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Parlamentswahl in IsraelBleibt die Frage nach dem Vorsprung

Die Wahlbeteiligung in Israel ist weitaus höher als erwartet. Und der Sieger steht schon vorher fest: Es wird Regierungschef Netanjahu sein.

Stimmabgabe in einem Wahlbüro in der Westbank. Bild: reuters

JERUSALEM taz | Strahlender Sonnenschein und Temperaturen um die 25 Grad trieben zahlreiche Israelis schon früh an die Wahlurnen, um den Rest des freien Tages für Ausflüge zu nutzen. Schon am frühen Nachmittag zeichnete sich eine so hohe Wahlbeteiligung ab, wie es sie zum letzten Mal vor 20 Jahren gab.

Dabei stand der Sieger schon im Vorfeld fest. Für Premierminister Benjamin Netanjahu stellte sich nicht die Frage, ob er gewinnt, sondern mit welchem Vorsprung er aus dem Rennen hervorgehen wird.

„Ich komme, weil man auf sein Recht zu wählen nicht verzichten darf“, sagte ein vielleicht 60jähriger Mann mit starkem russischen Akzent und ohne große Begeisterung. Vermutlich richte er er mit seiner Stimme ohnehin wenig aus.

Seine Meinung änderte er in seinem Alter nicht mehr. Vergebene Liebesmüh also für die Aktivisten der orientalisch-orthodoxen Schass, die sich vor der Ort-Schule in Jerusalem versammelten, um noch Unentschlossene für sich zu gewinnen.

„Eine starke Führung = ein starkes Israel“ stand auf dem T-Shirt einer Mutter, die zusammen mit ihrer halbwüchsigen Tochter im gleichen T-Shirt vis-a-vis für Netanjahu und seinen Partner Avidgor Liebermann auf Wählerjagd in letzter Minute war.

Von den Parteiaktivisten abgesehen herrschte wenig Wahltagsfeierlichkeit. Eine ganz in weiß gekleidete Jüdin aus Äthiopien ließ sich an der Hand ihrer Tochter zur Wahlurne führen. Fast wie beim Zahnarzt rief eine Stimme „der nächste“, als die beiden mit ihrer Stimmabgabe fertig sind, ein junges Ehepaar mit zwei Kleinkindern. Der Familienvater hält sein vielleicht vierjähriges Mädchen über die Urne, damit sie seinen Stimmzettel einwirft.

Gut fünfeinhalb Millionen Israelis sind berechtigt gewesen, an einer der über 10.000 Wahlstationen landesweit ihre Stimme abzugeben. Es ging vor allem um Sozialpolitik. Jeder will ein Stück abhaben vom Kuchen der Sozialbewegung, die im Sommer vor zwei Jahren 400.000 Menschen auf die Straße brachte.

Das Thema Sicherheit steht latent im Hintergrund. „Ich passe mich den aktuellen Notwendigkeiten an“, sagte ein älterer Taxifahrer, der zusammen mit seiner Frau zur Wahl ging.

Angst vor dem Iran

„Wir brauchen eine Führung, die auf die Sicherheit des Staates nicht verzichtet“, sagte er. Die „Bedrohung aus dem Iran“ mache ihm Sorge, aber auch die Palästinenser und Syrien „einfach alle“.

Mit dem Thema Friedensprozess ist im Jahr 2013 keine erfolgreiche Politik in Israel zu machen. Nur zwei Parteien schrieben Verhandlungen mit den Palästinensern auf ihre Wahlplakate, die linke Meretz und Ex-Außenministerin Zippi Livni. Unter den absehbaren Machtverhältnissen in der Knesset haben beide nicht die geringste Chance etwas auszurichten.

Über 30 Parteien streiten um die 120 Sitze im Parlament, darunter auch Scheinparteien, die ohne politisches Programm schlicht die Werbezeit im Rundfunk für ihr Thema nutzen wollen, wie ein Rabbiner, der gegen die Pornographie kämpft.

Zwei-Prozent-Hürde

Nur rund die Hälfte der Parteien hat reale Chancen. „Wir kratzen an der Zwei-Prozent-Hürde“ für den Einzug in die Knesset, meinte Wahlhelfer Guy Aloni von der neuen arabisch-jüdischen Liste „Daam“, die unmittelbar an die Sozialbewegung anknüpft.

„Wir sind Sozialisten“, meinte Aloni, „wir unterstützen den Arabischen Frühling und Occupy“. Israel solle ein „Staat aller Bürger“ sein, kein jüdischer Staat.

Aloni und drei seiner Parteifreunde verteilten Zettel vor der bilingualen Schule „Yad be Yad“ (Hand in Hand) in dem arabischen Vorort Beit Safafa. „Wir sind rund 40 Aktivisten in der Stadt“, meinte er, „und wir arbeiten alle umsonst“. Viele hätten aus eigener Tasche den Wahlkampf mitfinanziert.

Ein starker Regierungschef

Kaum 20 Meter von den jungen Sozialisten entfernt, postierte sich eine Gruppe Halbwüchsiger, die das andere Ende der politischen Landkarte repräsentieren. „Meine Stimme kriegt Naftali Bennett“, der Chef der national-religiösen Partei HaBayit Hajehui, sagte der 19jährige Jehuda.

Dabei trug der Erstwähler ein T-Shirt mit dem Slogan von Netanjahu. „Ich kriege 500 Schekel für den Tag hier“, erklärte er. Das sind umgerechnet 100 Euro.

Jehuda und seine Freunde kommen aus Siedlungen im Westjordanland. „Wir brauchen einen starken Regierungschef“, meinte er. „Einen, der keine Angst vor der Uno hat, und der sich von (US-Präsident Barack) Obama nicht reinreden lässt.“

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1 Kommentar

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  • I
    I.Q

    Alles harmlos

     

    Es fehlt "nur" der Druck von außen, der die Politiker gegenüber den Wählern herausforderte, zu erklären, wie mit den daraus sich ergebenden Konsequenzen umzugehen wäre, wenn eben Mangel verwaltet werden müsste und das Reisen ins EU-Ausland nicht mehr so einfach wäre.

     

    Und so konnte die J-Post zu Jahresbeginn trotz der Ankündigung neuer Siedlungsprojekte mitteilen, die Max Planck Gesellschaft beteilige sich finanziell an der Errichtung eines Gehirnforschungszentrum an der Hebräischen Universität Jerusalem, was natürlich kein Vergleich zu den U-Boot Geschenken ist, die im vergangenen Jahr problematisiert wurden.

     

    „Germany, Israel to fund J'lem brain research center“

    http://www.jpost.com/Health/Article.aspx?id=298114

     

    Wo aber könnten Sanktionen mehr bewirken, als in einem Staat, der ein Großteil seiner Einnahmen für Militär, völkerrechtswidriger Besiedlung und Besatzung ausgibt, aber mehr für Lebensmittel bezahlt werden muss, als in den meisten EU-Staaten?

     

    Hier wären Sanktionen als wirkliche Friedenspolitk möglich, wenn man sie den wollte.