Parlamentswahl in Armenien: Absage an die alten Eliten
Paschinjan, der die armenische Wahl für sich entschied, stehen schwere Zeiten bevor. Die EU sollte ihm helfen und die Region stabilisieren.
A uch wenn das Ergebnis der armenischen Parlamentswahl vom vergangenen Sonntag zugunsten der Regierungspartei wohl etwas noch oben korrigiert worden sein dürfte, ist die Botschaft der Mehrheit der Wähler*innen eindeutig: Ihr Votum ist eine klare Absage an die alten Eliten, die die Südkaukasusrepublik im Verbund mit zwielichtigen Oligarchen bis 2018 fest im Griff hatten.
Auch das Bemühen der Opposition, Ministerpräsident Nikol Paschinjan fortwährend als „Verräter“ und Hauptverantwortlichen für die bittere Niederlage im jüngsten Konflikts gegen Aserbaidschan um die Region Bergkarabach an den Pranger zu stellen, brachte nicht den gewünschten Erfolg. Doch Freude über den Sieg Paschinjans dürfte, vor allem bei den aufgeklärteren Geistern, trotzdem nicht aufkommen.
Denn die Hoffnung, der einstige Held der Samtenen Revolution von 2018 würde mit den politischen Hinterlassenschaften seiner Vorgänger aufräumen und einer langsamen Demokratisierung den Weg ebnen, hat sich vorerst erledigt. Paschinjan, der vor wenigen Monaten nichts dabei fand, die Arbeitsmöglichkeiten kritischer Journalist*innen empfindlich einzuschränken, nutzte seinen Wahlkampf dafür, um Hass, Rache und Vergeltung zu propagieren. Nach der Wahl spricht er von einer „Diktatur des Gesetzes“.
Das alles sind keine guten Ratgeber, wenn es gilt, eine gespaltene Gesellschaft zu versöhnen, die noch dazu von dem jüngsten Krieg und dessen Folgen nachhaltig traumatisiert ist. Zudem kann der Konflikt mit dem Nachbarn, der die Türkei an seiner Seite weiß, mitnichten ad acta gelegt werden. Aserbaidschans autokratischer Staatschef Ilham Alijew macht kein Hehl daraus, dass sein territorialer Hunger noch nicht gestillt ist.
Und so dürften Kamikaze-Aktionen, wie unlängst das Vordringen aserbaidschanischer Truppen auf armenisches Gebiet im Süden, nicht die letzten ihrer Art gewesen sein. Ruhig zurück lehnen kann sich indes Russlands Präsident Wladimir Putin. Unter Paschinjan sind Absetzbewegungen Armeniens in Richtung Westen auch weiterhin nicht zu befürchten.
Da spielt es auch keine Rolle mehr, dass Moskau, angeblich Schutzmacht Jerewans im Südkaukasus, erst einmal seelenruhig abwartete, bis Armenien sturmreif geschossen war. Genau aus diesem Grund darf die Europäische Union das Land nicht seinem Schicksal überlassen. Sie sollte ihr Augenmerk besonders auf die Zivilgesellschaft richten und entsprechende Angebote verstärken und ausbauen.
EU-Ratspräsident Charles Michel redet jetzt davon, die EU sei bereit, Reformen in Armenien zu unterstützen und sich auch weiter für eine regionale Stabilisierung engagieren zu wollen. Er wird sich beim Wort nehmen lassen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen