Parlamentswahl in Spanien: Im Zeichen von Überdruss und Brexit
Die zweite Wahl binnen sechs Monaten: Viele Spanier sind wütend, weil wieder keine stabilen Verhältnisse in Sicht sind.
Das sagen alle Umfragen voraus. „Alle unsere Verwandte, Freunde, Nachbarn, sie werden ihre Stimme nicht plötzlich einer anderen Partei geben, nur weil die Parteiführer es sich leicht machen wollen“, sagt das Rentnerpaar, das auf dem Chamberí-Platz auf den Beginn der Nachmittagsmesse wartet, unisono.
Radikaler als Charo und Tomás, die brav ihre Stimme abgegeben haben, reagierten Chema (22) und seine sieben Freunde, die sich einige Straßen weiter auf dem Olavide-Platz bei 32 Grad im Schatten eine „Caña“, ein Bierchen genehmigen. Sie wählen diesmal nicht.
„Ich habe letztes Mal für (die Linkspartei) Podemos gestimmt, bin aber enttäuscht, dass sich in den vergangenen Monaten auch Linke und Sozialisten nicht einigen konnten, um die Konservativen von der Macht zu verdrängen. Alle Politiker sind gleich“, klagt Chema. Der Student gründete mit Kommilitonen die private Gruppe „Tomar Si, Votar No“ (Trinken ja, Wählen nein).
„Alle an der Uni schnauben vor Wut, aber nicht alle haben mitgemacht“, erzählt er. Wie viele kehren den Urnen den Rücken? Im Vergleich zum 20. Dezember fiel die bis 14.00 Uhr (MESZ) registrierte Wahlbeteiligung trotz des harten Wahlkampfes von 36,91 auf 36,87 Prozent. Viele fühlen sich wie Chema von den Politikern auf den Arm genommen, haben aber gewählt, weil sie nach der Abstimmung der Briten für einen Austritt aus der EU noch mehr Angst vor der Zukunft haben.
Sind dritte Wahlen möglich?
Die Zeitung „El Mundo“ hatte schon vor Öffnung der Wahllokale auf Seite eins geschrieben: „Der Überdruss der Bürger, die Drohung der Unregierbarkeit und der Schock des Brexits prägen die zweite Wahl innerhalb von sechs Monaten.“ „Das sind die Wahlen des Überdrusses“, konstatiert – wie so viele Medien – „El Periódico de Extremadura“.
„Wir spüren heute die Erschöpfung derjenigen, die gezwungen werden, nach einem unendlich langen Wahlkampf, der das ganze Elend der Politik an die Oberfläche getrieben hat, erneut ihre Stimme abzugeben“, klagte der angesehene Geschichtswissenschaftler und Soziologe Santos Juliá im Renommierblatt „El País“.
Klarere Mehrheitsverhältnisse und Koalitionsabkommen waren am Sonntag in Spanien nicht in Sicht. Sind dritte Wahlen denn möglich?, fragen sich viele dieser Tage in der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone. Iñigo Errejón (32), die junge Nummer zwei des Linksbündnisses UnidosPodemos hinter dem Spitzenkandidaten Pablo Iglesias (37), sprach im Interview von „El País“ das aus, was viele denken: „Noch denkt der Wähler an die Zukunft, aber dritte Wahlen, ja, das wäre ein Desaster.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance