Parlamentswahl in Hongkong: „Wahlen“ und keiner geht hin
Viele Hongkonger protestieren mit Nichtwählen gegen die chinesischen Repressionen vor der Abstimmung. Die Beteiligung fällt auf ein Rekordtief.
Doch angesichts der geringen Entscheidungsmöglichkeit ist das aussagekräftigere Resultat vielmehr die Wahlbeteiligung. Schließlich ist das Fernbleiben vom Urnengang in Hongkong mittlerweile die letzte Möglichkeit, um eine grundsätzliche Kritik am System zum Ausdruck zu bringen. Nur rund 30 Prozent aller registrierten Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben. So wenige waren es noch nie.
Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Regierung auf verschiedenen Wegen versucht hat, die Wahlbeteiligung künstlich zu erhöhen. Bürger, die auf sozialen Medien dazu aufriefen, die Wahl zu boykottieren, wurden strafrechtlich verfolgt. Und selbst Medien, die bei ihren Wahlumfragen ungültige Stimmabgabe inkludiert hatten, gerieten ins Fadenkreuz der Justiz. Dennoch herrschte vor vielen Wahllokalen am Sonntag gähnende Leere. Auf sozialen Medien mokierten einige Nutzer, dass mehr Reporter als Stimmvolk zu sehen sei.
Bei einer Pressekonferenz konnte Verwaltungschefin Carrie Lam ebenfalls nicht erklären, warum die Bewohner am Sonntag lieber Zuhause blieben. „Immerhin 1,35 Millionen sind wählen gegangen. Man kann also nicht sagen, dass die Wahl eine Menge Unterstützung von den Bürgern erhalten hat“, stammelte die 64-Jährige sichtbar überfordert.
Chinesische Propaganda
Doch trotz allem haben Chinas Staatsmedien die Wahl als demokratisches Volksfest zelebriert. Die englischsprachige China Daily prognostizierte bereits am Wochenende, dass Hongkong „von Wahlbegeisterung gepackt“ wird. Und die Nachrichtenagentur Xinhua vermeldete stolz, dass die Wahlbeteiligung eines 1.500-köpfigen, von Peking nach seiner Umgestaltung des Wahlrechts auserlesenen Wahlkomitees, bereits am Nachmittag bei über 90 Prozent lag. Dieses Komitee, das 40 der 90 Abgeordneten wählt, besteht ausschließlich aus Peking-treuen Politikern.
Am Montagmorgen schließlich legte der Staatsrat in Chinas Hauptstadt eine Dreistigkeit an den Tag, die ihres gleichen sucht: Er publizierte ein ellenlanges „Weißpapier“ über Hongkongs Demokratie, die nun „wieder zurück auf Spur“ sei. Das Dokument ist an Perfidität nicht zu überbieten, schließlich hat Chinas Regierung nicht nur Hongkongs führende Oppositionelle systematisch verhaften lassen, sondern auch die Anzahl der direkt vom Volk gewählten Abgeordneten von 50 auf knapp über 20 Prozent reduziert.
Wie eine wirklich freie Wahl mit zugelassener Opposition ausgegangen wäre, lässt sich nur erahnen. Doch bei den letzten Kommunalwahlen im November 2019 zogen rekordverdächtige 71 Prozent aller Stimmberechtigten an die Urne. Damals gelang dem pro-demokratischen Lager ein regelrechter Erdrutschsieg, 17 von 18 Bezirksräten konnten sie für sich gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos