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Pannen-Wahl in Berlin 2021Ampel für Wiederholung

Die Ampelkoalition hält eine Wiederholung der Bundestagswahl in rund 300 Berliner Stimmbezirken für notwendig. Diese beziehe sich nur auf Zweitstimmen.

Dieser Wähler in Berlin hat es geschafft zu wählen Foto: Sebastian Gollnow/picture alliance

Berlin afp | Die Ampelkoalition hält eine Wiederholung der Bundestagswahl in etwa 300 von knapp 2.300 Berliner Stimmbezirken für nötig. Dies beziehe sich ausschließlich auf die Zweitstimmen, sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP. Fechner schickte demnach einen entsprechenden Vorschlag der Ampel-Vertreter im Wahlprüfungsausschuss des Bundestags am Nachmittag an die Vorsitzende Daniela Ludwig (CSU). Der Ausschuss soll darüber noch im Oktober abstimmen.

Da die Ampelkoalition im Wahlprüfungsausschuss die Mehrheit stellt, ist davon auszugehen, dass der von Fechner übermittelte Vorschlag im Oktober von dem Gremium beschlossen wird. Es handelt sich dabei um eine Beschlussvorlage, über die dann noch das Parlament insgesamt abstimmen muss. Dann wäre der Weg frei für eine teilweise Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Gegen den Bundestagsbeschluss kann allerdings auch noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden.

Die Ampel-Vertreter im Ausschuss hatten sich nach der Verhandlung des Berliner Verfassungsgerichtshofs am vergangenen Mittwoch noch einmal zusammengesetzt, um zu besprechen, was die Gerichtsverhandlung für den Umgang mit der Bundestagswahl bedeutet. Das Berliner Gericht befasste sich ausschließlich mit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und den Bezirksversammlungen. Für die Überprüfung der Bundestagswahl, die am selben Tag abgehalten wurde, ist der Bundestag zuständig

„Das Berliner Verfassungsgericht hat uns darin bestärkt, Neuwahlen dort durchzuführen, wo Wahlfehler geschehen sind“, sagte Fechner AFP. „Anders als das Berliner Verfassungsgericht sehen wir wie der Bundeswahlleiter die Wahlfehler aber nicht in jedem Wahlkreis.“

Zahlreiche Pannen in Berlin

Wie Fechner in dem Schreiben an die Ausschussvorsitzende Ludwig ausführt, das AFP vorliegt, soll beispielsweise eine verspätete Schließung eines Wahllokals in der Regel erst dann als Wahlfehler gelten, wenn noch nach 18.45 Uhr Stimmen abgegeben werden konnten. „Auch meinen wir, dass eine kurze Unterbrechung des Wahlvorgangs von unter 15 Minuten noch keinen Wahlfehler darstellt und eine Wartezeit in dieser Größenordnung für Bürgerinnen und Bürger zumutbar ist“, sagte Fechner AFP.

Bei den Wahlen im September 2021, die am gleichen Tag wie der Berlin-Marathon abgehalten wurde, hatte es in der Hauptstadt zahlreiche Pannen gegeben – etwa fehlende Stimmzettel, lange Warteschlangen oder zwischenzeitlich geschlossene Wahllokale. Es gab deswegen zahlreiche Einsprüche gegen das Ergebnis, insbesondere von Bundeswahlleiter Georg Thiel.

Thiel sah die Vorfälle in knapp 340 Stimmbezirken als gravierend an und forderte eine Wiederholung der Wahl in sechs von zwölf Berliner Wahlkreisen. In einem Fall – in Berlin-Reinickendorf – zog Thiel auch das Erststimmenergebnis in Zweifel. Dieser Einschätzung schloss sich die Ampelkoalition nun nicht an.

Mit der Erststimme entscheiden die Wählerinnen und Wähler, welcher Direktkandidat ihren Wahlkreis im Parlament vertreten soll. Die Zweitstimme geben sie einer Partei.

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5 Kommentare

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  • 6G
    659975 (Profil gelöscht)

    Nach dieser Pannenwahl nun auch noch eine Pannen-Entscheidung, die eindeutig nach Macht- bzw. Mandatserhalt aussieht.



    SPD, Grüne und FDP sind sich da ganz einig. Und die Linke mit ihren 3 Direktmandaten, weswegen sie überhaupt als Fraktion im BT sitzen darf, wird sicherlich auch zustimmen.

    Ich hoffe, das zumindest die CDU hier mal eine Chance sieht, der Ampel mal richtig reinzugrätschen. Auch eventuell auf Kosten von eigenen Mandatsträgern, falls der BT danach kleiner werden sollte.

    Mit solchen Entscheidungen und Vorschlägen feuern die Parteien die "Lügenpresse"- Freunde, Politikverdrossenen, Reichsbürger nochmal so richtig an.

    Und ich als "Normalo" mache mir auch so meine Gedanken, wie weit es mit der Basis der Demokratie, nämlich dem Wahlrecht, bei uns gekommen ist.



    Ich hoffe auf eine gute Entscheidung für die demokratische Kultur in D.



    Vielleicht macht ein kluges Gericht ja noch einen Strich durch diese fadenscheinige Sache.

  • Kleiner Blick ins Bundeswahlgesetz:

    "Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste."

    "(2) Die Wiederholungswahl findet nach denselben Vorschriften,...statt"

    Man kann also nur die Wahl mit beiden Stimmen wiederholen.

    Allerdings hat unser kluger Gesetzgeber diese Formalien aus dem Grundgesetz ausgelagert.

    Somit wäre das ganze Gesetzeswerk mit einfacher Parlamentsmehrheit änderbar.

    Würde allerdings der Ampel den Geruch einbringen, Gesetze einfach nach Gutdünken zu verbiegen.

  • Denen geht die Düse.



    Denn selbstverständlich werden die Kandidatenlisten nach taktischen Gesichtspunkten aufgestellt.

    Die Spitzenplätze sind ja eh klar.

    Aussichtsreiche ("beliebte") Kandidaten kommen dabei weiter nach hinten und gelangen über die Erststimme rein.

    Weniger bekannte Namen kommen weiter oben auf die Liste und somit über die Zweitstimmen rein.

    Und wer in welchem Wahlkreis als Direktkandidat antritt, wird natürlich auch schön vorher ausbaldowert damit die Kandidaten möglichst sicher reinkommen und nach Möglichkeit auch Überhangmandate herbeischaffen.

    Also kann man Erst- nicht von Zweitstimmen trennen.

    Aber klar, dass man die Erststimmen nicht anfechten will ...

  • ie Überschrift ist irreführend.



    Die Ampel will ja gerade keine Wahlwiederholung.



    Statt, wie es wohl das Berliner Verfassungsgericht anordnen wird, die Wahl komplett zu wiederholen, will man die Wahl nur in den Wahllokalen mit den schlimmsten nachgewiesenen Fehlern/Manipulationen wiederholen lassen.



    Das Verfassungsgericht hat festgestellt, daß diese nachgewiesenen Fehler/Manipulation nur "die Spitze des Eisbergs" seien und die Integrität der gesamten Wahl nicht sicher ist.



    Die Ampel sieht die Probleme nur bei einem kleinen Teil der Wahllokale.



    Am erstaunlichsten aber ist, daß man nur Probleme bei den Zweitstimmen sieht.



    Ich weiß nicht, wie das in Berlin ablief. Aber bei uns in Hessen wurde Erst- und Zweitstimme auf einem gemeinsamen Wahlzettel gewählt. Wenn also die Zweitstimmen fehlerhaft sein sollen, wie können dann die Erststimmen richtig sein ?



    Liegt es vielleicht daran, daß gerade in Berlin die Erststimme eine so große Bedeutung hat ? Sollte die Linke eines ihrer zwei Direktmandate verlieren, wären ALLE 36 Listenmandate futsch. Das hätte natürlich auch Auswirkungen auf die Ausgleichsmandate aller anderen Parteien, der Bundestag würde deutlich kleiner werden. Alle Parteien würden Mandate verlieren. Kein Wunder, daß der Bundestag zu einer so unterschiedlichen Bewertungen im Vergleich zum Gericht kommt.



    Aber im Zweifelsfall würde ich lieber einem unabhängigen Gericht vertrauen als Politikern, die schon aufgrund der gewonnenen Mandate kein Interesse an einer Veränderung des Wahlergebnisses haben.



    Eigentlich ein Unding, daß der Bundestag selbst über die Rechtmäßigkeit seiner eigenen Wahl entscheiden darf.

    • @Don Geraldo:

      Das Gericht sieht die Probleme bei der Erststimme nur in Reinickendorf (Monika Grütters, CDU, 1,5% vor dem SPD-Mann), da würde die Linke nicht wackeln - und holen würde die SPD sich den Sitz wohl auch nicht.

      Was die Selbstkontrolle des Bundestags angeht haben Sie unbedingt Recht