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Panter 4 Das Kreuzberger Projekt Bantabaa e. V. hilft schwarzen Geflüchteten im Görlitzer Park, aus dem Drogenverkauf auszusteigen und eine neue Perspektive in legaler Arbeit zu findenRaus aus dem Park, rein in die Zukunft

von Paul Toetzke

Wir wollten das einfach probieren“, sagt Brigitte Varadinek. Die 56-Jährige sitzt im Café Eigenzeit, neben ihrer Tochter Annika. Vor ihnen steht Cappuccino in Gläsern, im Hintergrund dampft die Siebträgerkaffeemaschine. Das Café, welches Annika Varadinek vor ein paar Jahren übernommen hat, befindet sich in Berlin-Kreuzberg, nur ein paar Schritte vom Görlitzer Park entfernt – dem Park, der halb Kreuzberg vor allem als Naherholungsgebiet dient, aber deutschlandweit wohl nur für seinen Drogenverkauf bekannt ist. Für viele junge Männer aus Afrika ist er in den letzten Jahren zum täglichen Treffpunkt geworden. Ein Ort des Austausch, aber auch der einzige Platz, an dem sie irgendwie Geld verdienen können – indem sie mit Drogen dealen.

Hierzu einen alternativen Treffpunkt zu schaffen – dies war das Ziel von Brigitte und Annika Varadinek, als sie vor etwa zweieinhalb Jahren den Verein Bantabaa gründeten. Bantabaa ist Mandinka und bedeutet zu Deutsch genau das: Treffpunkt. Die Initiative richtet sich hauptsächlich an die Geflüchteten im Kiez, von denen der Großteil aus Gambia stammt.

Die Idee entstand, als Brigitte Varadinek von einer Reise nach Brasilien zurückkam. Dort habe sie das Elend an jeder Haustür gesehen, sagt sie. „Ich dachte mir, ich kann mich nicht dort darüber aufregen und hier einfach zuschauen.“ Auch für Annika war klar, dass sie das Problem nicht länger ignorieren kann. „Wir haben gemerkt, dass sich niemand um die Jungs im Park kümmert“, erzählt sie.

Was in ihrem Café Eigenzeit als eine Art Geflüchtetencafé begann, ist inzwischen weitaus mehr als nur ein Treffpunkt. Bantabaa bietet Deutschkurse, Rechtsberatung, Ausbildungen, medizinische Versorgung und vieles mehr. „Der Verein macht quasi das Rundum-sorglos-Paket“, sagt Annika lächelnd. Doch die 31-Jährige weiß: Auch das reicht nicht aus, denn größtes Problem ist weiterhin die Arbeitsvermittlung. Die Hürden des Dublin-2-Abkommens verhindern, dass die Geflüchteten Teil eines Asylverfahrens in Deutschland werden können. Viele von ihnen sind Lampedusa-Flüchtlinge und wurden zuerst in Italien registriert.

Qualifizierung als Chance

Sie dürfen sich hier nur drei Monate aufhalten und bekommen in der Regel keine Arbeitserlaubnis. „Unsere Geflüchteten sind eigentlich italienische Touristen“, konstatiert Brigitte Varadinek grimmig. Das macht die Arbeit nicht einfacher. Doch zumindest denen, die hier im Asylverfahren sind, kann Bantabaa eine langfristige Perspektive bieten.

Bantabaa e. V.

Der gemeinnützige Verein wurde 2015 in Berlin-Kreuzberg gegründet und setzt sich für die Unterstützung und Integration Geflüchteter ein. Bantabaa bietet u. a. Deutschunterricht, Rechtsberatung, Ausbildungen und Praktika an. Bantabaa zielt vor allem auf die afrikanischen Geflüchteten rund um den Görlitzer Park ab und versucht ihnen eine Alternative zum dortigen Drogenverkauf zu bieten.

Mehr Infos: www.bantabaa.de

Dafür haben die Varadineks inzwischen die Bantabaa Academy ins Leben gerufen – ein Qualifizierungsprogramm für Geflüchtete, welches Praktika und Ausbildungen anbietet. In der Bantabaa Kitchen, eine Straße weiter, werden die Männer – Frauen gibt es bisher keine – von einem festangestellten Koch angelernt. Gleichzeitig hat dort seit Kurzem ein Suppencatering für umliegende Büros sein Zuhause. Ziel ist es, den Auszubildenden eine Übernahmechance zu ermöglichen oder sie weiterzuvermitteln. Ein junger Mann arbeitet inzwischen bei Arrivo Berlin, einer Ausbildungsinitiative zur Integration von geflüchteten Menschen in den Berliner Arbeitsmarkt, erzählt Brigitte Varadinek.

Weil die Bantabaa Kitchen als Unternehmen ausgegründet wurde, ist garantiert, dass die Geflüchteten für ihre Arbeit ordnungsgemäß bezahlt werden können. Denn als gemeinnütziger Verein darf Bantabaa nicht mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, tätig sein und auch die Beschäftigung von Personal ist kompliziert. Unterstützung vom Land Berlin gibt es für das Projekt noch nicht. Bis auf eine Crowdfunding-Aktion finanzieren die Varadineks das Bantabaa aus der eigenen Tasche. „Wir wissen natürlich, dass das ein Risiko ist“, fügt Annika hinzu. Trotzdem sind sie zuversichtlich.

Im Nebenhaus ist gerade der Deutschunterricht zu Ende gegangen. Zwei dunkelhäutige Männer stehen vor dem Zimmer und begrüßen die beiden Frauen freudig. „How are you?“ Das Erdgeschosszimmer ähnelt einem Grundschulzimmer – Tafel, Unterrichtsmaterialien. An der Wand lehnt jedoch auch eine Matratze. Zwar befindet sich im selben Gebäude eine WG für Geflüchtete, allerdings reicht das nicht aus: „Das Zimmer im Erdgeschoss ist unser Notlager für die Nacht. Denn viele der Männer suchen immer noch nach einem Schlafplatz“, erklärt Brigitte Varadinek. Man versteht, warum die beiden Frauen Bantabaa auch als „Rundum-sorglos-Paket“ beschreiben.

Wer dealt, fliegt raus

„Es ist viel Arbeit“, erzählt Brigitte auf dem Weg zur Suppenküche, „aber die Jungs sind einfach so nett.“ Einige seien zu engen Freunden geworden. Doch die beiden Frauen wissen heute: Auch das kann zu Schwierigkeiten führen. „Wir mussten erst lernen, das klar zu trennen. Am Anfang waren wir wahrscheinlich viel zu nachsichtig“, sagt Brigitte Varadinek.

Inzwischen gelten strenge Regeln: Dreimal zu spät kommen ist okay, danach gibt es eine Verwarnung. Wer dealt, fliegt sofort. Da sind die Varadineks streng. Ihr Ziel ist es schließlich, den Männern eine Perspektive abseits des Drogenverkaufs zu ermöglichen. „Das ist auch eine Art Ausstiegsprogramm“, sagt Brigitte, „niemand fühlt sich verantwortlich, das als Flüchtlingsproblem zu sehen.“ Für sie ist es nicht überraschend, dass viele der Männer im Görlitzer Park landen. Sie senden einen Großteil des Geldes an ihre Familien in Afrika. Was sollen sie sonst tun? Ohne Arbeitsgenehmigung, ohne Perspektive. Dazu sind viele Analphabeten und sprechen kein Deutsch. „Manche schämen sich dafür und kommen deswegen nicht in den Deutschunterricht“, erzählt Brigitte.

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Die Bantabaa-Suppenküche wird gerade geöffnet. Im Innenbereich sitzt man an kleinen hellen Holztischen, die Theke ist aus dunkelbraunen Paletten gezimmert. „Annika hat ein Händchen für Design“, sagt ihre Mutter zufrieden. Sie zeigt auf einen Flyer. „Das sind unsere Produkte für das Catering. Wir haben das in ein paar Büros ausprobiert und alle sind begeistert.“

Hinter der Theke gelangt man in die Küche. Mohamed und Kebba, zwei Praktikanten, bereiten Salat vor. „Die Becher können schon einmal in die Spülmaschine“, erklärt der Koch einem der beiden auf Deutsch. Alain kommt ursprünglich aus Frankreich und ist hier für die Ausbildung der Jungs zuständig. Die Praktikanten hier sollen nicht nur das Kochen lernen, sondern auch die Sprache und Dinge wie Pünktlichkeit und Ordnung. Für Annika ist es wichtig, dass die Arbeit sinnvoll ist und Mehrwert schafft: „Die sollen nicht einfach beschäftigt werden, sie sollen etwas lernen.“

Mohammed und Kebba sind noch nicht lange in Deutschland. Bei Neuankömmlingen sei es einfacher, sie für das Projekt zu gewinnen, erklärt Brigitte. „Die versuchen wir direkt abzugreifen.“ Im Park hat sich Bantabaa inzwischen umher gesprochen. Einer der Ältesten, der für viele ein Ansprechpartner ist, hat einen engen Draht zu Bantabaa und motiviert die Jungen, sich dem Projekt anzuschließen. Im Moment arbeiten etwa 15 Geflüchtete im Café und in der Küche. „Unsere Hoffnung ist, dass vier bis fünf von ihnen angestellt werden und der Rest langzeitig für Jobs vermittelt wird“, sagt Brigitte Varadinek. Im Kiez ist Bantabaa schon längst eine Erfolgsgeschichte. Die Varadineks wünschen sich weitere Initiativen. „Wir wollen Vorbild sein.“

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