Organspende von Tieren: Ein Herz aus Schwein
Mit Tierorganen den Mangel an Spendeorganen beheben? Bei Versuchen mit Schweineherzen ging das mehrere Monate gut. Das macht Hoffnung.
Noch vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen: das Herz eines Schweins in einem menschlichen Körper. Nun bekamen zwei Patienten, David Bennett und Lawrence Faucette, Anfang 2022 und im September 2023 so ein Organ. Beide litten an Herzerkrankungen im Endstadium. Andere Therapien kamen für sie nicht mehr infrage. Deshalb genehmigte die US-Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) die Eingriffe als Heilversuch.
Anfangs nahmen die Patienten das Herz gut an, erholten sich, machten eine Physiotherapie und verbrachten Zeit mit ihren Familien. Dann aber verschlechterte sich ihr Zustand. Zwei Monate nach der Operation verstarb David Bennett, Lawrence Faucette lebte knapp sechs Wochen mit dem Schweineherz.
Beide hatten nicht damit gerechnet, viel Lebenszeit zu gewinnen. So bekamen sie immerhin ein paar zusätzliche Wochen mit ihren Familien. Zudem war es ihnen wichtig, die Forschung zu solchen Transplantationen von Tier zu Mensch, genannt Xenotransplantationen, voranzubringen.
„Herrn Faucettes letzter Wunsch war, dass wir das Beste aus dem machen, was wir aus dieser Erfahrung gelernt haben, sodass andere eine Chance auf ein neues Herz haben, wenn kein menschliches Organ verfügbar ist“, heißt es in der Pressemitteilung der University of Maryland.
Ein Meilenstein
Fachleute sehen in den Operationen einen Meilenstein in der Transplantationsforschung. So auch Heiner Niemann von der Medizinischen Hochschule Hannover: „Als 1967 in Kapstadt in Südafrika das erste menschliche Herz transplantiert wurde, hat der Patient nur 18 Tage überlebt, heute leben Menschen teils 25 Jahre mit einem neuen Herz.“
Solche Fortschritte benötigten Zeit, doch die ersten Schritte seien vielversprechend. Niemann war als Leiter des Instituts für Nutztiergenetik in Mariensee an der Produktion genetisch veränderter Schweine beteiligt, die als Grundlage für die heutigen Xeno-Tiere dienten.
Es fehlen Organe
In den 80er Jahren hatte es bereits einmal einen ähnlichen Versuch gegeben. Damals erhielt ein kleines Mädchen mit einem tödlichen Herzfehler ein Pavianherz. Sie starb nach 21 Tagen, weil das Immunsystem das fremde Organ angriff. Heutzutage sollen genetische Veränderungen eine Abstoßung der Schweineherzen verhindern.
Schweineherzen eignen sich für die Transplantation gut, weil sie viele genetische, anatomische und physiologische Eigenschaften mit dem Menschen teilen. Gleichzeitig gibt es mittlerweile gute Methoden, um die Tiere zu modifizieren: Für die Transplantationen in Baltimore waren die Schweineherzen an insgesamt 10 Stellen im genetischen Code verändert.
Die Firma Revivicor, von der die Spenderschweine stammten, hatte drei Gene ausgeschaltet, die für eine schnelle Abstoßung durch menschliche Antikörper gesorgt hätten. Ein weiteres Gen wurde inaktiviert, um zu verhindern, dass das Herz zu stark wächst. Zusätzlich verfügten die veränderten Tiere über sechs menschliche Gene, damit das Immunsystem der Patienten das Organ besser annimmt. „Diese Gene verringern beispielsweise Entzündungen und helfen, die Blutgerinnung zu steuern“, erklärt Niemann.
Von solch großer Bedeutung sind die Versuche, weil viel zu wenig menschliche Spenderorgane vorhanden sind. In der EU waren laut der Europäischen Kommission Ende 2021 52.000 Patienten auf der Warteliste für eine Organtransplantation, während im ganzen Jahr 2021 nur etwas mehr als 26.000 Transplantationen stattfanden, davon gut 2.000 Herzen. Viele Menschen sterben, bevor sie ein neues Organ bekommen können.
Als Übergangslösung können derzeit etwa Kunstherzen oder eine mechanische Kreislaufunterstützung verwendet werden. Allerdings haben auch diese Technologien ihre Grenzen. Hier könnten die Xenotransplantationen in Spiel kommen. „Ich glaube, dass tierische Organe zunächst vor allem zur Überbrückung hilfreich sein werden, wenn kein geeignetes menschliches Organ zur Verfügung steht“, sagt Niemann.
Auch das Erbgut muss genetisch verändert werden
Noch müssen viele weitere Erkenntnisse gewonnen werden. Vom ersten Versuch hat das Team aus Baltimore bereits gelernt. Denn es stellte sich heraus, dass ein Virusinfekt durch das porcine Cytomegalovirus (PCMV) im Spenderherz unentdeckt geblieben war.
„Nach der Transplantation konnte das Virus sich im Schweineherz ungezügelt vermehren, da es nicht mehr vom Immunsystem des Schweins in Schach gehalten wurde“, sagt Joachim Denner, Leiter der Arbeitsgruppe Virussicherheit der Xenotransplantation am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin. Ob das Virus für den Tod des Patienten verantwortlich war, ist nicht abschließend geklärt. Doch in Studien mit Primaten hatte das PCMV zu einer deutlichen Verkürzung der Lebensdauer der Organe geführt.
Immerhin: Eine solche Virenübertragung dürfte in Zukunft vermeidbar sein. „Der Fehler lag in der Diagnostik“, so der Tiermediziner Niemann. „Mit sensitiveren Methoden, die wir auch in Deutschland nutzen, kann so eine Übertragung ausgeschlossen werden.“ Denn es gilt: Je höher die Sensitivität einer Methode, desto eher werden auch Viren entdeckt, die das Immunsystem des Schweins gerade noch in Schach hält und die deshalb nur in geringen Mengen vorhanden sind.
Es gibt zudem Viren, die ihre Gene in das Erbgut der Schweine eingebaut haben, die sogenannten porcinen endogenen Retroviren (PERV). Für die Transplantation sollten sie jedoch kein großes Problem darstellen, erklärt Niemann. „Man kann sie mithilfe von CRISPR-Cas herausschneiden, dann ist sichergestellt, dass keine Infektions- und Krankheitsgefahr besteht.“ Die CRISPR-Cas-Methode wird allgemein als Genschere bezeichnet, weil damit sehr gezielt bestimmte Stellen im Erbgut modifiziert werden können.
Auch wenn viele Probleme lösbar sind, werden Organspenden von Schweineherzen in nächster Zeit noch eine Seltenheit bleiben. „Die Heilversuche reichen natürlich nicht aus, um solche Transplantationen in den medizinischen Alltag zu bekommen“, sagt Niemann. „Dafür müssen zuerst klinische Studien durchgeführt werden. Vor allem in den USA werden solche Vorhaben jetzt beantragt.“ Aber auch in Deutschland werde es wohl in absehbarer Zeit klinische Versuche geben, schätzt Niemann.
Die Hoffnung mancher Forschenden ist hoch
Sollte es zu einer Zulassung der Methode kommen, gibt es weitere Hürden, etwa finanzielle: Noch sind die Herstellung und Haltung der genetisch veränderten Schweine, sowie die Prozedur selbst, eine teure Angelegenheit. Die Xenotransplantation wird deshalb vermutlich zunächst auf wohlhabende Industrienationen begrenzt sein. Möglicherweise kann sich das aber ändern, wenn etwa Transplantationen von Schweineherzen häufiger werden.
„Aber auch die Transplantation menschlicher Organe, eine intensivmedizinische Versorgung oder regelmäßige Dialyse kosten viel Geld“, gibt Niemann zu bedenken. Die finanzielle Frage könnte also weit weniger ins Gewicht fallen, als es auf den ersten Blick erscheint.
Die Hoffnung mancher Forschenden ist jedenfalls hoch: So sieht Uta Dahmen, Leiterin der Experimentellen Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Jena, in der Xenotransplantation eine mögliche Lösung des Organmangeldilemmas: „Theoretisch könnte allen Patienten, die ein Organ benötigen, ein solches mit gleichbleibender hoher Qualität angeboten werden.“ Das löse die ethische Frage, welcher Patient aus welchem Grund ein Organ bekommt, und für wen die vorhandenen Ressourcen nicht ausreichen. Dieses Szenario liegt aber wohl noch in weiter Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen