Opioid-Konzern beantragt Insolvenz: Jetzt wird abgerechnet
Dem Unternehmen Purdue wird vorgeworfen, mit seinem Schmerzmittel Oxycontin ein Wegbereiter der Drogenkrise in den USA gewesen zu sein.
Mit dem Verfahren nach Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts wolle Purdue die mehr als 2.000 Klagen beilegen, wie das Unternehmen am Montag in Stamford im US-Bundesstaat Connecticut bestätigte. Damit würden laufende Klagen gestoppt und gebündelt vor Gericht verhandelt.
Die Firma soll in eine Stiftung der öffentlichen Hand überführt werden. Zur Abgeltung der Schadenersatzforderungen hat sich Purdue offenbar zu einem Vergleich in Höhe von rund 10 Milliarden Dollar bereit erklärt.
Ob diese Vereinbarung durchkommt, ist allerdings offen. Denn vielen Klägern reicht diese Summe nicht. Unter den Klägern sind zahlreiche Bundesstaaten, Städte und Landkreise. Sie hatten in den vergangenen Jahren den Monsteranteil der durch die Opioid-Epidemi verursachten Gesundheitskosten zu tragen.
Hunderttausende Drogensüchtige
Durch sein Schmerzmittel Oxycontin ist der Name Purdue wie kein anderer Pharmakonzern mit der verheerenden Opioid-Epidemie in den Vereinigten Staaten verbunden. Diese Epidemie hat in den vergangenen 20 Jahren laut US-Behörden zu Hunderttausenden Toten durch Überdosierung geführt.
Konkret wird dem Pharmakonzern und deren Eigentümerfamilie Sackler vorgeworfen, Schmerzmittel unter Verschleierung der Suchtgefahren „mit rücksichtslosen und aggressiven Methoden vermarktet“ zu haben. Damit wurde aus Sicht der Kläger ein wesentlicher Grundstein für Drogensucht gelegt, was wiederum den Tod von rund 400.000 US-Bürgern mit herbeigeführt habe.
Oxycontin war zeitweise umsatzstärkstes Arzneimittel
Von John Purdue Gray und George Frederick Bingham 1892 gegründet, befindet sich das Unternehmen vollständig im Besitz der Erben von Mortimer und Raymond Sackler. In Deutschland gehört der Familie die Schwesterfirma Mundipharma. Oxycontin kam 1995 auf den Markt und zählte eine Zeit lang zu den umsatzstärksten Arzneimitteln der Welt.
Bereits im Jahr 2007 wurde Purdue wegen unzureichender Warnungen vor Suchtgefahren zur Strafzahlung von rund 634 Millionen Dollar verurteilt Im Januar 2019 klagte als erster US-Bundesstaat Massachusetts in einem 275-seitigen Memo acht Mitglieder der Sackler-Familie an.
Sackler-Clan hat „Blut an ihren Händen“
Derartige Klagen erhoben bis zum September 2019 nahezu alle US-Bundesstaaten sowie rund 2.000 Kommunalverwaltungen. Josh Shapiro, Generalstaatsanwalt von Pennsylvania, sagte, „ich denke, es handelt sich um eine Gruppe scheinheiliger Milliardäre, die logen und betrogen, um einen ansehnlichen Gewinn zu erzielen. Ich glaube wirklich, dass sie Blut an ihren Händen haben.“
Sollte der Vergleich zustande kommen, wird die Familie Sackler ihre Eigentümerschaft an Purdue Pharma aufgeben. Rund 3 Milliarden Dollar der Vergleichssumme soll die Familie Sackler privat aufbringen, weitere rund 1,5 Milliarden durch den Verkauf einer anderen Firma zahlen.
Sackler-Clan droht glimpflich davonzukommen
Doch Kritikern geht der Vergleich nicht weit genug. Sie sind der Meinung, dass die Sacklers glimpflich davonkommen würden. Das gesamte Vermögen der Sackler-Familie wurde durch Forbes auf 13 Milliarden Dollar geschätzt. Die Familie bestreitet dieses hohe Vermögen.
Hinzu kommt: Der Staat New York hat im März Purdue und Mitglieder des Sackler-Clans wegen Betrugs angeklagt. Hunderte Millionen Dollar wären aus dem Konzern über Offshore-Firmen auf Privatkonten des Clans geleitet worden, um sie vor dem Zugriff des Staates bei Schadensersatzansprüchen zu verbergen. Am Freitag hat die New Yorker Staatsanwaltschaft weitere schwere Vorwürfe erhoben und den Clan beschuldigt, eine Milliarde Dollar unter anderem auf Schweizer Bankkonten versteckt zu haben.
„Während unser Land sich von dem Massensterben erholt, das die Sacklers mit ihrer Gier angerichtet haben, versucht die Familie sich aus der Verantwortung zu ziehen“, sagte New Yorks Generalstaatsanwältin Letitia James.
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