigt und auf dem Landweg wahrscheinlich nur schwer zu erobern. Bisher fehlt den beiden international nicht anerkannten Seperatistenstaaten, den Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine, ein eigener Meerzugang. Ein Fall Mariupols würde das ändern.
Die ukrainische Kriegsmarine besteht zu großen Teilen aus alten Schiffen, viele von ihnen keine Kampf-, sondern Hilfschiffe. Bei meinem letzten Besuch Ende 2018 in Mariupol bewachte beispielsweise ein mit Maschinengewehren bestücktes umgebautes Lazarettschiff und ein ebenso bewaffneter Schlepper den Hafen, dazu hat die Marine noch ein paar wenige gepanzerte Patrouillenboote in der Region. Der Grenzschutz besitzt ein paar ungepanzerte Schiffe. Das steht in keinem Verhältnis zu den russischen Kampfschiffen in den Festlandhäfen und in den Häfen der Krim.
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Auf See kann sich das ukrainische Militär auch nicht eingraben und ein Art Patt erreichen wie auf auf dem Land. Dort führen beide Seiten einen Stellungskrieg, bei dem regelmäßig Menschen sterben. Insgesamt starben bis Ende des vergangenen Jahres 13.000 Menschen. Die Ukraine ist auf internationale Hilfe bei der Lösung des Konfliktes im Asowschen Meer angewiesen, bisher kommen aus Ländern wie Deutschland aber nur wohlfeile Hinweise, beide Seiten mögen sich ruhig verhalten. Mag sein, dass die Festsetzung des Schiffes in Ismajil ein Versuch ist, Beweise zu bekommen, die Druck auf Russland und die internationale Gemeinschaft ausüben könnten, im Asowschen Meer zu handeln.
Leser*innenkommentare
warum_denkt_keiner_nach?
" Mag sein, dass die Festsetzung des Schiffes in Ismajil ein Versuch ist, Beweise zu bekommen, die Druck auf Russland und die internationale Gemeinschaft ausüben könnten, im Asowschen Meer zu handeln."
Da die ukrainischen Kräfte im Asowschen Meer, wie im Artikel geschildert, praktisch zu vernachlässigen sind, ist das Asowsche Meer, militärisch gesehen, ein russisches Binnenmeer.
Um das zu ändern, bräuchte es eine sehr große NATO Flotte, die bereit ist, große Verluste hinzunehmen. Mal abgesehen davon, dass natürlich daraus ein großer Krieg inkl. Atomwaffen enstehen könnte. Deshalb wird (und kann) der Westen nichts unternehmen. Egal was auf den Schiff gefunden wird.
Untern Strich also eine Aktion, mit der sich jemand profilieren will...
Rolf B.
Zitat:
"Ein möglicher Grund für den Zugriff hätte sein können, dass der neue Präsident Wolodimir Selenski den Ruf ablegen will, allzu russlandfreundlich zu sein. Das werfen ihm Teile der Post-Maidan-Zivilgesellschaft und nationalistische bis rechtsextreme Kreise des Öfteren vor. "
Die Post-Maidan-Zivilgesellschaft und die Faschisten, die hier verharmlosend als "rechtsextreme Kreise" bezeichnet werden, bilden da eine interessante Gemeinschaft.