PR der Agrarministerin zu Erntehelfern: Klöckner führt Medien in die Irre
Die CDU-Politikerin suggeriert, dass in der Coronawelle eine Krankenversicherung für die Arbeiter garantiert sei. Mehrere Medien fallen darauf herein.
Klöckners Ministerium schrieb in einer Pressemitteilung über den Kabinettsbeschluss zur Ausweitung der „kurzfristigen Beschäftigung“ ohne Sozialversicherung am 31. März, es solle „eine Meldepflicht des Arbeitgebers zur Art der krankenversicherungsrechtlichen Absicherung des Arbeitnehmers eingeführt werden“.
Da an dieser Stelle kein Datum für das Inkrafttreten genannt wurde, aber in den Absätzen davor stand, die 102-Tage-Regelung solle ab März gelten, konnte man die Pressemitteilung leicht so verstehen, dass dann ebenfalls die Meldepflicht in Kraft tritt. So taten es auch mehrere Medien. Ähnlich irreführend stellte Klöckner auf ihrem persönlichen Twitter-Feed die Kabinettsentscheidung dar, die demnächst vom Bundestag übernommen werden soll.
Das SPD-geführte Arbeitsministerium teilte der taz auf Anfrage jedoch mit, dass die Meldepflicht erst ab Januar 2022 gelten solle. Klöckner verschwieg also, dass der Krankenversicherungsstatus der Erntehelfer*innen während der derzeitigen Coronawelle genauso unklar sein wird wie in den Vorjahren.
Medien in die Irre geführt
Mit ihrer Pressemitteilung führte Klöckner zwar nicht die taz, aber mehrere andere Medien sowie Politiker erfolgreich in die Irre. Die Nachrichtenagentur AFP schrieb, „gleichzeitig“ mit der 102-Tage-Reglung „werde eine Meldepflicht zur Art der krankenversicherungsrechtlichen Absicherung eingeführt“. Die Agentur hat diesen Fehler trotz mehrerer Hinweise bis heute nicht korrigiert.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) benutzte zwar nicht das Wort „gleichzeitig“, aber sie ließ in ihrem Bericht unerwähnt, dass die Meldepflicht zur Art der Absicherung in dieser Saison gar nicht greift. Auch die linke Tageszeitung Junge Welt schwieg sich über den Beginn der Meldepflicht aus. Und Bauernverbands-nahe Fachmedien wie agrarheute sowieso. Selbst Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus freute sich in einer Pressemitteilung, dass es „nun deutschlandweit verpflichtend ist“, Erntehelfer*innen krankenzuversichern.
„Die vorgesehene Anmeldepflicht aller Arbeitskräfte ist ein Muss in Coronazeiten“, schrieb der SPD-Politiker. Sinngemäß zitierte ihn damit die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Klöckners Ministerium wies darauf hin, dass es nie von „einer etwaigen ‚Gleichzeitigkeit‘“ gesprochen habe. „Insofern kann auch von Irreführung keine Rede sein.“
Mitunter müssen „kurzfristig Beschäftigte“ laut der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) beispielsweise im Fall einer Corona-Erkrankung die Behandlungskosten selbst tragen. Dabei bekommen sie meist nur den gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro die Stunde – oft minus Abzügen für Unterkunft und Verpflegung. Der deutschen Sozialversicherung gehen so Beiträge verloren. 60 Prozent der Ende Juni 2020 registrierten rund 97.000 ausländischen Aushilfskräfte in der deutschen Landwirtschaft hatten laut Bundesagentur für Arbeit eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung.
Einwand von Corona-Leugner*innen
Klöckner ist schon mehrmals durch falsche, irreführende oder nicht belegte Behauptungen aufgefallen. Im April 2020 behauptete die Agrarministerin ohne Angaben von Quellen im ZDF, dass der Tod eines mit Corona infizierten Erntehelfers aus Rumänien in Baden-Württemberg nicht durch Covid-19, sondern durch einen Herzinfarkt verursacht worden sei.
Damit machte sie sich einen typischen Einwand von Corona-Leugner*innen gegen die offizielle Statistik über Todesfälle im Zusammenhang mit Corona zu eigen. Das zuständige Gesundheitsamt des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald vermutete schon damals, möglicherweise habe Covid-19 zum Tod des Rumänen beigetragen. Eine Corona-Infektion kann Medizinern zufolge Herzkrankheiten verschlimmern und sogar Infarkte auslösen.
Im Februar 2020 dementierte die Ministerin, dass sie dafür gekämpft habe, Lebensmittelimporte mit besonders gefährlichen, in der Europäischen Union verbotenen Pestiziden zu ermöglichen. Ihre angeblichen Belege wurden durch eine taz-Recherche widerlegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen