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Oper „Sancta“ von Florentina HolzingerJesus, die sind nackt!

In der Debatte um Florentina Holzingers Oper „Sancta“ werden Nacktheit und sexuelle Handlungen unter Frauen als „schockierend“ geframed – der Inhalt rückt zur Seite.

Performancekünstlerin Sophie Duncan während einer Aufführung der Inszenierung „Sancta“ von Florentina Holzinger Foto: Matthias Baus/Staatsoper Stuttgart

Sex, Schock, Skandal! Viel mehr braucht es kaum, um Aufmerksamkeit zu generieren. Fügt man noch die Worte „nackt“ und „Jesus“ hinzu, bedarf es auch fast schon keiner Bebilderung mehr, um den der Gesellschaft inhärenten Voyeurismus zu bedienen.

Als „Sex-“ und „Skandal-Oper“ betitelte die Bild-Zeitung das neue Werk der österreichischen Performancekünstlerin Florentina Holzinger „Sancta“ nach der Premiere in der Staatsoper Stuttgart. Grund für den „Skandal“: 18 Zuschauende, verließen während der ersten beiden Aufführen wegen Unwohlsein den Saal. Wer Holzingers Arbeit kennt, weiß um Kunstblut und Freizügigkeit, die zum Repertoire ihrer Inszenierungen gehören.

Für ihre jetzige Darbietung verbindet sie Paul Hindemiths Operneinakter „Sancta Susanna“ mit Elementen der katholischen Liturgie „zu einer radikalen Vision der heiligen Messe“, wie es im Programmtext heißt. Auch vor expliziten Darstellungen, Nacktheit, Nadeln und Verwendung von (Kunst-)Blut wird gewarnt, die Altersfreigabe ist ab 18 Jahren.

In Wien und Schwerin, wo die Oper zuvor aufgeführt wurde, blieben pikierte Reaktionen aus. Doch für einige im Stuttgarter Opernpublikum sei sie wohl eine „Häretikerin“, kommentiert Holzinger im Interview Nachrichten, die sie im Anschluss erhielt. Eine Bezeichnung, gegen die sie so nichts habe, ebenso wenig wie gegen die Prophezeiung „Gott werde dich richten“.

Üble Nachrede an das Ensemble

Übel aber seien Nachrichten, die sie und ihr durchweg weibliches Ensemble erhalten hätten, in denen sie als Schlampe bezeichnet und ihnen Vergewaltigung gewünscht würden.

Eine Person schrieb laut Holzinger: „Ich weiß, wo du wohnst, du wirst es noch bereuen.“ Grund genug für die Stuttgarter Staatsoper bei künftigen Vorstellungen nun Sicherheitspersonal zu stellen.

Die krassen Reaktionen allein auf die Berichterstattung von Boulevardmedien zu schieben, wäre allerdings zu einfach. Doch trägt die undifferenzierte Darstellung, die sich vor allem auf die Nacktheit der Performerinnen kapriziert dazu bei, dass ein misogynes Frauenbild aufrecht erhalten wird. Nacktheit und sexuelle Handlungen unter Frauen werden als „skandalös“ und „schockierend“ geframed, die inhaltliche Auseinandersetzung rückt so in den Hintergrund.

„Sancta Susanna“ und die sexuelle Selbstbestimmung

Um sexuelle Selbstbestimmung und die brutale Verfolgung einer Nonne durch die katholische Kirche drehte sich schon Paul Hindemiths Einakter aus dem Jahr 1921.

Fun fact: Auch „Sancta Susanna“ sollte an der Staatsoper in Stuttgart laufen, was wegen des Vorwurfes der Gotteslästerung verhindert wurde. Heute sollten wir eigentlich weiter sein.

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8 Kommentare

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  • "Heute sollten wir eigentlich weiter sein."



    Das sind wir leider nicht. Ich habe weiter das Gefühl, dass wir insgesamt rückläufig sind, wenn ich die Diskussionen um Gendern, Frauenrechte, Me-Too usw. sehe.

    • @Sanni:

      Meinen Sie mit "weiter", dass man Minderheiten respektiert und nicht verunglimpft (Katholiken sind eine Minderheit in der deutschen Bevölkerung. Konfessionslos 39.046.000 / 46,2 % Römisch-katholische Kirche in Deutschland 20.345.872 / 24,0 % )

      Dann ja, ich wünschte wir wären weiter.

      • @Pawelko:

        Ich weiß nicht, welche Verunglimpfung gemeint ist. Aber bei meinem bisherigen Opernbesuchen von "Sancta" konnte ich außer einer sehr differenzierten Exegese, bildlichen Bibeldarstellungen, fantastischer Musik-, Gesang- und Tanznummern und einer respektvollen Performance anhand der christlichen Liturgie nichts feststellen. Der starke Eindruck entsteht, dass die Personen, die dem Stück Verunglimpfung vorwerfen, das Stück nicht gesehen haben – auch der Stuttgarter katholische Stadtdekan Christian Hermes, der das Stück öffentlichkeitswirksam kritisierte, hat es leider nicht gesehen.

        Tatsächlich gab es aber durchaus Priester, die das Stück beraten haben und andere, die es gut fanden.



        www.evangelische-z...en-auf-oper-sancta

      • @Pawelko:

        Dafür ist die katholische Kirche in den Gremien dieses Landes noch nach der Demoskopie des Jahres 1950 der alten Bundesrepublik vertreten. Die Katholiken sind beim besten Willen keine unterdrückte Minderheit. Und ja, sie müssen sich auch Kritik gefallen lassen. Die äußere Form ist auch nicht nach meinem Geschmack. Inhaltlich liegt das Stück aber richtig.

  • So, wahrscheinlich wird der Kommentar wieder einmal nicht freigeschaltet weil ich religiöse Gefühle in Schutz nehme, aber ich versuche es trotzdem.

    Disclamer! Die Hasskommentare sind ohne Frage überzogen und kein echter Christ würde so etwas schreiben. Die Leute, die sowas machen sollten sich schämen und juristisch belangt werden sofern möglich.

    Trotzdem kann ich die Wut und Trauer verstehen. Es verletzt religiöse Gefühle. Warum muss man das tun? Man stelle sich vor, man würde eine Oper aufführen, in der man sich über LGBTQ+ Menschen lustig macht. Würde (zurecht!) Ebenfalls Gefühle verletzen und sollte unterlassen werden.

    Man stelle sich vor, die Oper würde den Islam statt das Christentum thematisieren. Das Verständnis hier wäre groß.

    Warum keine Oper über die Seenotrettung der katholischen Kirche? Über Suppenküchen? Hospizarbeit? Die vielen Freiwilligen die ehrenamtlich helfen...

    Es ist einfach traurig. Man beleidigt eine ganze Religionsgemeinschaft und die Massen applaudieren.

    Ich wünsche dem Ensemble dennoch alles Gute.

    Und meine Hoffnung bleibt, dass man sich gegenseitig irgendwann mit Respekt begegnen kann. Unabhängig von Religion (oder ausbleiben selbiger).

    • @Pawelko:

      Ich frage mich, ob Sie die Opernperformance gesehen haben.

      Ich war bisher 3 Mal in der Opernperformance "Sancta" Anfang des Jahres in Schwerin und werde sie heute zum 4. Mal in Stuttgart besuchen.



      In keiner der von mir besuchten Vorstellung wurde die christliche oder katholische Religion verunglimpft. Im absoluten Gegenteil. Stattdessen findet eine sehr respektvolle und differenzierte Performance statt, die der Liturgie einer klassischen christlichen Messe folgt. Keine Verunglimpfung, kein lustig machen. Stattdessen eine sehr akurate und wörtliche Darstellung von Bibelstellen, Erfahrungsberichte der Performerinnen mit ihren persönlichen Erfahrungen mit der Kirche – schönen und schrecklichen – und einer Jesus-Interpretation eines liebenden, und auch überlasteten Heiligen. Man merkt dem Stück an, wie genau und respektvoll Exegese betrieben wird. Und ja, "Sancta" setzt sich mit den Themen Körper, Weiblichkeit und Kirche auseinander mit Mitteln der performativen Kunst. Zwei kurze Szenen wurden von der Regenbogen-Presse aufgegriffen, die absolut nicht das 3-stündige Stück beschreiben. Als Person mit christlichem Hintergrund konnte ich keine Verletzung religiöser Gefühle sehen.

      • @KatrinLo:

        Das habe ich tatsächlich nicht, und möchte ich auch nicht. Das wenige was zu sehen war reicht für meinen Geschmack schon.

        "Keine Verunglimpfung, kein lustig machen."

        Dies sehen aber nun einmal viele gläubige Menschen anders. Und diese haben auch ein Anrecht auf ihre Meinung. Sollte man nicht auf die betroffenen Hören?

        Ich bin mir sicher der Regisseurin und dem Ensemble muss klar gewesen sein, dass ihr Stück zumindest provozieren wird



        (Ein nackter weiblicher Jesus im Bondagelook ist nicht gerade subtil).

        Ich frage mich nur ob solch eine bewusste Provokation wirklich sein muss?

        Ich bin ja auch nicht für ein Verbot, und schon gar nicht für die Reaktionen die den Darstellerinnen entgegenschlagen.

        Ich glaube Ihnen wenn Sie in dem ganzen eine kunstvolle und respektvolle Darstellung erkennen können. Kunst ist eben interpretations und Geschmackssache.



        Mich stimmt die ständige Kritik/Provokation nur traurig, nie wird das Gute öffentlich angemerkt (Seenotrettung etc.)



        Lieber gerade in linken Kreisen bequem auf der Couch über die Kirche geschimpft statt selber raus zu gehen und Obdachlosen Mahlzeiten zu verteilen wie es viele ehrenamtliche Gläubigen tun.

        • @Pawelko:

          Es ist natürlich absolut okay, dass Sie das Stück nicht ansehen. Es zu kritisieren, dabei ausschließlich auf die Berichterstattung von Bouleward-Medien einzugehen, funktioniert dann aber nicht. Sie verweisen auf Szenen, die es im Stück nicht gibt.



          Einen "Jesus im Bondage-Look" gibt es nicht. Jesus ist in jeder Sekunde der Oper angezogen. Wahrscheinlich referenzieren Sie auf ein Pressefoto, auf dem Teile von Genesis 1 vorgelesen werden. Es geht um den Moment, in dem Adam in die Frucht beißt und erfährt, dass er nackt ist. Die Schauspielerin ist in diesem Moment an Gurten in der Luft – Sicherheitsmaßnahme, kein Bondage. Und dass Adam nackt ist, ehe er sich bedeckt (auch das passiert in SANCTA), wissen Sie sicher. Die BILD-Zeitung hat diese Adam-Figur fälschlicherweise als Jesus bezeichnet – ich vermute, Sie sind auf die BILD reingfallen.

          Niemand in dem Sück will Kirche verunglimpfen. Fast alle haben biografische Erfahrungen mit Kirche. Viele erzählen auf der Bühne von ihrem Glauben. Die Performerinnen sind die Betroffenen, von denen sie schreiben.

          Und in linken Kreisen engagiert man sich (ehrenamtlich) sehr viel. Und manchmal – so wie Sie sicher auch – sitzt man auf der Couch.