Ortskräfte in Afghanistan: Man kennt sie nicht mehr
Zehn Jahre lang arbeitete Mohammad Zahed für die Nato-Truppen in Kabul. Seine Rettung scheitert an einem bürokratischen Detail.
Mohammad Zahed blickt nervös in die Kamera seines Smartphones, um ihn herum herrscht Chaos. Hunderte von Menschen strömen an ihm vorbei und versuchen, auf den Kabuler Flughafen zu gelangen. „US-Soldaten und Taliban-Kämpfer schießen in die Menge“, berichtet Zahed, der sich nahe dem Flughafengelände aufhält. Seit die militant-islamistischen Taliban am vergangenen Sonntag Kabul eingenommen haben, spielen sich dort dramatische Szenen ab.
Zahed, Ende Dreißig, ist für eine große Telekommunikationsfirma in Kabul tätig. In den letzten zehn Jahren kümmerte er sich auch um die Datenleitungen der Bundeswehr und anderer Nato-Truppen. Seine Arbeit war aus logistischer Sicht fundamental, um den westlichen Einsatz vor Ort und die damit verbundene Kommunikation zu ermöglichen.
Dieser Umstand ist nicht nur Zahed bewusst, sondern auch jenen, von denen er seit Monaten bedroht wird und die nun zurück in Kabul sind: die Taliban. Einer seiner Arbeitskollegen wurde im vergangenen Jahr getötet. Von Extremisten, wie er glaubt.
Seit die USA und ihre Verbündeten ihren Abzug durchführen, versinkt Afghanistan im Chaos. In den letzten Tagen und Wochen konnten die Taliban fast das ganze Land einnehmen. Lediglich die nördliche Provinz Pandschir, in der sich Vizepräsident Amrullah Saleh und Ahmad Massoud, Sohn des bekannten Mudschaheddin-Kommandanten Ahmad Schah Massoud, aufhalten sollen, wird von den Extremisten nicht kontrolliert.
Unglaubwürdige Amnestie
Seit Jahren ist bekannt, dass die Taliban ein besonderes Augenmerk auf jene Afghanen gelegt haben, die den ausländischen Truppen geholfen haben, sprich, Dolmetscher und anderweitiges Personal, das in den letzten zwanzig Jahren von der Nato beschäftigt wurde. Menschen wie Mohammad Zahed. Konkret betrifft dies Tausende von Afghanen. Während viele von ihnen ihre Heimat in den letzten Jahren verlassen haben, sind andere geblieben.
Sie sind es, die nun die Vergeltung der Taliban fürchten, obwohl diese vor Kurzem abermals eine Generalamnestie versprachen. „Ich kann mich auf solche Worte nicht verlassen. Wer weiß, wie sie agieren werden, wenn der internationale Fokus weg ist?“, fragt sich Zahed, der aus der südostafghanischen Provinz Khost nahe der pakistanischen Grenze stammt. Dort sind die Taliban bereits seit Jahren präsent, weshalb er sein Dorf nicht mehr besucht.
Vor einigen Wochen hatte die Bundesregierung angekündigt, allen Ortskräften von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland angestrebt hatten, dieses zu bewilligen. Bislang wurden hierfür mindestens 2.400 Visa für betroffene Personen und deren enge Verwandte ausgestellt.
Viele von ihnen konnten sich allerdings kein Flugticket leisten. Die Bundesregierung hatte die Übernahme von Reisekosten abgelehnt. Zuletzt sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel für „pragmatische Lösungen“ aus. Etwaige Charterflugzeuge wurden in den Raum gestellt. Doch dann fiel Kabul und von Evakuierungsflügen für Ortskräfte fehlt jegliche Spur.
Ein Déjà-vu für die Afghanen
Es gibt jedoch ein weiteres Problem, denn Afghanen wie Zahed wird womöglich gar nicht geholfen. „Ich habe jeden Tag mit den Nato-Kräften und der Bundeswehr zusammengearbeitet, doch ich hatte keinen direkten Vertrag mit ihnen. Das wird mir und meiner sechsköpfigen Familie nun zum Verhängnis“, sagt er.
Im Fall von Mohammad Zahed hat das Auswärtige Amt bereits (vor mehreren Wochen) bestätigt, dass man sich um sein Anliegen nicht kümmern könne, da er für eine externe Firma tätig war, die wiederum für die Nato-Truppen arbeitete. Die Firma mit Sitz in Hongkong hat auch Zweigstellen in Deutschland, wo Zaheds Verwandte leben.
Wer die Argumentation des Auswärtigen Amtes liest, bekommt den Eindruck, dass die Bundeswehr nichts mit Zahed zu tun hatte. Dabei sah die Realität vor Ort anders aus. „Den Soldaten war es egal, ob ich als Individuum einen Vertrag mit ihnen hatte oder nicht. Sie haben sich immer an mich gewandt. Ich war stets für sie da. Doch nun kennt man mich plötzlich nicht mehr, obwohl unsere Zusammenarbeit im Detail dokumentiert ist“, sagt Zahed. Der Mailverkehr, den Zahed mit den Nato-Truppen hielt, liegt der taz vor.
Angesichts des Abzugs der US-Truppen haben viele Afghanen ein Déjà-vu. 1989 verließen die letzten sowjetischen Truppen nach ihrer zehnjährigen Besatzung das Land. Das letzte kommunistische Regime konnte sich drei weitere Jahre dank finanzieller und logistischer Unterstützung aus Moskau halten. Nachdem der Geldhahn abgedreht wurde, nahmen die Mudschaheddin Kabul ein und ein blutiger Bürgerkrieg brach aus. Er kostete Tausende von Afghanen das Leben. Dann kamen die Taliban an die Macht.
Viele Tote, keine Zukunft
Doch nun geschah alles viel schneller. Laut den Vereinten Nationen kam es im ersten Halbjahr 2021 zu mindestens 5.183 zivilen Opfern in Afghanistan. 1.659 Zivilisten wurden getötet, 3.524 weitere verletzt. Für Mohammad Zahed ist all dies und die Rückkehr der Taliban Grund genug, um Afghanistan verlassen zu wollen.
„Ich hoffe, dass die deutschen Behörden ihrer Verantwortung nachkommen und wir endlich abreisen können. Meine Kinder haben hier keine Zukunft, egal, was die Taliban uns heute erzählen und wie sehr sie sich verändert haben mögen“, sagt Zahed.
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