Oppositionssender aus dem Exil: Julia Nawalnaja will kämpfen
Vor einem Jahr ist Alexei Nawalny in Haft gestorben. Seine Witwe Julia lanciert nun von Frankreich aus einen TV-Sender: „Die Zukunft Russlands“.
Die drei waren noch nie hier auf dem Friedhof, wo gleich am Eingang stets ein paar Briefe liegen und immer frische Rosen, Nelken, Astern – für das Idol so vieler Russ*innen. Julia Nawalnaja gilt in Russland als „Extremistin“ und „Terroristin“. Würde sie die russische Grenze überschreiten, wäre ihr Leben in Freiheit sofort vorbei. Den Weg ihres Mannes will die 48-Jährige nicht gehen: Alexei Nawalny war im Januar 2021, nach seiner Behandlung in Deutschland wegen einer Vergiftung mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok, nach Moskau zurückgekehrt und bei der Passkontrolle festgenommen worden. Er verschwand für immer in Russlands Gerichten und Strafkolonien.
Julia will kämpfen – für Russ*innen, die die Hoffnung für ein „wunderbares Russland der Zukunft“, wie Nawalny es predigte, fast verloren haben. Es ist auch ein Kampf gegen die Hilflosigkeit, um mit der Wut gegen das Putin-Regime umgehen zu können.
Nawalnaja will an diesem Mittwoch einen TV-Sender lancieren. „Die Zukunft Russlands“, soll er heißen und über Satellit Nachrichten und Reportagen senden, die es im russischen Staatsfernsehen nicht zu sehen gibt. Zusammen mit der in Paris ansässigen Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen will sie auf diese Weise, so heißt es in einer Pressemitteilung dazu, die Meinungsfreiheit in Russland stärken.
Reichweite: Rund 5 Millionen Haushalte
Durch das Satellitenpaket „Swoboda“ (Freiheit), über das bereits neun Sender – wie Belarus Tomorrow, Deutsche Welle Russland oder TV8 Moldau – laufen, sollen 4,5 Millionen Haushalte in Russland und 800.000 Haushalte in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine erreicht werden. Es ist ein hehres Unterfangen, schon allein deshalb, weil es für russische Behörden ein einfaches ist, solche Programme zu sperren.
Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung – in Russland verboten – produziert im Ausland bereits etliche Sendungen, die auf YouTube laufen. Auch andere russische Politiker*innen – wie der beim spektakulären Gefangenenaustausch im August vor einem Jahr freigekomme Ilja Jaschin – sowie russische Journalist*innen im Exil, Aktivist*innen, Historiker*innen, Komiker*innen und Pädagog*innen senden über YouTube. Ohne ein VPN funktioniert das in Russland selten.
Regimekritiker*innen im Land informieren sich über diese Kanäle. Konformist*innen oder Kriegsbefürworter*innen interessieren die Sendungen nur insoweit, als dass sie über selbige Hetze verbreiten. Auch zum neu lancierten Kanal Nawalnajas schreiben manche User*innen in sozialen Netzwerken: „Diese Verräterin will uns aus dem Feindesland erklären, wie wir zu leben haben? Soll sie doch verschwinden“.
Das aber macht Nawalnaja nicht. Es war die Vergiftung ihres Mannes, die die in Moskau geborene Julia Abrossimowa, ins Rampenlicht rückte. Die studierte Ökonomin kämpfte in Sonnenbrille und Lederjacke wie eine Löwin für sein Überleben. „Unsere Tränen werden diese Schweinehunde niemals sehen“, hatte sie sich vor Jahren bereits gesagt, und sie bleibt standfest.
Die stille Nawalnaja, die sich stets für Nawalnys Auftreten in der Öffentlichkeit zuständig fühlte, war nun selbst laut geworden. Manchen russischen Liberalen ist sie allerdings nicht laut genug – weil sie den Krieg in der Ukraine zwar verurteilt, aber Waffenlieferungen an Kyjiw nicht unterstützt.
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