PEN-Präsidentin über Eckhart-Debatte: „Wir sind für das freie Wort“
Die Hamburger PEN-Vorsitzende Regula Venske verteidigt ihre Kritik an der Ausladung der Kabarettistin Lisa Eckhart vom Harbour Front-Festival.
taz: Überrascht Sie die Kritik an Ihrem offenen Brief gegen die Ausladung von Lisa Eckhart, Frau Venske?
Regula Venske: Von Kolleginnen und Kollegen habe ich sehr viel positive Rückmeldung erhalten. Die Debatte ist sehr aufgeladen, überraschend wäre es eher, wenn es keine Kritik gäbe.
Was macht die Debatte so aufgeladen?
Wir leben in einer Zeit, in der sehr schnell Erregung und Empörung um sich greifen, sehr schnell auch jede Seite meint, dass sie im Besitz der alleinigen Wahrheit sei. Da ist wenig Bereitschaft, anderen Positionen zuzuhören und sie zu verstehen. Es wird sehr schnell etwas unterstellt; das macht die Diskussionskultur insgesamt schwach und anfällig. Wir setzen uns im PEN für das freie Wort ein, für offene Diskussion, weil wir glauben, dass das die Gesellschaft zu einem Höheren voranbringt.
Gibt es Grenzen des Debattierbaren?
Wir kämpfen gegen jede Form von Hass, gegen Rassen-, Klassen-, Völkerhass, Hass aufgrund des Geschlechtes, der sexuellen Vorliebe – und das gilt es gegenüber der Freiheit des Wortes immer wieder auszubalancieren. Das ist oft kompliziert und dann ist es ungünstig, wenn so schnell frontal Stellung bezogen wird.
Sie selbst haben im offenen Brief an die Störung der Premiere von Remarques „Im Westen nichts Neues“ durch Nazi-Schlägertrupps erinnert.
65, ist seit 2017 Präsidentin des deutschen PEN, einer Schriftstellervereinigung.
Lassen Sie mich ein Missverständnis, das leider entstanden ist, kurz klarstellen. Ich habe nicht Eckhart mit Remarque vergleichen wollen, auch nicht die historische Situation vor 90 Jahren mit unserer. Es geht darum, dass es im Laufe der Geschichte viele unterschiedliche Formen von Zensur gibt. Der einzige Vergleichspunkt ist, dass das Bürgertum sich damals nicht genügend für die Meinungs- und Kunstfreiheit positioniert hat und heute, in anderer Situation, vielleicht auch nicht. Wenn ich das verkürzt und missverständlich ausgedrückt habe, tut mir das leid. Es ist leicht, wenn wir nobelpreisverdächtige Literatur verteidigen oder wenn wir uns klar gegen rechts positionieren oder uns für die Meinungsfreiheit in der Türkei stark machen. Aber wir müssen uns auch da stark machen, wo wir vielleicht nicht so überzeugt sind oder es uns selbst weh tut.
In der Kritik an der Ausladungskritik heißt es, dass der Hamburger „Nochtspeicher“ als der eigentliche Veranstaltungsort inzwischen klar gestellt habe, er habe nicht Drohungen, sondern nur Warnungen erhalten. Damit sei das Szenario ein anderes als etwa im offenen Brief dargestellt.
Das Szenario kam ja nicht von mir. Aber: Wenn es die Drohungen nicht einmal gegeben hat, um so schlimmer ist die Ausladung doch. Das Festival hat ausgeladen mit der Information, man sei über die Sicherheitslage besorgt. Was sagt eigentlich die Jury dazu, die über die acht für den Heinz-Michael-Kühne-Preis nominierten Romane entscheidet? Haben die sie auch ausgeladen?
Die KritikerInnen sehen im Vorwurf einer grassierenden „Cancel culture“ bloß fantasierte Maulkörbe und eine von der Rechten befeuerte Scheindebatte. Tatsächlich ginge es um Kritik.
Es geht ja um eine reale Ausladung – und man kann nur kritisieren, wenn man sich auf den Diskurs einlässt.
Die KritikerInnen von Lisa Eckhart argumentieren, dass bei Antisemitismus der Diskurs für sie endet.
Für Antisemitismus gibt es keine Entschuldigung. Bei Lisa Eckhart müssen wir über Satire und Figurenrede diskutieren. Der große Kabarettist Helmut Qualtinger hat auch aus Naziperspektive gesprochen. Gerade in Österreich gibt es da eine Tradition im Kabarett. Die Frage ist, ob sie nicht dem Publikum den Spiegel vorhält, indem sie solche Positionen auf die Bühne bringt. Dekonstruiert oder reproduziert sie? Diese Debatte wird verhindert, wenn jetzt alle Antisemitismus schreien, die ihr Werk gar nicht kennen. Der Feind steht rechts. Aber wenn wir solche Diskussionen im breiten links-liberalen Spektrum nicht mehr führen, outsourcen wir den Einsatz für die Meinungsfreiheit an die Rechten.
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