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Opioid-Urteil in den USAEin schwaches Signal

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Das Urteil gegen Johnson & Johnson hätte eine Wende einleiten können. Stattdessen setzt es ein anderes Zeichen: Man kommt davon.

Dem Urteil nach trägt der Pharmakonzern Johnson & Johnson eine Mitverantwortung für die Opioidkrise Foto: ap

W enn ein Pharmakonzern verurteilt wird, weil er über Jahre hinweg mit verharmlosenden und irreführenden Marketingmaßnahmen Tausende Menschen in die Abhängigkeit von schnell süchtig machenden Schmerzmitteln getrieben hat, ist das im Prinzip ein guter, ein wichtiger Schritt. Wenn nach dem Urteil aber die Aktienkurse des Konzerns in die Höhe schnellen, ist etwas gründlich schiefgelaufen.

Offensichtlich ist die Verurteilung des Konzerns Johnson & Johnson im US-Bundesstaat Oklahoma viel zu niedrig ausgefallen. Die 572 Millionen US-Dollar, die der Konzern an Oklahoma zahlen soll, sind bei einem Jahresumsatz 2018 von über 80 Milliarden US-Dollar tatsächlich Peanuts. Sie bringen dem Bundesstaat nicht einmal genügend Geld ein, um auch nur ein Jahr lang die Folgen der grassierenden Opioid-Epidemie bewältigen zu können.

Zum Vergleich: Mexikos Drogenbaron „El Chapo“ Guzmán war Mitte Juli in New York neben einer Haftstrafe von „lebenslänglich“ plus 30 Jahre auch noch zur Zahlung von 11,2 Milliarden Dollar verurteilt worden.

Dabei ist letztlich der Pharmakonzern der größere Schurke. Ein Dealer verkauft Leuten seine Drogen, die wissen, worauf sie sich einlassen. Ein Konzern aber, der Ärzte dazu bringt, schon bei geringen Schmerzen abhängig machende Hammer-Medikamente zu verschreiben, zeigt ungleich höhere kriminelle Energie.

Die Opioid-Krise in den USA ist eine der größten gesundheitspolitischen Katastrophen der Neuzeit

Die Antriebskraft ist allerdings bei Drogenbaron und Pharmakonzern die gleiche: Gier, also der als vollkommen legitim akzeptierte Motor des kapitalistischen Wirtschaftens. Kein Wunder, dass die Vertreter des Konzerns vor Gericht weder Verständnis noch Reue zeigten, sondern im Gegenteil bereits angekündigt haben, in Berufung zu gehen.

Die Opioid-Krise in den USA ist eine der größten gesundheitspolitischen Katastrophen der Neuzeit. Das Urteil gegen Johnson & Johnson – im übrigen nicht mal der größte Player in diesem Geschäft – hätte eine Wende einleiten können. So wie es ausgefallen ist, setzt es ein anderes Zeichen: Weiter so – man kommt davon.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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8 Kommentare

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  • Opioide, die Opiate sind,

    sollte man auch so benennen!

    Die verharmlosende bezeichnung Opioide ist Teil der Kampagne, mit der sich US-Pharmakonzerne die Zulassung als normal verschreibbaren Schmerzmitteln für ihre Opiate erschlichen haben.



    Die entsprechenden Wirkstoffe gibt es bei uns auch (dafür gibt es medizinische Gründe), aber die Medikamente fallen unter das BtMG und werden dementsprechend nur kontrolliert abgegeben.

  • "Gier, also der als vollkommen legitim akzeptierte Motor des kapitalistischen Wirtschaftens."

    Herrlich :-)

  • "Das Urteil gegen Johnson & Johnson hätte eine Wende einleiten können. Stattdessen setzt es ein anderes Zeichen: Man kommt davon."

    So kann man das sehen.



    Wobei das Davonkommen trügerisch ist, weitere 2000 Verfahren warten auf Johnson & Johnson. Andererseits haben die USA Instrumente des Rechtsstaats. überhaupt gegen Unternehmen zu ermitteln, Anklage zu erheben, Verbrechen öffentlich zu machen.

    Deutschland versagt sich dieses Mittel seit Aussetzen des Unternehmensstrafrecht 1953 durch die Adenauer Regierung auf Anraten Deutschen Juristentages, damit Unternehmen vor Entschädigungsforderungen von Zwangsarbeitern*innen 1939-1945 bewahrt sind.

    Die USA sind zumindest in der Lage, gegen Unternehmen, nicht nur gegen angebliche Einzeltäter in einem Unternehmen zu ermitteln, Akten zu sichern, wie in Deutschland.

    Hinsichtlich eines Netzwerk Verbrechens erweisen sich auch die USA rechtsstaatlich nicht gerüstet, an dem Politiker, Ärzte, Medien, Phamakonzerne beteiligt waren, sind, niedrigschwellig unter verführerischer Propaganda Lüge, jeder US Bürger*in habe ein Recht bei nichtigstem Anlass durch die Verabreichung von Opioiden, von der Wiege bis zur Bahre, schmerzfrei zu sein, binnen 8 Jahren allein in den USA 400 000 Opioid Tote in Kauf zu nehmen.



    Dass Bundesjustizminister Lambrecht Gesetzesinitiative ergreift, das in Deutschland ausgesetzte Unternehmensstrafrecht zu aktivieren, verdient, nicht nur auf dem Hintergrund der US Opioid Tragödie, die längst in Europa, Deutschland ihre Forstsetzung findet, breite Unterstützung.

    weact.campact.de/p...just_launched=true

  • Dass gewisse Pharmakonzerne an der gewissenlosen Vermarktung von Opioiden verdienen, stimmt, aber such in den USA sind die Opioide nicht "over the counter", also frei verkäuflich in Apotheken zur erwerben, soweit ich das weiß. D.h., dass es einer Verschreibung durch einen Arzt bedarf. Gerade in den USA wurde dies von Ärzten aufgrund der Propaganda der ärztlichen Standesorganisationen massiv propagiert ( kein Patient muss Schmerzen haben...). Warum werden die nicht zur Rechenschaft gezogen?

    • @Ignaz Wrobel:

      weil es die Profitgier der Pharmakonzerne war die dieses Systhem erst ermöglicht hat.

      Einzelne Ärzte die als Pillmill praktisch jedem gegen Bares opioide verschrieben haben, gegen die ist man vorgegangen.

      Aber es war die Pharmalobby die wissentlich eine falsche Risikoeinschätzung verbreitet und somit auch gewissenhafte Ärzte hinter das Licht geführt haben.

  • Ob die wirklich in Berufung gehen? Denen müsste klar sein, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann. (Telegramm des Anwalts an den Mandanten: Die gerechte Sache hat gesiegt! Antwort: Sofort Berufung einlegen!)

    • @Ewald der Etrusker:

      Verbot der Schlechterstellung bei der Berufung

      Laut Strafgesetzbuch ein Verbot der Schlechterstellung bei der Berufung (§331 StPO).

      Ein Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des veruteilten Mandanten durch das Berufungsgericht abgeändert werden.

      Denke das ist in Ameriak auch so ....

      Das Urteil ist schon absonderlich und wenn man es mit den BAYER / Monstanto prozessen mal vergleicht...

    • @Ewald der Etrusker:

      Was soll da nach hinten losgehen?