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Opferangehörige bei NSU-Prozess„Ich vergebe Ihnen“

Die Angehörigen zweier NSU-Opfer fordern, Carsten S. von einer Haftstrafe zu verschonen. Beate Zschäpe werfen Sie dagegen „Lügen“ vor.

Hatte als einziger von fünf Angeklagten umfassend ausgesagt: Carsten S Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Die Angehörigen der Nürnberger NSU-Mordopfer Ismail Yasar und Abdurrahim Özüdogru fordern, den mutmaßlichen Helfer der Rechtsterroristen Carsten S. nicht mit einer Haftstrafe zu verurteilen. „Ich vergebe Ihnen“, verlas Anwalt Mehmet Daimagüler am Dienstag im Münchner NSU-Prozess eine Erklärung der Tochter von Yasar. Auch die Geschwister von Özüdogru hätten Carsten S. verziehen, sagte Daimagüler. Er plädierte deshalb für eine Bewährungsstrafe für den 37-Jährigen.

Carsten S. soll dem NSU-Trio die Ceska-Pistole überbracht haben, mit der die Rechtsterroristen von 2000 bis 2006 neun Migranten erschossen, darunter Yasar und Özüdogru. Im NSU-Prozess hatte S. als einziger der fünf Angeklagten umfassend, teils unter Tränen, ausgesagt und sich selbst schwer belastet. Auch die Bundesanwaltschaft hatte das Geständnis gewürdigt und in ihrem Plädoyer eine dreijährige Haftstrafe nach Jugendrecht gefordert. Für den zweiten mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben plädierte sie dagegen auf zwölf Jahre Haft.

Am Dienstag nun setzte die Nebenklage ihre Plädoyers fort. Daimagüler hielt seine Schlussworte stellvertretend für die Familien von Yasar und Özudogru. Dabei verlas er auch die Erklärung von Yasars Tochter, die sich direkt an Carsten S. richtete. „Sie haben dabei geholfen, dass mein Vater, Ismail Yasar, nicht mehr am Leben ist“, heißt es darin. „Es fällt mir schwer, nicht zornig zu sein. Ich will aber nicht mehr zornig sein. Ich will nicht mehr mit Wut zu Bett gehen und mit Wut aufwachen.“

Dann erläuterte die Tochter die Beweggründe, warum sie für ein mildes Urteil für Carsten S. eintritt. „Mein Anwalt hat mir berichtet, dass Sie als Einziger der Angeklagten Ihre Schuld eingeräumt haben. Er hat mir auch berichtet, dass Sie als Einziger unter den Angeklagten hingeschaut haben, wenn die Bilder der Toten an die Wand gespielt wurden, und dass Ihre Augen dabei vor Entsetzen ganz weit waren.“ Sie nehme deshalb die Entschuldigung von S. an.

„Ich will aber auch, dass Sie Ihre Schuld abtragen“, erklärte die Tochter weiter. „Sprechen Sie mit jungen Menschen. Gehen Sie zu Ihnen und erzählen Sie Ihre Geschichte. Warnen Sie sie vor dem Hass der Nazis und vor dem Unheil, das diese Menschen anrichten. Dann werden Sie vielleicht eines Tages so weit sein, dass Sie auch sich selbst verzeihen können.“ Anwalt Daimagüler bekräftigte diese Sicht: Carsten S. sei außerhalb des Gefängnisses für die Gesellschaft nützlicher als hinter Gittern.

Carsten S. war als Jugendlicher in der Thüringer Neonazi-Szene aktiv. Der NSU-Unterstützer Wohlleben setzte ihn als Boten zu dem 1998 untergetauchten Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ein. Dabei überbrachte S. auch die Mordwaffe. Im Prozess hatte er dies bereut und sich dafür entschuldigt. Carsten S. stieg bereits vor Jahren aus der rechtsextremen Szene aus, outete sich als Homosexueller und arbeitete zuletzt für die Düsseldorfer Aidshilfe. Er befindet sich in einem Zeugenschutzprogramm.

Kein Vergeben für Zschäpe

Die Tochter Yasars und die Geschwister Özüdogrus richteten am Dienstag auch eine Erklärung an Beate Zschäpe. „Wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an. Wir verzeihen Ihnen nicht. Wir verzeihen Ihnen nicht den Mord an unserem Bruder. Wir verzeihen Ihnen nicht die Lügen, die Sie uns hier aufgetischt haben.“ Zschäpe hatte sich nach langem Schweigen im Prozess doch noch eingelassen – die Schuld für alle NSU-Taten aber auf ihre Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt abgewälzt.

Dennoch schlossen die Opferfamilien eine Versöhnung mit Zschäpe nicht aus. „Wenn Sie aber irgendwann bereit sind, sich Ihrer Vergangenheit zu stellen, wenn Sie wirklich bereit sind, ohne jede Schminke in den Spiegel zu blicken, wenn Sie bereit sind, uns zu helfen, abzuschließen, dann schreiben Sie uns“, heißt es in ihrer Erklärung weiter. „Dann, aber auch nur dann, können wir Ihnen vergeben, dann werden wir Ihnen vielleicht vergeben.“

Die Bundesanwaltschalt sieht Zschäpe voll schuldig für alle zehn Morde, zwei Anschläge und 15 Raubüberfälle des NSU. Sie forderte für die 42-Jährige die Höchststrafe: lebenslange Haft mit Sicherungsverwahrung.

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10 Kommentare

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  • Wie kann es sein, dass unter den Augen des Verfassungsschutzes gemordet wird und Zeugen vor ihrer Aussage in ihrem Auto verbrennen?

    Es ist was faul im Staat.

  • Wollte gerade zu dem Dauerposter kommentieren. War mir dann doch zu dumm.

  • Toll, Nazi-Trolle jetzt auch in der taz.

    Und das gleich geschätzte 20 x.

     

    Ein Versuch, das taz-Forum zu zerstören, darf von den taz-Mods nicht hingenommen werden.

    • Ulf Schleth , Autor Moderator , Autor & Online-Entwickler
      @unSinn:

      Dafür brauchen wir keine Trolle, das schaffen wir ganz allein :) Es gab heute leider ein technisches Problem, das für die Mehrfach-Kommentare verantwortlich war. Wir bitten um Nachsicht.

  • Bei allem Verständnis für die Angehörigen der Opfer, sie haben nicht das Recht, dem Richter Vorschläge zum Strafmaß für wen auch immer zu machen!

    • @otto:

      Prinzipiell kann ich verstehen was sie meinen. Die Auge um Auge, Zahn um Zahn Methode der Rechtsprechung wäre auch nicht hilfreich. Jedoch zeigen die Opfer hier eine sehr große Barmherzigkeit gegenüber den Tätern. Mehr als sie es von Täter- bzw. Staatsseite erfahren haben. Ausserdem haben sich hier einzelne Opfer für eine Strafminderung eines einzelnen Täters ausgesprochen und den anderen Tätern die Tür ein Stück weit offen gelassen, sofern echte Reue und! Bereitschaft zur Aufklärung vorhanden ist. Das ist deutlich mehr Großmut als ich mir selber jemals zutrauen würde. Ich bewundere daher diesen Schritt und verstehe daher auch nicht, weshalb sie nicht auf diesen Punkt eingehen. Abgesehen davon hat der/die Richter zu entscheiden, ob er/sie irgendwelche Vorschläge annimmt, oder halt nicht. Daher ist die Sache relativ einfach. Die Opfer haben das Recht dazu Vorschläge zu machen, wenn es nicht ins Absurde geht und sie haben kein Recht den Opfern dieses Recht abzusprechen.

      • @Serseri:

        Mir scheint, sie haben das mit der Unabhängigkeit der Justiz nicht verstanden. "Großmut" ist kein justitiables Kriterium.

  • Unglaublich diese NSU-Geschichte! Hunderte Verhandlungstage im Gericht und X Untersuchungsausschüsse. Resultat: Nicht eine Tat wurde aufgeklärt. Und weil es keine einzige Spur der Uwes an den 27-30 Tatorten (je nach Zählweise) gibt, sprich keinen echten harten Beweis für deren Täterschaft, wurde ein rechtes Helfernetzwerk erfunden. Aber auch das wurde bis heute nicht gefunden. Nur irgendwelche Unterstellungen, daß dieser und jener echte oder vermeintliche Neonazi, der mit den 3en mal zu tun hatte oder ihnen übern Weg lief, ein Unterstützer sei. Auch das vollkommen Fakten- und Beweisfrei. Willkommen im real existierenden Bananenstaat.

    • @Egone:

      "Nicht eine Tat wurde aufgeklärt. [...]"

       

      Alter, du laberst Schwachsinn, und du weißt es...

      • @fhirsch:

        Sie kennen echt eine oder sogar mehrere Taten, die aufgeklärt wurden? Wo anhand von Spuren und/oder Zeugenaussagen oder anderen Beweisen der Ablauf (mit den Uwes) nachgewiesen wurde? Nah dann mal her mit den Info! Als Beispiel mal eine kleine Denkaufgabe für Sie: Im völlig ausgebrannten Katzenzimmer (Frühlingsstraße Zwickau) wurde eine saubere, unbeschädigte Jogginghose in der Größe XL mit Blutspuren von der ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter gefunden. In Dieser befand sich ein Taschentuch mit DNA-Spuren von Mundlos. An der Hose an sich gab es aber keine einzige Spur der Uwes oder Zschäpe. Übrigens war die Hose das einzige männliche Kleidungsstück, welches in dieser Wohnung gefunden wurde, obwohl die 3 da gelebt haben sollen. Und nun die Fragen an Sie mit der Bitte um Antwort auf Diese. Wieso gibt es an der Hose keinerlei Brandspuren? Warum trug Mundlos eine 2 Nummern zu Größe Hose? Der war 1,80 und schlank, da trägt man Größe M. Wie geht das, daß an der Hose selbst keinerlei Uwe-Spuren sind, aber an dem Taschentuch darin? Wie kann es sein, daß Blut von der Polizistin an der Hose anhaftet, aber umgekehrt keine Spur der Uwes überhaupt an dem Tatort gefunden wurde? An beiden Polizisten wurde mit hohem Kraftaufwand rumgezerrt, um ihnen Handschellen und die Pistolen zu entwenden. Warum waren keinerlei Spuren der Uwes an den Pistolen und den Handschellen? Warum gab es keinerlei Klamotten der Uwes in der Wohnung? Warum war der Strom- und Wasserverbrauch in der Wohnung viel geringer als für 3 Erwachsene üblich? Um Antwort auf diese Fragen wird gebeten. Vielen Dank!