piwik no script img

Pannen in der PandemieDeutschland einig Schlafiland

In der Coronakrise zeigt sich die Bundesrepublik als verpenntes Gebilde. Zeit, sich auf einen modernen postpandemischen Staat zu freuen.

Impfen in der Kneipe – schön deutsch Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Jetzt ist schon wieder nichts passiert, könnte man in Abwandlung des Kulteinstiegs in die Krimis von Wolf Haas sagen.

Denn Deutschland kann aktuell gar nichts mehr: Kein Impfen und kein Organisieren, ja nicht einmal einen anständigen Lockdown kriegen wir noch hin, wie uns die nicht sinken wollende Coronakurve seit Tagen verdeutlicht.

Dabei war das alles doch mal unser Stärke; einst, wie etwa die Westfalenpost schreibt, waren wir nicht nur dauernd Fußball-, sondern auch „Organisationsweltmeister“. Und sogar die New York Times macht sich Sorgen um ausgerechnet uns: „Germany, once a model, is swamped like everyone else by pandemic’s second wave“. „Swamped“ – ich musste nachschlagen – bedeutet überflutet.

Und das ist insofern faszinierend, als im Bericht der Bundesregierung zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz aus dem Jahr 2012 zwei „Risikoanalysen“ durchgespielt wurden, nämlich „Extremes Schmelzhochwasser aus den Mittelgebirgen“ (Stichwort: Klimaverschlechterung) und „Pandemie durch Virus Modi-SARS“ (Stichwort: Hier und heute).

Gesundheitsämter an Wochenenden

Aber ich schweife ab – und vielleicht ist ja genau das unser Problem: Wir machen Risikoanalysen und scheren uns dann nicht weiter darum. Wir wiederholen lieber jeden Montagmorgen mit folternder Verschlafenheit den Satz: „Da an Wochenenden nicht alle Gesundheitsämter Daten übermitteln, liegen die Fallzahlen zu Wochenbeginn in der Regel niedriger als an anderen Tagen“, anstatt, ja anstatt was?!

Anstatt endlich dafür zu sorgen, dass Gesundheitsämter wie Polizeistationen, Feuerwehrwachen und Tageszeitungsredaktionen so besetzt und ausgestattet sind, dass sie ihren Aufgaben auch sonntags nachgehen können und wir diesen erniedrigenden Satz nicht mehr hören müssen.

Aber wir kriegen ihn einfach nicht mehr hin, den Blitzkrieg, nicht mal einen gegen das Virus. Und wenn man, durch solch einen belasteten Begriff aus dem teutonischen Schlummer hochgeschreckt, sich erinnert, wozu die deutsche Organisationsmeisterschaft in der Vergangenheit so eingesetzt wurde, dann kann vielleicht so etwas wie Entspannung über die gegenwärtige Zipfelmützigkeit der Pandemiebekämpfungspolitik einsetzen.

Die Deutschen, sie sind eben in ihrer Mehrheit keine todbringenden Meister mehr, sie sehen auch nicht, wie die in dieser Hinsicht notorisch-lobbyistische CSU mit ihrem Herrn Nüßlein, in erster Linie darauf, wie sie ein G’schäft aus dem Desaster machen können.

Treu und stumm

Sie stehen, bis auf immer weniger Verwirrte, die unbedingt ungeimpft sterben möchten, und hoffentlich jetzt endlich besser überwachte Nazis, die im Elend immer Aufwind wittern, treu und stumm da und warten auf den eigenen und mehr noch auf den Impftermin der Großmutter.

Und insofern, in ihrer Passivität und ihrer ja auch vollkommen unironisch grundsympathischen Gutgläubigkeit, dass die Obrigkeit sogar in Form eines Jens Spahn das schon alles richtig machen werde am Ende, stehen sie in einer Nationaltradition, die weit hinter das preußisch-zackige Zerrbild zurückreicht.

„Blödigkeit“, heißt es im grandiosen 800-Seiten-Wälzer „Ungeschickt – Eine Fallgeschichte der deutschen Literatur“, sei „letztlich nur ein Zögern des Individuums vor dem Eintritt in die Moderne“. Wenn wir das auf unsere Verhältnisse zurückspiegeln, dann sehen wir in der Ferne einen modernen, digitalisierten, finanziell dank wirksamer Superreichenbesteuerung üppig ausgestatteten Sozialstaat, der die Herausforderungen von Naturkatastrophen wissenschaftlich begleitet, pragmatisch und leidenschaftlich angeht. Damit wir die Vormoderne mit ihren sich immer montags wiederholenden Ver­sagensmeldungen endlich hinter uns lassen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

11 Kommentare

 / 
  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Wenn wir das auf unsere Verhältnisse zurückspiegeln, dann sehen wir in der Ferne einen modernen, digitalisierten, finanziell dank wirksamer Superreichenbesteuerung üppig ausgestatteten Sozialstaat,.................""



    ==



    Warum zitieren sie nicht was die Risikoanalyse zum Bevölkerungsschutz aus dem Jahr 2012 hinsichtlich einer Pandemie vorschlägt?

    Es braucht eines Krisenstab der von 50 Parlamentariern (Krisenparlament) flankiert und demokratisch beschlossen wird, der dann mit den Bundesländern und mit der EU Massnahmen nach dem Seuchengesetz koordiniert.

    Das im Artikel beschriebene Bild kommt zustande weil im Wahljahr 16 Landesfürsten und 16 Kultusminister konkurieren und der äußerst vorsichtigagierenden Kanzlerin inklusive der CDU Bundestagsfraktion das Heft des Handelns aus der Hand genommen wird.

    Bei einer Überschwemmungskatastrophe basteln auch nicht 16 Landesfürsten herum und lassen demokratisch abstimmen wer gerettet werden möchte - sondern es gibt einen Krisenstab der handelt.

    Darüber hinaus: Der Sommer 2020 wurde von Coronaleugnern bestimmt inklusive Überfall auf den Bundestag - die Konsequenzen konnten dann in Sachsen, Thüringen und Brandenburg mit Inzidenzen über 600 besichtigt werden. Zwischendurch Regierungskrise in Sachsen - Anhalt - wer glaubt das in dieser Gemengelage zwischen Leugnern und Impfgegnern



    eine konstruktive Handlungsperspektive erarbeitet werden kann -- mit 16 unterschiedlichen Haltungen der Landesfürsten -- hat anscheinend den Ernst der Lage nicht begriffen.

    Sich in Selbstzerfleichung zu suhlen mag für manche eine Flucht aus der Hilflosigkeit sein - ein rational arbeitender Krisenstab abgesegnet durch ein Parlament mit klaren Aufgaben für Minister, Kanzler und Verwaltungen wäre die bessere und die nachhaltigere Option.

  • ...vielleicht einfach mal die Kleinstaaterei mit ihren Fürsten abschaffen? Was spricht eigentlich gegen eine bundeseinheitliche Terminverwaltung für Impfungen? Warum braucht jedes Bundesland sein eigenes Bildungsideal? Warum muss Bremen, Hamburg und das Saarland ein eigenes Bundesland mit entsprechendem Wasserkopf sein?

    • @kischorsch:

      Sie haben Berlin vergessen, kann man leicht zu Brandenburg dazulegen.

  • Immer wenn man denkt unser Staat hätte sein Versagenspotenzial schon ausgeschöpft, wird man, gerade in dieser Pandemie, immer wieder auf neue überascht dass da noch mehr geht!

    Unter diesen Umständen wäre die Aussicht auf weniger Staat anstatt noch mehr davon ein Lichtblick!

    Bis jetzt gibt es leider nur dichten Nebel ohne Aufhellung.

  • "Denn Deutschland kann aktuell gar nichts mehr:"

    Ist das ein Plädoyer für



    "Ach, früher, da war Deutschland noch Deutschland"

    Oder was? Soll man nach Änderungsursachen forschen?

    PS Montagsmeldungen sind keine Versagensmeldungen. Die Zacken sieht man auch in den Kurven anderer Länder. Einmal erklärt und gut ist. Ob die Zahlen montags oder dienstags erfasst werden ist vegansch, oder wie man früher sagte, wurscht.

  • Und was wäre dann der "postpandemische Staat"? Mit ziemlicher Sicherheit ein "zurück zu dem, was vorher war", also im Klartext "zurück in den Schlafmodus". Probleme verpennen ist leider typisch deutsche Politik.

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Laut der gestrigen Rede" der Linken " Vorsitzenden Janine Wissler wird Katastrophenminister Scheuer die Teststrategien der Bundesregierung ( jetzt erst) entwickeln und leiten. Sind die noch ganz dicht ? Das nächste Projekt mit dem er krachend scheitern wird

  • Ja wenn ein Andy Scheuer ohne Konsequenzen in den Sand setzen kann was er will, die warum dann nicht auch ein Jens Spahn? Und wenn schon die Digitalisierung, die Energiewende und die Klimaziele verkackt, warum dann nicht auch das Pandemiemanagement?

    Und warum eigentlich der Regierung Druck machen und die Fehler vorhalten, wenn man sich doch an spinnernden Querulanten, dem Fußballzirkus und schwedischen Sonderwegen aufreiben kann?

    Die GroKo hat das Land schleichend in einen Tiefschlaf versetzt. Wo man lange in der Pandemie noch Verständnis hatte, ob der mangelden Erfahrung mit so einer Situation, isses mir schier unbegreiflich, wie man das offensichtliche Mißmanagement nach einem Jahr immer noch so unwidersprochen hinnehmen kann.

    Wenns nicht konkret um Menschenleben und Existenzen gehen würde, müsste man zu der Masse an Fehlern sagen: gut so! Denn wenn etwas die Deutschen aus dem miefigen Sessel bewegen könnte, dann die Angst davor überall nur Mittelmaß zu sein.

  • "Denn Deutschland kann aktuell gar nichts mehr: Kein Impfen und kein Organisieren, ja nicht einmal einen anständigen Lockdown kriegen wir noch hin, wie uns die nicht sinken wollende Coronakurve seit Tagen verdeutlicht."



    Auf den Punkt gebracht!

  • Ganz d'accord. Nur damit das klappt, brauchen wir fähige Fachpraktiker mit Schulabschluss und Berufserfahrung außerhalb v. öffentlichen Dienst und Politbetrieb, die mit den Erfahrungen der realen Wirtschaftswelt in die parlamentarische Arbeit einziehen.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Die Corona Krise zeigt letztlich nur existierende Probleme auf das Bildungssystem ist antiquiert, die Verwaltung heillos verknöchert. Internet können die Deutschen nicht weil Internet ist ein Ort wo man Menschen Freiheiten lassen muss will man erfolgreich sein und vor nichts fürchten sich die Deutschen mehr als Freiheit. Dementsprechend können Schulen die es aus Datenschutzgründen vorher nicht schafften den Plan mit entfallenden Unterricht online zu stellen keinen Online Unterricht gebacken kriegen. Strafbehörden haben keine Verschlüsselung um vom home Office arbeiten zu können und Gesundheitsämter arbeiten noch mit Papier.



    Dann ist da die Deutsche Angst vor dem eigenen Schatten man will geliebt werden also wird der Impfstoff auf europäischer Ebene bestellt wo dann rumverhandelt wird um paar Millionen zu sparen jedes Land noch versucht seine Industriepolitik reinzudrücken, jetzt haben wir kaum Impfstoff und der lockdown kostet am Tag soviel wie wenn man bei allen Impfstoffen Herstellern an Tag 1 bestellt hätte. Nur damit man sich nicht dem Vorwurf aussetzten muss einseitig gehandelt zu haben, Resulatet zählen überall außer in Deutschland da zählt das man das Problem lange in möglichst vielen Inernationalen Foren diskutiert hat.

    Zum Thema Blitzkrieg, der war immer ein Mythos. a) hieß er bewegungskrieg b) war die deutsche Logistik katastrophal schlecht c) die deutsche kommandostrukturen waren chaotisch d) die Produktion des Nachschubs war schlecht organisiert so erhöhte Speer die Produktion der Panzer was aber dazu führte das keine Ersatzteile mehr an der Front ankamen.



    Tatsächlich ist Corona genauso verlaufen am Anfang viel Schall und Rauch wir können das ja so toll alles und dann wenn es drauf ankommt scheitern die Deutschen.