Oppositioneller in türkischer Haft: Elon Musk sperrt X-Konto von İmamoğlu
Bisher konnte der Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu über sein X-Konto Kontakt zur Außenwelt halten. Damit ist es nun vorerst vorbei.
Auf Antrag der Istanbuler Staatsanwaltschaft, die seit Monaten eine Art Hexenjagd gegen İmamoğlu betreibt, sei ein Beitrag des Oberbürgermeisters auf der Online-Plattform X als „Aufforderung zu einer Straftat“ gewertet worden. Statt nun darauf zu drängen, diesen Beitrag zu löschen, wurde gleich das gesamte Konto gesperrt. İmamoğlu hat fast 10 Millionen Follower und bleib trotz Haft in der politischen Debatte präsent. Das eigentliche Ziel der Sperrung, dürfte sein, ihn mundtot zu machen. Musk weiß natürlich, dass sein Chef US-Präsident Donald Trump gute Beziehungen zum türkischen Präsidenten pflegt, mit dem er nach Angaben aus dem Präsidentenpalast erst vor wenigen Tagen ein längeres Telefonat, unter anderem zur Ukraine führte.
Die Sperrung des X-Kontos von İmamoğlu fügt sich ein in die von der Regierung immer mehr verschärfte Repression gegen die Kritiker des Erdoğan-Regimes. Seit İmamoğlu festgenommen wurde, reißen die Proteste gegen Erdoğan nicht ab. Seit bald zwei Monaten organisiert die CHP, die Oppositionspartei für die İmamoğlu als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen soll, gemeinsam mit Organisationen von vor Ort jedes Wochenende in einer anderen Stadt in der Türkei eine Großdemonstration, dazu an jedem Mittwochabend eine Demo und Kundgebung in Istanbul.
Am gestrigen Mittwoch fand diese Kundgebung in Beyazıt, vor der Istanbul-Universität statt. Gemeinsam mit den Studenten der größten Istanbuler Uni sollte eine Veranstaltung und anschließende Demonstration stattfinden, die die Regierung unbedingt verhindern wollte. Als sich bereits zehntausende Menschen auf dem Beyazıt Platz versammelt hatten, ließ die Regierung die Stromversorgung rund um den Platz abstellen, die Bühne lag im Dunkeln, die Leute wussten zunächst nicht, was los war.
Erdoğans wachsende Verzweiflung
Als die CHP eine eigene Beleuchtungsanlage auf den Platz bringen wollte, wurde das von der Polizei verhindert. Plötzlich hieß es dann, die gesamte Veranstaltung werde wegen einer „Terrorwarnung“ aufgelöst, die Leute sollten nach Hause gehen. Wütende StudentInnen zogen daraufhin durch Beyazıt und Fatih, die Altstadt von Istanbul, um ihrem Unmut Gehör zu verschaffen.
Offenbar sehen Erdoğan und seine Gefolgsleute mit wachsender Verzweiflung auf die nicht enden wollenden Proteste. Hatte die Regierung anfangs durchblicken lassen, man könne die Empörung über die Verhaftung İmamoğlu und anderer CHP-Bezirksbürgermeister von Istanbul einfach aussitzen, stellt sich nun heraus, dass die Protestierenden einen langen Atem haben und selbst in Städten in Inneranatolien, die als Hochburgen von Erdoğan gelten, Zehntausende zu den Protestdemos kommen.
So überraschten am letzten Samstag die BürgerInnen der Millionenstadt Konya, einem religiösen Zentrum in den Erdoğans Partei, die AKP, bei den letzten Wahlen über 70 Prozent gewonnen hatte, mit einem Massenauflauf zu der von der CHP organisierten Kundgebung. Dort forderten die TeilnehmerInnen die Freiheit für İmamoğlu ein. Selbst viele AKP-AnhängerInnen sind darüber empört, wie die Regierung dem beliebten İmamoğlu gegenüber das Recht beugt.
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